Grete Schröfl - Robert Schröfl: Korrespondenz


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Wien, 11. X.1920

Mein lieber Robert!

Will versuchen, Deine beiden Briefe, den vom 30.9. bis 6.10. und den vom 7.10. zu beantworten. Ersteren erhielt ich Samstag, letzteren heute. Nebstbei bemerkt, Du solltest mir eigentlich auch nicht so viel schreiben, sonst werde ich Deine Post zu sehr vermissen. wenn’s Dich einmal nicht freut zu schreiben, oder wenn Du nichts weißt, wie Hansi. Ob das nochmal vorkommen könnte? Sag’, Liebster, warum wolltest Du mir den Brief vom 30.9. erst nicht schicken? Dachtest Du wirklich, ich würde Dich oder diesen Erguß als „nicht mannhaft“ verurteilen? Ich will doch nicht nur Deine Freude, sondern noch viel mehr Dein Leid teilen! Wann immer Dein Herz zu voll ist, ob vor Freude, ob vor Weh’, schütte es aus vor mir, ich will Dir beides tragen helfen! Daß Dir der Brief an Lina nicht leicht wurde, verstehe ich ebensowohl, wie daß Dir ihr Verhalten wehgetan hat. Selbst wenn ein gut’ Teil Deines Herzens, Deiner Liebe, ihr verblieben wäre, würde ich das erklärlich finden. Denn eine Liebe, die vergeht, war doch nur Täuschung und Selbstbetrug. Und mir genügt es, wenn der größte Teil Deines Empfindens mir gehört, aber ich beanspruche nicht Dein ganzes Denken und Empfinden für mich allein. Es bedarf also durchaus keiner Entschuldigung (denn so etwas ähnliches war es, was Du in Deinem letzten Brief angewendet hast), wenn Dich die Enttäuschung, die Lina Dir bereitete, schmerzte. Gestern war ich in dem ersten der Kammerkonzerte. Seltsamerweise mußte ich während des ganzen Konzertes hauptsächlich an Lina denken. Das Mädel tut mir doch herzlich leid! Und so ganz werde ich auch den Vorwurf nicht los, daß ich, wenn auch nur zum Teil, Schuld trage an Eurer Entzweiung. Hätte ich Dir in die Gefangenschaft nie geschrieben, vor allem nicht etwas geschrieben, was Dich zwischen den Zeilen meine Liebe ahnen ließe, vielleicht wäre zwischen Euch alles wieder gut geworden. Das wird wohl noch eine Weile dauern, ehe ich darüber hinwegkomme. Und doch konnte auch ich nicht anders handeln. Ich hab’ Dich doch so lieb!

Was ist’s mit Deinem Paß? Wenn Du keinen hast, kannst Du wohl überhaupt nicht zurückkommen. Weißt was, ich borg Dir den Meinen. Er ist ohnehin heute um 6 Monate verlängert worden. Ob ich ihn brauchen werde, ist ohnehin sehr fraglich. Zumal da Berta sich jetzt will operieren lassen, ich also im Geschäft unentbehrlich bin.

Eben wollte ich Dir schreiben, daß wir Kurzschluß haben, weswegen ich bei der großartigen Beleuchtung von 4 Kerzen im Geschäft sitze, da flammt es auf. Es brennt wieder. Noch etwas, das ich nicht zu schätzen wußte, ehe ich es vermissen mußte. Wie oft das doch vorkommt im Leben, daß man etwas erst zu schätzen weiß, wenn es bereits verloren ist. Freue mich sehr, daß Du Dich in Cechien so weit als möglich wohlfühlst. Schade, daß ich nicht mir Dir den Berg, dessen Namen Du vergessen hast, besteigen kann. Bin zwar schon ziemlich bequem geworden. Man wird eben alt! Wenn Du gut verdienst, freut’s mich für Dich! Kannst es jetzt gebrauchen! Aber warum Du annimmst, daß mich etwas, das Dich betrifft, nicht interessieren könnte, weiß ich nicht. Wenn Du schon Feuer im Ofen hast, würde ich gerne ein wenig zu Dir kommen (sonst nämlich nicht!). Wie ich Dir schon schrieb, ist’s auch bei uns ziemlich kühl.

Auf Deinen zuckersüßen Kaffee aber verzichte ich recht gerne. Wenn ich Kaffee trinke, was freiwillig höchst selten geschieht, dann müßte er bitter sein. Im übrigen aber bin ich Deinem Hausmütterchen sehr dankbar, wenn es Dich recht gut versorgt.

Ob ich frage, wie sich die Zukunft gestalten wird? Herzlieb, für mich bedarf’s der Frage nicht. Wo und wie immer der Weg auch sein wird, den Du mich führen wirst, ob er steinig oder glatt, sonnig oder finster sein wird, ich werde glücklich sein, ihn an Deiner Seite schreiten zu dürfen. „Wo Du hingehst, da will auch ich hingehen.“

Es ist wohl möglich, Schatz, daß auch ich Dich nicht voll und ganz kenne, deshalb aber kannst Du mir mit Deinen Worten durchaus nicht bange machen! Und wenn Du ein Muster von Vollkommenheit wärest, möcht’ ich Dich erst gar nicht. Denn da ich doch auch nicht dazu gehöre, müßte ich mich an Deiner Seite absolut nichtig fühlen.

Da fällt mir eben wieder Br. Fuhriman ein. Als wir, er, Emmy, Hansi und ich, auf der Gloriette waren, zeigte er mir etwas, ich weiß nicht mehr was. Aber kurz und gut, er sagte, er sei allwissend. Ich darauf: „Ich bitt’ Sie, hören Sie auf, wenn ein Mensch alles weiß, kommt man sich daneben ganz nichtig vor.“ Er: „Na, wenn sich der eine so wichtig vorkommt und der andere so nichtig, solche zwei passen recht gut zusammen. Aber bei uns ist es umgekehrt, ich komme mir immer so nichtig vor an Ihrer Seite.“ Was sollt’ ich tun, als wieder lachen. Aber weißt, was Du Dir nicht wünschen solltest? Mich in Wut zu sehen! So sehr oft kommt es ja nicht vor, aber wenn, dann so gewaltig, daß ich weine vor Zorn. Solltest mir eigentlich diese schönen Eigenschaften alle abgewöhnen, die Spottlust, den Zorn, den Trotz und diverse andere Untugenden, die mir eigen sind. Auf jeden Fall wirst Du mit der Zeit viel mehr Fehler an mir zu entdecken haben als ich an Dir. Daß Du Berta ihr Verhalten nicht übelnimmst, freut mich. Ich hab das Mädel ja doch sehr gern, trotz allem. Mag sein, ich war ein sehr liebebedürftiges Kind, und gerade als Kind hat sie mich sehr lieb gehabt. Und wer Liebe säet, wird Liebe ernten.

Deine Ansicht über Emmy teile ich so ziemlich und es freut mich nur, daß Du des Mädels Liebe doch ein wenig zu erwidern scheinst.

Weißt, Robert, wenn Du aber schon poetisch wirst, so bringe wenigstens nicht so prosaische Dinge wie das Essen damit in Verbindung. Noch besser aber ist’s, Du läßt das solchen von Genien geküßten (er selbst behauptete dies einmal) Leuten übrig, wie Konrad es ist.

Werde für heute schließen, trotzdem ich Dir noch recht viel zu schreiben hätte. Will aber den Brief lieber aufgeben, wenn Du auch geduldig ein paar Tage warten würdest. Bin auch bereits halb erfroren und Mutter wird nicht wissen, wo ich so lange bleibe. Sei innig umarmt und geküßt von Deiner

Gretel

Montag, 11. Okt.20

Geliebte Gretel!

Deine lieben Glückwünsche und das Geschenk erwidere ich mit innigstem Dank. Mein größter Wunsch, der ja auch der Deine ist, ist, daß sich die Verhältnisse so gestalten mögen, daß sie uns recht recht bald die Erreichung unseres einstweiligen Zieles, unsere Vereinigung, ermöglichen. Betreffs einer dauernden Anstellung mache ich schon in Wien Versuche. Mein Cousin ist nämlich Beamter im Eisenbahnministerium, weiß nicht, wie’s jetzt heißt, eine hübsch einflußreiche Person und übrigens Universalmensch. Möglicherweise könnte er mir behilflich sein. War bei ihm, doch war er auf einige Wochen in die Schweiz verreist, dürfte aber jetzt schon zurück sein. Wenn es aber nicht in Wien wäre? Weißt, mein Kind, so frisch möchte ich nicht woanders anfangen, denn da würde ich manches verlieren, was ich durch die Zeit, bin ja schon seit 1911, die Kriegsunterbrechung wird nicht gerechnet, bei Schuckert, gewonnen habe und welches mir sehr bei meinem Fortkommen hilft. Dachte auch schon an eine größere Montage, die einige Jahre dauern würde, nämlich die Elektrisierung der Alpenbahnen in Tirol, und auch daran, wenn es mir möglich wäre, einen Betriebsleiterposten in einem kleineren El. Werk zu bekommen. Beides wäre halt nicht in Wien. Schreibe mir, liebe Gretel, wie Du darüber denkst. Der Fall „Pappelauer“ wirkte auf mich zwar nicht erregend aber doch bewegend. Schau, Gretel, da kommt ein Bruder nach dem andern, jeder predigt, ermahnt, man kommt zu den Versammlungen, hört und geht wieder, so wie man gekommen. Ich glaube schon, daß unter diesen Umständen Fritzl manchmal die Galle überläuft. Der Fall „Either“ ist ja auch nicht besser. Wann gedenkt Mathilde zurückzukommen?

Wenn Du Br. Fuhriman auf die Antwort seiner endlosen Briefe endlos warten läßt, wird er wohl nicht sehr erfreut sein. Du solltest daher nach dieser Seite ebenso brav sein, wie Du’s meinerseits bist. Ein paar Zeilen gebe ich gern ab, aber nicht zu viel, mein Schatz. Ist das auch egoistisch?

Mein Schreiben von gestern ist leider immer noch hier, weil ich keine Marken hab’. In der Früh ist’s noch zu zeitlich, zu Mittag ist die Post zu und abends bin ich extra früher fortgegangen, läuft mir auf dem Wege zur Post unser Obermonteur entgegen, ganz ohne Atem: „Denken S’ Ihna, Herr Schröfl, was g’scheh’n is. I schlamperts Mistvieh!“ „No, was is denn, hat’s eing’schlagen?“ Ich dachte, durch den Strom ist ein Malheur passiert. „Ja, i selber könnt mi derschlag’n. Da schaun S’ her, das Loch in mein Gilettaschl. So a verfl… Jungg’sellenwirtschaft. Steck i die Uhr da ’nein und jetzt is s’ weg.“ Ich war wohl nicht im geringsten schadenfroh, dachte aber doch an die Bemerkung von ihm, als mir der Paß wegkam. „Na, wie kann ein’m denn sowas passieren!“ Und so gingen wir nun beide auf die Suche. Überall dort, wo er war, war nichts, es fing schon an zu dunkeln und er gab schon mit den Worten „A, die is beim Teufel“ alle Hoffnung auf und wollte zurück. Aber ich drängte, da wir nun einmal hier waren, er sollte genau den Weg zeigen, wo er zu unserem Arbeitsplatz ging. Und da, mitten in einer Wiese, wo eine Menge Kinder die Ziegen untertags hüten, fand ich sie. Wär’ ich ein Mädel gewesen, hätt ich gewiß ein Busserl ’kriegt. So aber streichelte er mich nur und dann seine Uhr, die er fest, wie ein Kind, welchem man einen Kreuzer schenkt, in der Hand bis nach Hause trug. So also siehst Du, warum Du den Brief um einen Tag später bekommst und wie manchmal Begebenheiten auf Menschen wirken, die gar keinen Bezug mit denselben haben.

Nochmals für alles Liebe und Gute dankend, küßt Dich herzlich Dein heute nicht mehr ganz anständiger (halb 12)

Robert

Dienstag, 12. Okt.20

Liebste Gretel!

Heute geht’s mit wohl so wie Dir bei Deinem letzten lieben Brief. Bin recht schläfrig, denn ich bin gestern erst um beinahe 12 Uhr schlafen gegangen. Und dabei ist’s jetzt auch schon nach 9. Habe nämlich meine zweite Auszahlung bekommen und mich bei dieser Gelegenheit länger bei unserem „Ober“ aufgehalten. Nun bin ich glücklich ganz aus der Patsche, nicht nur allein das, sondern habe die erste Hälfte des Geldes für den Anzug schon beisammen. Nächste Woche kommt die zweite. So siehst Du, mein Lieb, es geht schneller als ich gedacht. Habe mich nämlich das letzte Mal verrechnet. Komme jetzt mit Überstunden auf über 2000 K, ohne auf etwa 1600 K. Also in zwei Monaten hoffe ich so ziemlich beisammen zu sein. Dann kann’s losgehen, nach der Heimat und zu meinem teuren Schatz. Wie freu’ ich mich auf das Wiedersehen und sehne mich nach Dir, meine Gretel. Mußt Dein Herzchen recht warm halten, daß es Dir bis dahin nicht einfriert. Wäre das überhaupt möglich?

Hatte heute früh den Wunsch, neben Dir beim Schmelzofen zu stehen, da mich sehr in den Fingern fror. ’s ist jetzt durch den Nebel, der sowohl früh als auch abends so dicht ist, daß man keine zwanzig Schritte sieht, sehr naßkalt. Untertags jedoch, so von 10 bis 5, ist herrliches Wetter.

Mit der Bibel hast Du erraten, was mir fehlte, und ich bin Dir sehr dankbar dafür. Wäre doch schön, wenn ich regelmäßig die Versammlungen besuchen könnte, so wie früher. Vielleicht dann, wenn ich Arbeit in Wien finden würde.

Siehst, mein Liebes, so geht’s. Gestern und vorgestern keine Marken, und heute wird wieder der Brief nicht fertig, weil ich Marken habe. Es ist 10 Minuten nach 10 Uhr. Gute Nacht, träume süß!

Mittwoch, 13. Okt.20

Mein Lieb!

Glaube, daß ich in Sibirien die Post eher erwartete, d.h., geduldiger erwartete als hier. Sehe nun schon selbst ein, daß ich recht unbescheiden geworden bin. Auch von Schuckert erwarte ich die Antwort betreffs des Passes schon seit drei Tagen. Nun vielleicht schicken sie mir gleich einen neuen. Wäre sehr angezeigt, denn hier kostet die Paßbesorgung viel Zeit und Geld. Eben machte ich auf Hansis Zeilen einen Mords-Klecks. Muß sie natürlich nochmals schreiben, um nicht mit leuchtendem Beispiel voranzugehen. Mit innigen Küssen,

Dein Robert

Wien, 12. X.1920

Mein lieber Robert!

Hansi, der Quälgeist, steht wieder neben mir, und will mich nicht schreiben lassen. Sie nimmt nämlich Partei für Br. Fuhriman, dessen Brief noch immer nicht beantwortet ist. Wenn ich auch sage, er braucht meine Briefe nicht, er ist ohnehin nun in der Heimat, sie will es nicht gelten lassen. Jetzt soll auch bald der neue Schweizer Bruder kommen, den mir Br. Fuhriman schon angekündigt hatte. Ende voriger Woche hat Fritz doch schon einmal Antwort vom Präsidenten bekommen, worin ihm auch die Ankunft dieses Bruders angekündigt wird. Leider wird auch er nur für eine kurze Zeit hier verweilen. Ich denke, das hat doch wieder keinen Zweck. Wenn wir nicht jemanden bekommen, der wenigstens ein Jahr hier bleibt, ist uns doch wieder nicht geholfen. Fuhriman z. B. hat zwar ein ganz richtiges Urteil gefällt, soweit es sich um eine Charakterisierung der einzelnen Mitglieder handelt, aber die ganz strittigen Punkte zu beurteilen, dazu fehlte ihm doch die Einsicht in unsere Verhältnisse. Was uns nun der neue Bruder bringen wird? Bin neugierig darauf. Lieber wär’s mir, Du käm’st heim! Auch das würde für die Gemeinde von Nutzen sein!

Sonntag hatten wir die erste Versammlung im neuen Saal. Der Saal ist ganz schön, was ich übrigens schon vorher wußte, da ich vor Jahren immer dort tanzen war. Die Sitze sind zwar recht schön rot gepolstert, aber sehr unpraktisch angeordnet. Bin neugierig, wie das werden soll, wenn einmal um ein paar Leute mehr kommen.

Konrad hat sogar ganz vernünftig gesprochen. Wenn das der Einfluß des neuen Saales ist, hat er entschieden heilsame Gewalten. Oder hat Konrad sein „Genius“ just mal im Stich gelassen? Franz Cerny kommt jetzt auch immer, sogar mit seinem Söhnchen. Das freut mich nämlich herzlich. Dienstag (unsere Bibelstunden sind nämlich auf Dienstag verlegt), Dienstag also ging ich mit Franz nach Hause. Da versprach er mir, von nun an wieder fleißig zu kommen, doch möchte er, daß dann jemand seine Frau besuchen und versuchen soll, sie dem Evangelium zu gewinnen. Er sagt, sie wäre doch gar nicht abgeneigt, nur hat sie sich geärgert, daß sich während der Kriegsjahre, als Franz eingerückt war, niemand von uns um sie kümmerte. Wenn Karl heute kommt, werde ich wieder mal versuchen, mit ihm zu sprechen. Jetzt waren sie ja schon in Rottenbach. Vielleicht läßt sich die Sache jetzt doch einrenken. Und wenn auch nicht, deshalb müssen sie doch ein Lied lernen, die beiden. Unbedingten Gehorsam verlange ich doch von meinen Chormitgliedern. Etwas, was Du auch nicht wissen wirst, ist, daß man Dir sehr gerne die Stelle als Chorleiter übertragen hätte. Fritz hat sich schon so schön entschuldigt bei mir, als wenn ich nicht froh wäre, dieser Pflicht los und ledig zu sein. Noch dazu, wenn ich meine „Würde“ an Dich abtreten müßte.

Dann müßte ich eben wirklich Thildes Rat befolgen. Sie schrieb mir nämlich: „Suche nicht immer jemand zu sein vor anderen, sondern sei für dich wie sich’s gehört.“ Gewiß sehr zu beherzigen, nur wüßte ich nicht, wann ich je gesucht hätte, vor anderen etwas zu sein. Aber vielleicht kann man das selbst nicht so beurteilen.

Sonntag nach der Versammlung war ich mit den Hrubesch-Mädeln bei Frl. Schwarz, um ein Lied einzustudieren. Ein Herbstlied von Mendelssohn, aber nicht das, das ich mit Valerie gesungen. Bis 12 Uhr waren wir bei Frl. Schwarz, dann begleitete ich die Mädels ein Stück. Dafür hab’ ich dann beim Heimkommen einen Brummer gekriegt. Der war übrigens ganz ehrlich verdient, weil man nach Haus zu gehen hat, wenn’s Essenszeit ist. Also hab’ ich ihn auch ohne Widerrede angenommen.

Sonntag nach dem Essen wollte ich schlafen. Es ist aber bei dem Wollen geblieben. Als ich nämlich schon im Begriffe war einzuschlafen, kam mein Onkel (Bertas Vater) mit einem Donnerwetter zur Tür herein. Er hat uns Äpfel gebracht und unterwegs ist ihm irgendetwas am Rucksack gerissen, so daß er zweimal sämtliche Äpfel verlor. Gewiß nicht angenehm.

Um 5 Uhr ging ich dann weg, erst ins Geschäft um einzuschreiben, dann ins Konzert. Dasselbe war übrigens wunderschön. Besonders der letzte Teil von Beethoven. Er gehört überhaupt zu meinen besonderen Lieblingen. Und nun, da wir „hinter seinem Rücken“ unser Glück gefunden, muß ich wohl auch dem Monument meine Dankbarkeit entgegenbringen. Liebling, wann werden wir wieder so glücklich sein können? Morgen oder übermorgen erhalte ich voraussichtlich das Visum. Man sagt mir zwar, ich sei verrückt, wenn ich nach Prag fahre, aber muß ich denn ein gegeb’nes Versprechen nicht halten? Nun aber möchte ich doch, wenn es sich ermöglichen läßt, auch zu Dir kommen, und zwar ehe ich nach Prag fahre, so daß ich Sonntag, den 17., an Deinem Geburtstage bei Dir sein könnte. Bitte, aber freu’ Dich nicht zu früh! Ein bestimmtes Versprechen geb’ ich Dir nicht, daß ich komme. Es würde sich nur so beiläufig ausgehen. Es würden mir dann immerhin noch drei Tage für Prag bleiben. Genügend Zeit, um mit Schw. Brodil und den Kindern alle Lieder durchzusingen, wie sie so brennend wünscht, und auch genügend Zeit, um Gleißner von seinem Irrtum zu überzeugen. Nun, mein Lieb, ich muß schließen, nicht nur den Brief, sondern auch das Geschäft. Wir haben Bibelstunde, also eben eine halbe Stunde früher Sperre. Hansi ist schon weg. Br. Fuhriman ist schon wieder zu kurz gekommen. Nach der Stunde wird’s mir auch zu spät. Die Stunde ist von 8 bis 9 und nachher noch Gesangsübung. Noch dazu immer bei Ehlers. Leb wohl, mein Schatz! Grüße mir den Wald! Vielleicht kann ich ihn bald selbst sehen. (Ich komme aber nur, wenn Du ordentlich eingeheizt hast!)

Vieltausend Busserl von Deiner

Gretel

Wien, 13.10.1920

Mein Liebster!

Vor allem innigsten Dank für den heute erhaltenen Brief von Freitag und Samstag. Daß ich Deine Freude über die guten Nachrichten, die Du erhieltest, teile, und zwar sehr, nicht nur ein wenig, ist doch selbstverständlich. Übrigens hat mir Emmy schon von Deinem Freunde erzählt, daß Du ihn so lieb hast, daß Du am liebsten mit ihm an die Front gegangen wärst.

Ich denke mir die Sache zwar ein wenig anders, aber die Tatsache, daß Du ihn lieb hast, bleibt, und Menschen, die Du liebst, sollen auch mir lieb sein! Du brauchst also um Verkürzung der Arbeitszeit nicht ansuchen, denn ich werde mich schon bescheiden mit dem, was Du mir schreibst, wenn nur keine zu langen Pausen eintreten. Wieso Du zwei Tage von mir keine Post bekamst, versteh’ ich nicht! Ich habe doch höchstens einen Tag ausgesetzt mit dem Schreiben.

Daß ich an Deinen Briefen nicht 5 bis 6 Tage schreibe, wirst Du aus Erfahrung schon wissen. Und wenn es bei dem an Fuhriman gerichteten der Fall ist, warst und bist Du der Hauptschuldige. Ich müßte nämlich sonst auch um Verkürzung der Arbeitszeit ansuchen, obzwar ich nicht so anständig bin, immer schon um 10 Uhr zu Bett zu gehen.

Gestern z. B. war es wieder mal 12 Uhr, ehe wir unsere Debatte beendet hatten. Als wir von der Bibelstunde nach Hause gingen, Mutter und ich, hat sie mir eine lange Predigt gehalten, daß ich in Prag absolut gar nichts zu suchen habe. (Sie hat nämlich, unter uns gesagt, ganz recht.) Dem allen hielt ich nichts entgegen, als das Eine: Ich hab’s versprochen, ich muß es halten. Nun kam natürlich ein Vortrag über meinen Dickschädel, so z. B., wenn ich mir etwas einbilde, dann tue ich’s, auch wenn es zu meinem eig’nen Schaden ist u.s.w. Na, ich dachte: „Laß sie reden, schweig’ fein still.“ und ließ sie reden. Wir kamen nach Haus. Berta lag schon im Bett. Nun fing sie an. Dieselbe Litanei! Ich setzte auch hier hartnäckigen Widerstand entgegen. „Wenn ich das Visum bekomme, bin ich verpflichtet zu fahren.“ Nach einer Stunde ungefähr sagte sie nun: „Du bekommst doch das Gesuch vor Samstag nicht zurück, kannst also erst Montag um das Visum gehen, da ist’s doch dann zu spät.“ Und meine Antwort darauf: „Schau, hättest Du das gleich zu Beginn gesagt, hättest Du Deinen Mund gar nicht so strapazieren müssen. Denn wenn es so lange dauert, bleib’ ich ja zu Haus. Dann kann ich ruhigen Gewissens schreiben, es war mir nicht möglich zu kommen und kann die ganze Sache brieflich erledigen.“ Es bedarf ja nur einer Wiederholung alles dessen, was ich Br. Gleißner durch alle die Jahre schon unzählige Male geschrieben hab’.

Und nun ist es wirklich so; ich müßte so lange warten, bis es zu spät wäre. Auch das ohne meine Schuld, denn das Gesuch konnte ich nicht einreichen, ehe ich wußte, daß es nötig ist. Und wissen konnte ich das erst, nachdem es mir auf der cechischen Paßstelle mitgeteilt wurde. Dorthin konnte ich aber nicht gehen, weil alles andere durch verschiedene Verhängnisse so verzögert wurde, daß es unmöglich früher zu erledigen war. Also, ich bleibe hier. Und der Hausfriede ist wieder hergestellt. Auch etwas Gutes! Daß ich nun auch Dich am Sonntag nicht wiedersehen kann, tut mir aber doch sehr leid! Wenn auch Berta behauptet, Du würdest dann schlechter denken von mir, wenn ich Dich besucht hätte. Gelt, mein Lieb, das ist nicht wahr? Um schlecht zu denken von andern, muß man doch zuerst selbst schlecht sein; das bist Du aber nicht! Ich habe Berta momentan ganz erstaunt angesehen, als sie mir das sagte.(Zu Hause)Ich weiß nämlich, daß Du mich, wenn auch vielleicht nicht in dieser Hinsicht, so doch in jeder anderen, immer für besser hältst, als ich bin. Also war mir diese Idee ganz unfaßbar. Habe mich recht getummelt, um nicht so spät nach Haus zu kommen, weil ich mir die Hrubesch-Mädeln wieder zum Singen bestellt hatte. Wer aber nicht gekommen ist, waren die Kinder. Na, ist mir auch recht, so kann ich wenigstens fertig schreiben. Um 10 Uhr muß ich wieder zur Bahn geh’n um Mutter abzuholen. Diesmal muß auch Hansi mitgehen. Mutter ist nämlich um Birnen gefahren. Nun hab ich Hansel schlafen geschickt, damit sie wenigstens vorher ein Stündchen schläft.

Karl war gestern wieder samt Frau abwesend. Schade! Mit Konrad hatte ich natürlich wieder einige Meinungsverschiedenheiten. Wir müssen uns doch fast in jeder Bibelstunde hacheln miteinander. Übrigens war ich mit der gestrigen Stunde überhaupt nicht recht zufrieden.

Sag, Kind, hab ich Dir geschrieben, daß Schw. Either krank war? Ich denke, das ist ein Irrtum Deinerseits. Auf jeden Fall muß ich ihn berichtigen. Es war nämlich Sch. Gattringer. Fredy geht es ziemlich gleich. Jedenfalls wird er auch über den Winter in Grimmenstein bleiben.

Daß Du um die Adresse von Fritz gebeten, habe ich allerdings gesehen. Ich denke, es wäre ganz unmöglich, daß ich etwas in Deinen Briefen übersehe, dazu nehme ich sie viel zu oft zur Hand.

Ob ich Emmy in Kürze mal sehen werde, ist sehr fraglich. Sie will ja zu Allerheiligen nach Gloggnitz fahren und muß deshalb auf ihren nächsten Ausgang verzichten. Sollte ich sie jedoch sehen, werde ich ihr Deine Botschaft selbstverständlich ausrichten. Schön ist das Wetter auch hier, nur „fürchterlich“ kalt. Wünsche Dir jedoch von Herzen, recht viel Freude an Deinen Spaziergängen und Partien zu erleben. Wenn Du dabei auch hin und wieder einmal an mich denkst, will ich ganz zufrieden sein. Viel Vergnügen aber wünsche ich Dir zu der Bremer Stadtmusikantenmusik! Bekommst Du die öfter zu hören? Heute sagte ich Hansi wieder eine Menge, was sie Dir schreiben soll, da gab sie mir zur Antwort: „Ja, er ist doch nicht mein Tagebuch!“ Also nützt alles nichts.

[Schluß fehlt]

Donnerstag, 14. Okt.20

Mein Lieb!

Vorerst verzeihe mir das schöne Briefpapier. Muß mich nämlich mit dem andern Papier immer ärgern, weil es die Tinte nicht annehmen will und nachdem ich zum Ärgern gar keine Lust habe, ganz im Gegenteil mich freue, so nimm ich lieber dieses. Freudig bin ich, weil ich heute zwei Briefe bekommen habe. Einen von meinem Schatz, den zweiten von Papa voll Heiterkeit. Ganz papaisch! Das macht mich sehr froh, daß Papa trotz seiner 72 Jahre noch so rüstig ist und seinen Humor nicht verloren hat, welcher ihm wohl über manches hinweggeholfen. Als ich den Brief las, wäre ich in meiner Freude am liebsten zu Dir gerannt, um ihn Dir zu zeigen. Papa schreibt mir, daß mein Bruder Rudolf einen Einser im Ausweis bekommen, als er seine Prüfung bestanden hat (es handelt sich um eine Stellung als Landesgerichtsbeamter), und ich es noch erleben werde, daß ich nebst einem Grund- und Hausbesitzer in Ungarn (Richard), einen Bruder Herrn Hofrat Rudolf Schröfl haben werde, und so manches über meine Lieben. Am Schluße: „Sonst geht alles seinen täglichen Weg. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, alle Tage. Nur die Lebensmittelpreise, die fliegen täglich auf, immer höher und höher, aber niedergehen, gar ka Spur!!“

Ebenso freute mich Dein lieber Brief vom 11.10. Glaube nicht, daß Du die Post, durch meine Schuld, längere Zeit vermissen wirst, denn es ist mir geradezu ein Bedürfnis, mit Dir alle Abende einige Stunden zu plaudern. Und daß ich einmal nichts weiß, glaube ich auch nicht, denn es gibt ja so vieles, das ich Dir erzählen will.

Warum ich Dir den Brief vom 30.9. nicht schicken wollte? Der Hauptgrund war das, was wirklich eingetreten ist, nämlich, daß Du Dir selbst Gedanken, Deine Person betreffend, machst. Der Vorwurf, daß Du Schuld trägst an der Entzweiung zwischen Lina und mir, ist vollkommen ungerecht. Glaubst Du, liebe Gretel, daß es allein Dein Schreiben war, welches in mir die große Liebe zu Dir entwickelte? Wir beide fühlten diese Liebe schon früher und wenn wir uns beide auch hinwegtäuschen wollten, glaubst Du, Lina wäre glücklich geworden an der Seite eines unaufrichtigen Mannes? Nein! Heute nach einer geraumen Zeit sehe ich ganz klar, daß der Weg der geradeste ist, und was auch für Hindernisse kommen mögen, sie werden überwunden! Also Du wirst schon alt?! Ach, Du Arme. Das stimmt ja ganz mit der Mummelgreisin zusammen. Muß gleich Deine Fotografie anschauen, wie Du mit einer blauen Brille ausschauen würdest. Und den Krückstock nicht vergessen! Freue mich schon auf’s Wiedersehen.

Heute habt Ihr Bibelstunde gehabt. Auch ich kann jetzt und tu’s auch, solche, wenn auch nur Bibelviertelstunden, abhalten. Haltet Ihr noch Gesangsproben?

Morgen ist hier Feiertag, trotzdem arbeiten wir. Es ist Hedwig, Landespatronin von Schlesien. Und da wir früh erst um 7 Uhr bei der Arbeit sein müssen, kann ich ja heute ausnahmsweise ein wenig über die Zeit aufbleiben. ’s ist nämlich schon halb 11 Uhr. Morgen werden wir wahrscheinlich nur bis 2 Uhr arbeiten, nachdem uns von der Firma nur der gewöhnliche Lohn ohne % gezahlt wird. So muß man’s halt auf diese Weise hereinbringen. Nachher kommt ein kleiner Spaziergang. mit der Freileitungsarbeit werden wir Samstag fertig, dann sind noch drei kleine Kabel zu legen, 5 Transformatoren aufzustellen, anzuschließen und dann wären wir fertig. Wenn alles klappt, kann’s Mitte Dezember werden. Das wäre also grad die richtige Zeit, um bis Weihnachten zu Hause zu sein. Lange Zeit noch! Unser Obermonteur ist übrigens aus der Nikolsdorfergasse, nur weiß ich nicht, was für No. Name: Kulhanek. Mit dem Paß ist noch nichts los. Weder die hiesige Behörde noch Schuckert läßt ein Sterbenswörtchen hören. Na, mir kann’s recht sein, einstweilen noch. Würde Dich, Liebste, wirklich in den nächsten Tagen hier brauchen. Soll nämlich den Stoff zu dem Anzug aussuchen. Das wird wieder was werden. Am liebsten wäre mir schwarz, doch ist’s sehr unpraktisch. Was sagst Du? Habe heute einen mäßig guten Stoff in braun gesehen, aber nur bei Licht, p.m. 160 Kc.

Auch hier ist’s heute ziemlich kühl, denn mir ist das Feuer ausgegangen. Also zum Wärmen ist’s heute nichts. Nun will ich aber Schluß machen, denn sonst komm ich heute nicht mehr ins Bett. Es küßt Dich innig

Dein Robert.

Freitag, 15. X.20

Liebste Gretel!

Als ich heute mittags 4 Briefe auf meinem Platz beim Müller liegen sah, da dachte ich bei mir, nur gut, daß heute Feiertag ist, da hast Du Zeit zur Beantwortung. Jetzt ist’s halb 7 und gar nichts hab ich geschrieben. Das hat die Freude gemacht, die ich über Dein eventuelles Kommen habe. Ja, wenn es nur wahr würde. Dann würde ich heute bestimmt nicht schreiben. Hoffentlich bringt morgen die Post Nachricht darüber, günstige Nachricht natürlich. Müßtest ja schon morgen früh wegfahren. Heißt’s wieder einmal Geduld üben. Aber zu meinem Geburtstag wirst Du nicht mehr zurecht kommen, denn er ist schon morgen, doch glaube ich, Karl Hirschmann hat ihn am 17. oder 18. Oktober. Hätte ihm gern geschrieben, weiß aber leider nicht seine Adresse. Daß Franz Cerny wieder kommt, freut mich, und es wäre wohl zu wünschen, daß er endlich einmal ständig kommt. Habe zwar gar kein Recht, das Handeln anderer zu bereden, denn selber vor seiner Tür soll man kehren und zum Wegfegen ist auch hier manches. Daß ein neuer Bruder kommt, ist wohl sehr gut für die Gemeinde, doch bin ich vollkommen Deiner Ansicht, ich glaube, wir haben schon einmal darüber gesprochen, daß dieser Bruder, oder wenn es der Präsident wäre, nichts an dem ändern kann, was zwischen den Geschwistern vorgeht. Selbst wenn er die strittigen Punkte beurteilen könnte, denn damit ist dem Übel lange nicht abgeholfen. Der Rat Mathildes ist sicher gut und schön, aber er ist wirklich an die falsche Adresse gelangt. Schade, für andere hätte er nützlich sein können! So wie der Brummer, den Du wegen des Zuspätkommens zum Essen bekommen hast, für mich, für die Zukunft nützlich ist.

Wenn doch die Zeit nur schon da wäre, ein wenig Brummen möchte ich schon einstecken.

Brief Nr.2 war von Olga. Ein Geburtstagsbrief. Am Schluß schreibt sie: „Fang ja keine Grillen und denk Dir, so wie es ist ist’s gut“. Das deutet auf Lina, denn Olga weiß davon. Na, zum Grillenfangen ist’s schon zu kalt und wenn mein liebes Schwesterlein wüßte, wie gut’s jetzt ist! Der 3. Brief von Schuckert mit einer Paßanweisung und 5 Fotografien. Geht morgen zurück nach Wien und hoffe, daß ich nun bald einen Paß bekomme, der aber jetzt in meinem Reisekorb eingesperrt bleibt. Das 4. Schreiben war von meinem Freunde aus der Gefangenschaft. So sehr ich erfreut war über dasselbe, so schmerzt mich doch sein Inhalt. Daß es doch Menschen geben muß, die wirklich scheinbar nur zum Unglück geboren sind. Karl ist solcher. Werde Dir den Brief, falls Du nicht kommen solltest, schicken, denn es drängt mich, Dich mit Karls Charakter bekannt zu machen. Auch nicht nur den größten Teil, sondern mein ganzes Empfinden mit Dir zu teilen. Nun, mein Schatz, hoffe ich das beste, nämlich, daß wir übermorgen um diese Zeit schon einen schönen Sonntag zusammen erlebt haben. Aber wenn dieses wirklich zutrifft, so wirst Du das doch erst dann lesen, wenn wir nur mehr die schöne Erinnerung an ihn haben. Mit Sehnsucht umarmt Dich

Dein Robert

Wien, 15. X.1920

Herzlieb!

Heute ist es schon so spät geworden, daß ich abermals nicht weiß, ob der Brief fertig wird. Bin nämlich schon den ganzen Tag allein und bis jetzt nicht zum sitzen gekommen. Nun hat mich aber Hänschen abgelöst. Wenn Du Sonntag faul warst, wundert mich das gar nicht! Wenn’s mir möglich wäre, bliebe ich auch liegen; nur mit dem Unterschied, daß ich mir nicht den Kaffee ins Bett bringen ließe. Der Preis klingt übrigens wie „es war einmal“. Daß Du Emmy alles wahrheitsgetreu geschrieben, freut mich. Nur fürchte auch ich, daß ihr der Brief mehr Leid als Freude brachte. Es wär’ mir sehr lieb, wenn ich das Mädel sprechen könnte! Doch wird sich mir aller Voraussicht nach die Gelegenheit dazu sobald nicht bieten. Vor welcher Prüfung stand Dein Bruder? Ich weiß von Deinen Lieben doch fast gar nichts. Könntest mir mal ein wenig darüber schreiben.

Die Skalen für Sopran und Baß werde ich Dir aufschreiben, bis ich etwas mehr Zeit habe. Vielleicht Sonntag. Bitte also um etwas Geduld! Daß Du aber auch das Lied wieder zurückhaben willst, ist gar nicht schön von Dir. Wenn ich’s nun nicht schicken würde, was wäre dann?

Somit wäre Dein sonntägiger Brief beantwortet, und ich kann zu dem von Montag übergehen.

Daß Du meinen Glückwunsch beinahe um 8 Tage zu früh erhieltest, schadet wohl nicht viel, gelt?

Und nun willst Du wissen, wie ich über ein eventuelles Fortgehen von Wien denke. Liebster, sei es wo immer, wo Du sein wirst, ist meine Heimat! Ich weiß nicht, ob ich Dir jemals sagte, daß ich Wien eigentlich nicht liebe. Wenn mir trotzdem das Weggehen von hier nicht ganz leicht fiele, so ist’s Mutters wegen. Aber schließlich würde auch sie sich daran gewöhnen müssen zu existieren, ohne mich (in liebevollster Weise) tyrannisieren zu können.

Ach, Schatz, wie ich Dir schon einmal schrieb, „wo Du hingehst, da will auch ich hingehen“. Wenn’s nach Tirol ginge, dann umso lieber. Übrigens können wir die Sache ja besprechen, wenn Du zu Weihnachten kommst.

Fortsetzung folgt.

So, von Frl Schwarz zurückgekehrt, will ich wieder ein wenig mit Dir plaudern. Habe eben den Genuß eines kostenlosen Konzertes gehabt. Klavier und Zither. Frl. Schwarz’ Zitherlehrerin kam nämlich gerade sie zu besuchen.

Schau, Kind, auf mich hat der „Fall Pappelauer“ auch nicht einmal bewegend gewirkt. Es ist wohl richtig, daß all das Predigen fruchtbar zu sein scheint, aber - Mensch bleibt eben Mensch. Und alte Leute sind oft wunderlich. Man darf sie nicht mit demselben Maaß messen wie solche, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind.

Bei Mathilde liegt der Fall allerdings etwas anders, aber doch auch zu entschuldigen. Ihr ist wohl ihre Würde zu Kopf gestiegen; das kommt aber sehr häufig vor. Meinst nicht auch? Nun aber von einem Piedestal, auf das man sich selbst gestellt hat, herunterzusteigen, dazu bedarf es größerer sittlicher Kraft, als den meisten Menschen eigen ist. Soll man sie darum verurteilen? Ich denke eher, sie sind zu bedauern! Wann Thilde zurückkommt, weiß ich nicht. Sie schreibt mir ja nicht. Ich weiß nur, daß sie gleichzeitig mit dem Schweizer Missionär eintreffen wird. Ist mit übrigens egal. Hm, wenn ich gegen Br. Fuhriman ebenso „brav“ bin wie Dir gegenüber, könnte ich wohl den ganzen Tag schreiben. Aber es ist mir noch nie eingefallen, jemandem täglich einen Brief zu schreiben. Du bildest hier eben eine Ausnahme. Übrigens wird Fuhriman sicher nicht weinen, wenn er ein wenig länger warten muß; hat er sich früher schon bisweilen eine Schwärmerei von Dir anhören müssen und auch geduldig zugehört, wird er’s nun auch begreiflich finden, wenn er um Deinetwillen zurücksteh’n muß. Es wird ihn im Gegenteil sicher freuen, daß ich meine ehefeindlichen Absichten aufgegeben habe. Wir kamen nämlich einmal darauf zu sprechen, als wir in Grimmenstein waren. Er hielt mir einen Vortrag über Schweinezucht und schloß mit den Worten: „Das hab’ ich Ihnen nur gesagt, damit Sie’s wissen, wenn Sie einmal einen Bauer heiraten.“ „Ich heirate überhaupt nicht.“ „Warum nicht? Es ist Ihre Pflicht zu heiraten.“ „Das weiß ich. Aber wissen Sie, ich bin zu anspruchsvoll, die Männer sind mir alle zu dumm.“ „Nun aber, Sie sollten doch heiraten!“ Bis ich ihm endlich sagte: „Schauen Sie, ich kann doch nicht jemand heiraten, den ich nicht lieb habe!“ „Nun allerdings nicht, aber Sie werden einmal jemanden lieb haben.“ Damit war das Gespräch beendet, denn ich antwortete nicht mehr.

Ein Nachspiel aber sollte es doch noch haben, als wir eine Woche später in Schw. Hubers Garten Ribisel pflückten (Schw. Huber, Br. F. und ich). Wir sprachen von Br. Fuhrimans bevorstehender Abreise. Da bemerkte Schw. Huber so beiläufig: „Na, Gretel, wann fährst denn Du nach Amerika?“ Ich: „Ja überhaupt net, was sollt’ i denn dort tun?“ Schw. Huber: „Heiraten!“ Br. Fuhriman: „Oh, für die Gretel ist ein Amerikaner viel zu dumm.“ Da hatt’ ich’s nun. Natürlich haben wir dann alle drei noch recht herzlich gelacht darüber.

Über Deine Schilderung der Geschichte von der verlorenen Uhr mußte ich übrigens auch lachen. Sie ist sehr originell. Hat mich sehr an die Briefe aus Konstantinopel und Troppau erinnert. Weißt, mein Lieb, die hab ich sogar noch, trotzdem ich vor ungefähr drei Jahren meine ganze Korrespondenz dem Feuer überantwortet habe. Nur ganz weniges hat Gnade gefunden vor meinen Augen, darunter auch Deine Briefe.

Heute erhielt ich Antwort von Br. Gleißner. Er scheint sich diesmal doch darein zu finden, in des Unvermeidliche. Lange genug hat’s gedauert, predige ich ihm doch schon seit fast vier Jahren Vernunft! Eine Stelle seines Briefes hat mich sehr gerührt. „Und darf ich Dir wirklich sonst nichts sein, ein guter und aufrichtiger Freund will ich Dir bleiben. Das darf ich doch. „Nun, ich glaube ja, das wirst auch Du ihm nicht wehren, gelt, Schatz?

Zu Brodils fährt er nun auch wenn ich nicht komme. Das freut mich! Es wird beiden Teilen lieb sein, ein wenig von vergangener Zeit plaudern zu können.

Sonntag will ich ein Solo singen, „O Täler weit, o Höhen“, kennst Du’s? Abend werden wir zu einem Lustspiel gehen. Mutter, Hansi, Trudchen und ich. Bin nämlich grad in der Laune, einmal recht viel zu lachen. Da fällt mir ein, Du erzähltest mir einmal etwas von einem Lustspiel, das Du gesehen. Dabei machtest Du aber die Bemerkung: „Das ist aber nichts für Sie.“

[Schluß fehlt]

Samstag, 16. X.20.

Liebste Gretel!

Ob Du wohl kommst? Ach, so sehnsüchtig wartete ich auf Nachricht und nichts kam von Dir. Dafür aber kam von Emmy ein Brief, als Beilage ein Brief Linas an Emmy. Warum auch das?

Gretel, mein Lieb, wenn Du nur kommen möchtest. Und Du mußt kommen, wenn Du nach Prag fährst, denn Du allein kannst mein Herz heilen!

17. X., 1 Uhr.

Eben komme ich von der Bahn. Wenn Du nämlich mit dem 8 Uhr-Zug weggefahren, müßtest Du entweder mit dem 12 Uhr Schnellzug oder mit dem halb 3 Uhr Personenzug kommen. Wäre bei dem eineinhalb Stunden langen Schlaf beinahe geselcht worden. War wieder einmal so gescheit und legte, weil ich dachte, der Ofen wäre schon ausgegangen, meine Socken auf denselben. Als der Ofen nun anbrannte, brannten auch die Socken an, nicht allein das, die glimmenden Socken fielen herunter auf meine Stiefel und brannten auch hier im Schaft ein großes Loch. Nun riecht’s bei mir wie in einer Selchkammer. Wüßte ich bestimmt, daß Du kommst, so möchte ich Dir bis Oderberg entgegenfahren, nachdem Du dort, wenn Du Samstag nachmittag von Wien abgefahren, schlechten Anschluß hast und einige Stunden warten mußt. So, aber daß wir uns nicht kreuzen, wenn Du mit der Elektrischen fährst, warte ich lieber hier. Diesmal will es mit der Geduld gar nicht so recht. Aber es ist auch zu entschuldigen, gelt?

Du schreibst, Du kommst nur, wenn ordentlich eingeheizt ist. Nun, da dürftest Du eigentlich nicht kommen, denn ich habe beide Fenster offen und ’s ist recht ungemütlich kühl. Ist nur gut, daß jetzt so spät kein Zug geht, sonst würdest Du vielleicht wirklich zurückfahren? Es ist Zeit zu gehen! Auf Wiedersehen???

½ 4 Uhr.

Leider --- ! Gute Nacht, mein einziger Schatz, wo Du auch seist, schlaf wohl!

¾ 11 Uhr.

Bin eben mit dem Brief an Emmy fertiggeworden. Seit gestern habe ich also schon zwei Briefe und drei Karten geschrieben. Ich glaube, in mir würde Br. Fuhriman einen dankbareren Korrespondenten finden als Du bist! Ob er ihm auch ebenso lieb wäre?

Um 8 Uhr früh war ich am Bahnhof, um 12 Uhr gehe ich wieder, ich glaube aber das letzte Mal, denn ich denke, daß Dir etwas dazwischengekommen ist. Na, morgens wird sich’s ja klären, denn heute ist die Post gesperrt. Auch fatale Sonntagsruhe!

Vorgestern kam die Paßanweisung und die Fotografien, gestern erst ein Begleitschreiben, daß ich erstere gar nicht zum Ausfüllen hätte, nur unterschreiben sollte ich sie. Bin neugierig, vielleicht kommt’s wieder zurück. Auch eine Bestätigung, daß mir der Paß wirklich gestohlen wurde, wird verlangt. Habe auch dieselbe schon bekommen.

Heute regnet’s das erste Mal bei Tag und ich freue mich beinahe, daß Dir vielleicht einen andern Tag das Wetter holder ist. Die Umgebung ist hier so schön, daß es wirklich schade wäre, daß man, wenn Du schon kommst, im Zimmer sitzen sollte.

Nun ist der 12 Uhr Zug durch und auch meine Hoffnung auf heute dahin. Aber gelt, im Falle Du das noch in Wien lesen solltest, Du kommst, wenn Du nach Prag fährst. Dann schreibe aber genau den Zug, mit dem Du in Wien wegfährst, eventuell auch den, mit dem Du in Lundenburg abfährst. Wenn möglich fahre ich Dir dann entgegen.

Für heute will ich schließen, da ich noch an Papa und Olga schreiben muß. Mit inniger Umarmung

Dein Robert

Montag, 18. X.20.

Meine liebe Gretel!

Eigentlich ist das ein ganz außertourliches Schreiben, denn es ist 2 Uhr nachmittags. Montag, um 2 Uhr nachmittag? Da könntest Du glauben, daß ich blau gemacht habe. Nein, das nicht, obwohl meine Hände ganz blau sind, denn es ist kalt. Doch muß ich auf unseren Obermonteur warten, welcher erst um halb 4 kommt. Also grad schön, um mit Dir ein wenig zu plaudern.

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 15.10. und zwei Karten von Dir. Außerdem einen Brief von Emmy, kaum daß ich die Antwort auf ihren letzten Brief aufgegeben. Grete, tue, was Du Dir vorgenommen, sprich mit ihr. Mir tut sie sehr leid, war sie mir doch eine liebe Freundin, eine Schwester. Den Brief lege ich bei.

Mit der Karte vom 14.10. machtest Du mir doppelte Freude. Es ist dies nämlich das Bild eines Gemäldes von Rüdisühli „Es stand in alten Zeiten“. Muß Dir verraten, daß ich früher gern in Öl dilettierte. Und da war es gerade dieses Bild, an welchem ich mit großer Lust arbeitete und welches mir auch, nach Aussage meiner Lieben, am besten gelang. Die Bäume, die Wolken, jeder Stein, die Buche und das Gesträuch links im Vordergrund, das alles sind mir liebe Bekannte, mit welchen ich mir, vor mehr als 10 Jahren, meine Mühe gab, und alle rufen schöne Erinnerungen aus früherer Zeit zurück. Rüdisühli gehört überhaupt zu meinen Lieblingen, mag sein, weil seine Arbeit viel mit Böcklin gemein hat.

Also ist es nicht schön, daß ich das Lied zurückverlange! Nun, wenn ich Dir’s aber mit Baß und Tenor wiedersende?

Von den Meinen will ich Dir mit Freude mitteilen, doch wenn genug Zeit ist.

Ich weiß, mein Lieb, daß wir, wo es auch sei, wenn wir uns ganz haben, glücklich sein werden. Aber eben Mutters wegen.

So, jetzt werde ich schauen, ob unser Oberer schon hier ist. Bitte, wart a bissel!

Nun, mein Schatz, ein schwarzer Anzug hängt schon im Kasten. Habe meine Freude dran. Jetzt kommen Schuhe, dann ein Hut und so weiter werde ich bald ganz Mensch sein. Aber bitte, denk mir nicht ein ganzer Mensch, denn dahin ist’s noch weit.

Jetzt wieder zu Deinem lieben Schreiben. Es freut mich, daß Du meine Briefe so gnädig behandelst, leid tut’s mir aber, daß ich leider alle Deine Karten in Tjumen opfern mußte, denn die russische Zensur war ungnädiger. Habe sie aber vorher ganz durchgelesen, von A - Z. Aber jetzt macht’s nichts, ich hab’ ja Dich!

Ob Dir Br. Gleißner ein Freund sein darf? Mein Kind, wie kannst Du denn so fragen?! Wie könnte ich denn ihm und somit auch Dir dies wehren? Ich müßte Dich nicht so lieb haben. Und ich bin auch der Meinung, daß gerade Freiheit das Band, das zwei liebende Menschen binden soll, schöner und fester macht. Du fährst also nicht?! Freute mich zwar sehr auf das Wiedersehen, aber man muß eben immer zufrieden sein, auch dann, wenn’s nicht so kommt, wie man hofft.

Denkst Du Dir nicht, wenn Du manchmal meine Briefe liest, daß ich recht unvernünftig bin? Aber mein Herzlieb, es bringt die Zeit alles wieder ins alte Geleise. Und auch ich bin auf dem besten Wege dahin. Es wird dies für mich eine Wohltat sein, so wie es auch die verdiente Rüge in Emmys Brief war. Hätte ich ehrlich gehandelt, ich hätte besser handeln können. Aber bei nicht böswillig Geschehenem erwäge ich nie das Wenn und Aber. In Zukunft soll’s mir eine Lehre sein.

Mit innigstem Dank für Deine lieben Karten küßt Dich

Dein Robert.

Wien, 18. X.1920

Liebster Robert!

Fand heute am Vormittag, als ich mal auf ein paar Minuten nach Haus kam, drei Briefe vor. Einen von Mitzi J. und zwei von Dir, mein Lieb! Habe Dir also nicht weniger als drei Briefe zu beantworten, weil ich doch Samstag und Sonntag nicht schrieb. Für Sonntag werde ich mir überhaupt nichts mehr vornehmen, man kommt doch zu nichts. Es kommt immer ein Besuch, den man höflichkeitshalber doch nicht links liegen lassen kann. Gestern waren wieder eine Kusine von mir und Helene, Mitzis Schwester, bei uns. Auf einige Minuten auch Konrad und Frau. Ich hab Luise nämlich gebeten zu mir zu kommen, damit ich ihr die Altstimme verschiedener Lieder einüben kann. Nun hat sie mir versprochen, heute vormittag zu kommen. Gestern nachmittag aber hat Konrad in ihrem Namen das Versprechen bereits zurückgenommen, allerdings mit irgendeiner Entschuldigung, die ich freilich nicht so recht anhörte. Es drängt sich mir ganz unwillkürlich wieder der Gedanke auf, daß Hirschmanns jedem Verkehr mit mir absolut ausweichen wollen. Na, schließlich kann man auch nichts machen; mir kann’s ja gleich sein. Nur um ihrer selbst willen tut mir’s leid. Ich denke, ich hätte den jungen Frauen, besonders Luise, doch ein wenig helfen können, sich sozusagen zu akklimatisieren. Doch hätte ich wohl nur Konrads Erziehungswerk ein bißchen gefördert. Am Ende wäre dann die Ehe noch früher zur Musterehe geworden und wir hätten dann jegliches Licht erspart, wenn die beiden als „leuchtendes Beispiel“ vor uns gestanden wären! (Bin unverbesserlich, gelt?) Aber es ist besser, ich laß den armen Konrad in Ruh’! Und wir sprechen von etwas vernünftigerem! Also das Geld für den Anzug hast Du schon. Das freut mich herzlich, vielleicht läßt das Emmys Haß gegen Deinen Papa doch ein wenig schwinden, wenn der Verlust Deiner Garderobe doch verhältnismäßig rasch gedeckt wird. Und nun soll ich Dir helfen, die Farbe Deines Anzugs zu bestimmen. Kind, da würde wohl immer wieder nur schwarz oder höchstens dunkelblau herauskommen. Aber Du hast recht, beides ist nicht praktisch und schließlich kommt’s auch nicht so sehr darauf an, ob schwarz oder grau, braun oder blau, sondern hauptsächlich darauf, daß das Ganze nett und gefällig wirkt. Vor allem aber, kaufe einen wirklich guten Stoff, wenn er auch teurer ist. Das alte Sprichwort: „wer billig kauft, kauft teuer“ hat sich meistens bewährt.

Ob es möglich wäre, daß mein Herz eingefriert bis Du wiederkommst?! Liebster, es fällt jedes liebe Wort von Dir als zündender Funke in mein Inneres und läßt mein Herz entbrennen in heißer Liebe zu Dir! Da ist doch auch bei der größten Kälte keine Gefahr!

Daß Du in Rußland die Post geduldiger erwartetest als jetzt, sehe ich ganz gut ein. Es geht mir auch nicht viel anders. Denk Dir nur, Schatz, welche verschrobenen Ideen Berta manchesmal hat. Sagt sie, als ich Samstag Deinen Brief öffnete und auch das Blatt für Hansi daraus nahm: „Na, jetzt kannst Du schon bald eifersüchtig werden.“ „Auf meine Nichte?“ „No ja, i bitt Di, in an Jahr is do die Hansel heiratsfähig. Und a schöns Madl wird s’ a!“ Da hab ich mal wieder so recht herzlich gelacht. Wie kann sie mir überhaupt so eine Torheit zumuten, eifersüchtig zu sein! Ich denke, wenn man zu dem Menschen, der einem das Liebste auf Erden ist oder wenn wir im allgemeinen sprechen, doch wenigstens sein soll, nicht so viel Vertrauen hat, dann ist es besser, man sieht von einer Vereinigung ganz ab. Nicht daß man die andere Person quält mit solchem Unsinn. Hab’ ich nicht recht?

Der Bericht über Papas Brief hat mich sehr erfreut. So lerne ich doch langsam ein weniges von Deinen Lieben kennen und wie ich hoffe, und zum Teil auch schon bestätigt finde, von einer besseren Seite als sie mir bis jetzt gezeigt wurden.

Daß Du Dich über den Brief freutest, kann ich mir denken, aber nun bis zu mir zu laufen wär’s doch ein wenig zu weit. Vorläufig heißt es eben noch ein wenig - nein, eigentlich recht viel - Geduld haben! Werde mich also einstweilen noch nur aus der Ferne mit Dir freuen! Weißt, Schatz, zwei Monate sind eigentlich sehr lang! Mußte jetzt selbst lachen über den Seufzer, der mir unwillkürlich entglitt. Du schreibst ja, es sei jetzt zu kalt, um Grillen zu fangen, also will ich mich doch nicht solch nutzloser Mühe unterziehen. Lieb, so wie Dir ist’s auch mir Bedürfnis, alle Tage mit Dir zu plaudern und ist’s mir einmal nicht möglich, dann fühle ich mich ebenso unglücklich.

Gesangsproben halten wir allerdings noch, aber sie befriedigen mich auch nicht. Aber das ist unter den jetzigen Umständen wohl nicht anders möglich.

Weißt, Liebling, aber folgsam bist Du gar nicht! Da schreib’ ich Dir, Du sollst Dich nicht freuen über mein Kommen, aber was nützt’s? Du freust Dich doch! Noch dazu so, daß Du nicht im Stande bist, die erhaltenen Briefe zu beantworten. Ist das auch recht? Na, aber es sei Dir in Gnaden verziehen, da Du mir wenigstens geschrieben hast. Dank für die Berichtigung Deines Geburtsdatums! Karls Geburtstag ist heute. Aber wenn auch Deine Gratulation zu spät käme, will ich Dir doch seine Adresse mitteilen. ’s ist: VI., Linke Wienzeile 156.

Franz Cerny muß ich gegen Deinen Vorwurf eigentlich ein wenig in Schutz nehmen. Werde das aber lieber mal mündlich tun.

Wenn Du aus meinem Brummen Nutzen zogst, ist es gar nicht so schlecht. Zumal wenn ich Dir in Erinnerung bringe, daß ich aus Konstantinopel eine Karte erhielt, mit der vielsagenden Überschrift: „Lieber alter Brummbär!“ Dem Namen muß ich denn doch dann alle Ehre machen! Meinst nicht auch?

Werde mich freuen, das Schreiben Deines Freundes zu empfangen. Ist er in Wien? Wenn ja, wär’s doch wohl das vernünftigste, Du schickst ihn mir. So könnte ich ihn wohl am ehesten kennenlernen und meine Menschenscheu werd’ ich eben Dir zuliebe ein wenig überwinden.

Sehr glücklich hat es mich gemacht, daß Du Dein ganzes Empfinden mit mir teilen willst. Ich kann Dir all Deine Liebe nicht anders danken, als indem ich Dich wiederliebe, so tief, so heiß als es eines Menschen Fähigkeit zu lieben im Stande ist! Nun aber eiligst Schluß! Ich habe Hansi versprochen, sie von den Stunden abzuholen, weil sie sonst nie unbehelligt heimkommt! Viele innige Küsse von

Deiner Gretel

Dienstag, 19. Okt.20.

Meine liebe Gretel!

Heute weiß ich wirklich nicht, wie weit ich kommen werde mit dem Schreiben. Es ist schon später, denn es war Herr Kulhanek bei mir. Was ich da im Laufe des Gespräches erfuhr, stimmt gar nicht mit unseren Plänen zusammen. Er will, denk Dir, zu Weihnachten, da er schon seit Jänner ununterbrochen hier ist, zu Hause, und ich soll ihn in dieser Zeit vertreten. Da wäre uns ein schöner Strich durch unsere Rechnung. Wollen’s abwarten!

Deine l. Karte vom 16. X. zugleich mit Hansis erhalten. Besten Dank. Freue mich recht, daß das Geschäft gut geht, jedoch wird es Dich sehr anstrengen. Mußt also auch auf Dich schauen!

Aber da ich eben heute keinen Brief zu beantworten habe, will ich Dir ein wenig von den Meinen erzählen, doch damit Du halbwegs Einblick in unsere Familie gewinnst, müssen wir weit zurückgehen, soweit meine Erinnerung reicht. Und da sehe ich mich im Spiegel, strahlend vor Glück über ein rosa Kleidchen mit kugelrunden weißen Knöpfen. Das ist das erste Bild von dieser Welt.

Später zeichnete ich von einem illustrierten Blatt Gänse, mein Papa gibt mir Anleitung und als sie fertig waren, hatte ich große Freude, denn in meinen Augen waren sie genau so Gänse wie im Original. In dieser Zeit kommen auch schon die Meinen mehr und immer mehr in meinen Erinnerungsgesichtskreis. Meine Mama, in deren Armen ich alle Tage einschlief, sang mir immer dabei meine Lieblingslieder „In des Gartens finst’rer Laube“ und auch „’s Röserl vom Wörthersee“ vor. Auf Samstag freute ich mich schon, denn da wußte ich, daß mir Mama und Richard etwas mitbrachten. Ich war ja das Nesthäkchen. Wir waren damals sehr arm. Meine Eltern heirateten in guten Verhältnissen, Papa hatte ein Silberwaren engros Geschäft.

Durch irgendwelche Umstände, ich fragte nie danach, ging alles drauf. Nachdem der Verdienst Papas für die Familie von 6 Köpfen nicht ausreichte, war auch Mama gezwungen zu arbeiten, umsomehr, als meiner Eltern Trachten immer war, ihren Kindern, ich war damals noch nicht, etwas lernen zu lassen. Und sie führten dieses auch aus. Meine Brüder Richard, Heinrich und Rudolf lernten Goldarbeiter, Tischler und Gürtler, meine Schwestern Emma und Olga Schneiderei und Putzerei. Knapp nach meiner Geburt zogen wir nach Ottakring, der billigeren Lebensverhältnisse wegen.

Papa verlor durch Krankheit die Arbeit, Mama stand allein da, lange Zeit als Alleinerhaltende. Was sie in dieser Zeit für uns getan hat, ist wohl mehr als … zu nennen. Ich habe das erst später erfahren, denn damals erschien mir ja alles noch im rosigen Licht und ich war glücklich, als alle abends daheim waren. Da ging’s trotzdem recht traut und heimlich zu. Meist las Mama vor, den Strickstrumpf in der Hand, Rosegger, Ganghofer. Oder es erzählte diese oder jener ein Tageserlebnis, oder es wurde beraten, wie man eine Sache am besten machen konnte. Streit und Zank gab es bei uns nicht.

Liebste Gretel, es ist dies nicht Überhebung, wenn ich das schreibe, aber es ist dies einzig und allein das Verdienst meiner Eltern, besonders aber der Mama. Ich habe noch nie in einer größeren Familie solche Einigkeit und Liebe gesehen, wie sie unter meinen Geschwistern herrschte. Wohl gab es ein „Pflanzen“ und uzen, und besonders Rudolf war der Zielpunkt meiner älteren Brüder.

Ich erinnere mich gut einer Begebenheit. Rudolf war und ist noch sehr ordnungsliebend. Natürlich, wenn meine älteren Brüder etwas nicht schnell fanden, bei Rudolf war alles am Platze. Da ersuchte Rudolf Papa, er möge ihm einen Verschluß am Kasten machen, damit nur er ihn aufsperren könne. Das war natürlich wieder was für Richard und Heinrich. Nächsten Tag, bevor noch Rudolf zu Hause, kriecht Heinrich mit einem Glas Wasser in den Kasten und macht sich drinnen ein Schnürl an, damit er von innen zuhalten kann. Als Rudolf kommt, wird er gleich von Papa empfangen: „Na, Rudolf, jetzt schau, ob du den Kasten aufbringst, das Fixierschloß ist schon dran.“ Rudolf probierte einmal, zweimal, ja, der Kasten geht nicht auf. „Na, das ist jetzt recht“ freut er sich, „ja, zeig mir doch, wie er aufgeht“. „Na, probier doch!“ sagt ihm Papa, „wirst schon draufkommen.“ Rudolf beschaut den Kasten oben und unten, endlich schaut er ins Schlüsselloch und - schwups - kommt ihm zum Gaudium aller andern ein Wasserstrahl entgegen. Und so verging selten einmal ein Abend, wo nicht mit diesen oder andern Spaß getrieben wurde.

Viel später einmal backte Emma einmal auch dem Rudolf, der sehr deutschnational war, ein schwarz-rot-goldenes Couleurband statt einer Zwetschke in ein Zwetschkenknödel.

Nun, mein Schatz, ist’s schon wieder spät, aber brauchst nicht denken, daß ich deswegen krank werde. Herzinnige Küsse sendet Dir

Robert

Wien, 19. X.1920

Du, mein Liebstes!

Muß Dir heute eine sehr unerfreuliche Nachricht künden. Wollte mit Bleistift schreiben, weil’s rascher geht, aber das ist mir doch zu ungewohnt. Also meine Neuigkeit! Man hat heute nachts bei uns eingebrochen. Im Geschäft natürlich! Wir werden circa 10.000 - 12.000 K Schaden haben. Weißt, ich bin heut gar nicht ganz normal. Selbstverständlich war eine große Wirtschaft hier. Und dann diese neugierigen Leute. Manchmal hätte ich sie lieber hinausgeworfen. Sehr liebenswürdig, gelt?

Siehst Du nun ein, Schatz, wie viel es besser gewesen wäre, wenn ich im Geschäft geschlafen hätte? Dann hätte das nicht passieren können. Außer, wenn man mich ermordet hätte. Na, ich bin neugierig, was aus der Sache wird. Wahrscheinlich gar nichts. Und wenn man die Diebe erwischt, was nützt’s? Die Ware ist weg, die bekommen wir nicht wieder; ein Tag ist vertrödelt und läßt sich auch nicht hereinbringen. Vormittag mußten wir gesperrt lassen, bis der Herr Kommissär hier war. Und nachmittag sind wir gesessen und haben uns den Kopf zerbrochen, wer’s gewesen sein könnte.

Kind, heute wird mein Brief wieder einmal nicht fertig. Ich muß ja zur Bibelstunde. Sei mir nicht bös, aber ich war den ganzen Tag zu verworren um schreiben zu können. Will Dir nun noch schnell eine Karte schreiben und dann sperren.

Gute Nacht, mein Lieb, hoffentlich schläfst Du besser als ich heute schlafen werde.

am 20. X.1920

Mein herzliebster Schatz!

Erhielt auch heute keine Post von Dir, leider! Nun muß ich mich eben damit abfinden, wenn’s auch nicht so recht gelingen will.

Heute ist mein Kopf schon wieder vollkommen in Ordnung. Alles andere aber natürlich nicht. Wird auch wohl so schnell nicht werden.

Mit der Bibelstunde war ich auch gestern nicht ganz zufrieden. Unser jüngstes Schwesterlein Mathilde Hawelka ist schon von der Schweiz zurückgekehrt. Das Mädel ist so dick, daß es kaum stehen kann. Übrigens hab ich die Kleine recht gern. Nur, daß man sie sowohl wie ihre Mutter und Schwester getauft hat, damit war ich und bin ich eigentlich nicht einverstanden. Ich glaube, sie sind sich alle drei der Tragweite ihres Handelns nicht bewußt, ebenso dürften sie von den Prinzipien des Evangeliums sehr wenig kennen und verstehen. Überhaupt wurden im heurigen Jahr mehr solcher Taufen abgehalten. Warum Fuhriman es gegen seine innere und entschieden bessere Überzeugung doch getan hat, verstehe ich nicht.

Wir sprachen einmal von den Leuten in Mattighofen (Ob.Öst.). Da erzählte er mir, wie Br. Huber immer sagte, daß sie alle so begeistert sind und sich taufen lassen wollen. „Wissen Sie, ich tue das gar nicht gern, begeistert sind sie schon, o, sehr! Aber von dem Evangelium verstehen sie gar nichts.“ Trotzdem aber taufte er, als wir in Linz waren, Herrn Lehner und Frau. Wenn ich auch zugebe, daß Lehner vielleicht ein wenig unterrichtet war. Er war einige Zeit in Wien; (sollte nämlich Mathilde heiraten. ’s ist aber nichts daraus geworden.) also Lehner war hier, kann ferner auch briefliche Unterweisungen empfangen haben von seinem Bruder, der in Amerika als Missionar tätig ist. Aber Lehners Frau war absolut unvorbereitet. Hatte auch nicht einmal die Absicht, sich taufen zu lassen, bis ihr Mann schon im Wasser stand. Vorgestern war übrigens Fritz in Linz. Er ist nämlich Sonntag abend weggefahren, um Anna Gattringer von Huber abzuholen. Wie gern wär’ ich mit ihm gefahren, um ein bißchen mit Schw. Huber zu plaudern. Aber es würde ihr doch nur wieder Unfrieden ins Haus bringen. Nun werde ich Dir bald nicht mehr schreiben können, weil mich so erbärmlich friert. Habe eben Hansi den Vorschlag gemacht, sie soll ein wenig raufen mit mir, da würde uns beiden wärmer. Aber - sie will nicht! Momentan ist sie sehr mißgestimmt, weil Mutter so lang nicht mit dem Essen kommt. Von mir aus braucht sie gar nicht kommen. Bin nicht ein bissel hungrig. Just, als ich diese Zeile schrieb, kam Mutter. Nun war ich wieder ein wenig zu Haus. Dann auf dem Markt. Schade, daß man jetzt keine „Gedichte“ mehr bekommt.

Berta ist heute riesig fleißig, sie näht sich eine neue Bluse. Bin neugierig, wie die wieder ausschauen wird. Sie hätte nämlich sehr viel Talent als Arrangeurin, aber ihre Ausführung ist über alle Begriffe schlampig. Da darf man alles nur von weitem ansehen, denn bei näherer Betrachtung befällt einen ein gelindes Grausen. Und wenn ich ihr etwas sage, dann heißt’s immer. „Aber sei still, du alte Bißgurn, es braucht’s eh niemand anschau’n. G’hört eh nur für mi.“ So muß ich eben stille sein, und wenn’s gar nicht zu gebrauchen ist, es selbst machen.

Weißt Du, daß ich jetzt gar nicht mehr zum Lesen komme? Ich habe während der letzten vier Wochen einen einzigen Roman gelesen. Das ist überhaupt noch nie dagewesen. Nicht einmal, wenn ich bei Hubers war. Dort ist das Lesen zwar verpönt, ausgenommen man liest die Bibel, aber wenn alles schon schlief, dann hab ich doch gelesen. Oben am „Troadboden“ (nebstbei bemerkt, das schönste Zimmer, das sie haben), da war ich ja ganz ungestört. Ein paar Mal hab ich mich auch auf den Brunnentrog gesetzt und beim Mondenschein gelesen, um das Licht zu sparen. Wenn so zufällig jemand aufgestanden wäre und hätte mich gesehen, wär’ ich natürlich ausgelacht worden. Vielleicht nicht einmal mit Unrecht. Aber so ganz ohne jede geistige Anregung halt ich’s eben nicht aus. Wenn ich so stumpfsinnig dahinleben müßte wie die Bauern da draußen, ich glaube, ich würde verrückt. Das letzte, was ich gelesen habe, war Kirchsteigers „Beichtsiegel“, kennst Du’s? Über die Zustände in oder bei der katholischen Priesterschaft. Jetzt hab’ ich mir mal wieder „Soll und Haben“ geholt. Ich hatte es schon mehrmals zu Haus. Aber ich habe nie Zeit gefunden, es zu lesen. Wie’s scheint, geht’s mir auch jetzt wieder so. Aber Hansi liest es wenigstens und das ist auch gut. Lauter Unsinn, wie sie’s so gern tut, soll sie ja doch nicht in ihren Kopf hineinpfropfen. Sonntag mußten wir wirklich fortwährend lachen im Theater. Es hat mir recht gut gefallen, trotzdem auch das Unsinn war. Ich glaube, das könnt’ ich Dir nicht einmal erzählen. ’s war zu viel durcheinander. Soeben kam Berta und brachte mir Deinen lieben Brief vom 16. und 17. Oktober

[Schluß fehlt]

Mittwoch, 20. X.20.

Mein Lieb!

Will Dir nun, da ich noch immer keinen Brief zu beantworten habe, weiterberichten. Als Richard frei wurde, fingen die Verhältnisse bei uns an besser zu werden. Auch Papa bekam Arbeit in der Werkstätte meines Onkels, welcher Bildhauer war. Bei mir kam die Schulzeit heran (Anm.:1898). Obwohl ich schon einen großen Teil der ersten Klasse konnte, hatte ich doch recht Angst vor der Schule. Ich machte, und mache auch jetzt noch, vieles links. Und deswegen fürchtete ich mich so sehr. Weinend ging ich zum ersten Mal in die Schule, tröstend meine Mama mit mir. Der Lehrer, ein älterer Mann, kurierte mich aber in wenigen Minuten. Er nahm mich auf die Schoß, streichelte mich und sagte: „Nun, lieber Kleiner, darum brauchst du doch nicht weinen!“ Und fing an mit zuzureden, daß ich das schon lernen werde u.s.w. Als ich nun sah, daß der gestrenge Herr so lieb zu mir war, da war ich auch schon getröstet und nächsten Tag ging’s schon mit Freuden dahin zu meinem Herrn Lehrer. Leider waren wir nicht lange zusammen, denn wir übersiedelten nach Weidlingau. Mamas Gespielin war draußen Hausfrau und dorthin zogen wir. Da verlebte ich meine Kinderjahre. Von meinen Geschwistern wurde eines nach dem andern frei und dadurch ging’s uns immer besser. Es vergingen einige Jahre ohne Veränderung. Papa und Mama waren zu Hause und hätten ausruhen können, doch es kam anders.

Ja, vorher waren wir noch über ein Jahr in Wien und zwar in der Marchettigasse. In demselben Haus und Stock, wie Br. Swoboda wohnt. Hier lernten wir Ehlers kennen. Aber nicht lange hielten wir es in Wien aus, die Natur zog und wir zogen auch - nach Weidlingau. Doch sollte meine liebe Mama nicht lange draußen sein. Im Feber 1906 erkrankte sie, im Mai begruben wir Mama.

Knapp darauf, in neun Monaten, starb meine Schwester Emma infolge eines Rodelunfalls. Unsere Familie zerschmolz. Meine beiden älteren Brüder heirateten, der jüngere war beim Militär. Nur Papa, Olga und ich waren noch da.

Olga suchte mir das zu ersetzen, was ich an Mama verloren, und war mir auch bis zu meinem Freisein eine mütterliche Schwester. Dann heiratete auch sie.

Mein Bruder Richard lebt jetzt in Ungarn, er hat eine Meisterstelle in einer Uhrenfabrik in St. Gotthard. Er ist der von Papa erwähnte „Haus- und Grundbesitzer“. Heinrich, ebenfalls dort, befindet sich leider noch in russischer Gefangenschaft. Im Jahre 1918 traf ich mit ihm in Tjumen zusammen, mußten aber schon nach zwei Tagen wieder auseinander. Ob er wohl noch kommt? Rudolf, das gewesene Wuchtel, lebt in Weidlingau, dort, wo wir früher wohnten. Nun, ihm schrieb ich schon. Und von Olga weißt Du ja auch. Auch an Papa wirst Du Dich vielleicht erinnern können.

Komme eben auch von einem kostenlosen Konzert. In unserem Werksgasthaus wurde geprobt, und zwar Troubadour. Zwei erste, zwei zweite Violinen, Cello und Klavier. Die Musik erinnerte mich sehr an die 20.000 Meilen und die darauf folgenden glücklichen Stunden. Morgen ist es ein Monat!

Wann, mein Herz, werden wir wieder so beisammen sein können?! Will gar nicht jammern, doch hab’ ich so große Sehnsucht nach Dir!

Heute blieb die Post ganz aus, nun, dafür morgen!

Der Winter macht sich schon sehr bemerkbar, wir haben Rauhreif und das Arbeiten draußen ist nicht mehr sehr angenehm, doch mir macht’s nichts, denn gegen Kälte bin ich ja schon abgehärtet.

Sag, Gretel, wie ist’s denn bei Dir im Geschäft mit dem Heizen? Bekommt Ihr Kohlen? Wirst wohl auch recht frieren! Gelt, schaust auch recht auf Deine Gesundheit! Für heute empfange viele Busserln von Deinem

Robert

Donnerstag, 21. X.20.

Mein Herzlieb!

Deine liebe Karte vom 19. X., die ich heute erhielt, beunruhigt mich, denn aus ihr entnehme ich, daß etwas vorgefallen ist, was Dich betrübt. Ob es noch immer diese dumme Abdankungsgeschichte ist? Ich hoffe, daß ich morgen den angefangenen Brief bekomme und darüber näheres erfahre, und auch, daß sich die Sache, was es auch sei, wieder geregelt hat und Du, mein lieber Schatz, wieder so glücklich bist, wie wir es vor einem Monat waren. Wie schnell doch die Zeit vergeht, und doch, wie lange ist’s noch bis zu Weihnachten. Ich will gar nicht denken, daß es auch dann noch unbestimmt ist.

Wünsche, es wäre schon nächster Sommer, dann werden wir uns doch nicht mehr schreiben brauchen! Möchte wie dieses Briefpapier in ein Kuvert schlüpfen können und um 1K25 zu Dir, mein Lieb. Möchtest zwar Augen machen, wenn auf einmal so ein struppiger Kopf ’rauskommen möchte.

Heute kam die Frau eines Monteurs aus Wien. Montag fährt ein Monteur auf 8 Tage dorthin. Glückliche Menschen!

Eine Bitte noch: Wenn Du dieselbe Karte bekommen würdest, die Du Dienstag abend schriebst, es ist „Das Ende“ von Koppeny, und mir dieselbe senden würdest, möchtest Du einem jungen feschen Herrn einen Wunsch erfüllen. Es ist nämlich ganz verliebt in sie. Wie fiel Dein Sonntagssolo aus? Ich weiß nicht, ich glaube, das Lied gehört zu haben, doch ich kann mich gar nicht mehr an die Melodie erinnern. Für den 7. November habt Ihr ein Programm? Eben schlägt die anständige Stunde. Leb wohl, mein Lieb, und fange keine Grillen (nach Olga)!

Sehnsüchtig küßt Dich innigst

Dein Robert.


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