Robert Schröfl


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KRIEGS-TAGEBUCH (für Lina D.)

Jerifö, 21.X.1915

My dear sweety Putti!

Etwas über ein halbes Jahr ist es nun, seit ich Dir das letzte Mal geschrieben und daß ich Antwort erhalten habe. Was liegt nun alles zwischen den 6 Monaten und ich wünschte nur, daß Du und alle zu Hause von meiner Gefangenschaft verständigt seid.

Ja, wer hätte sich denn das gedacht, daß uns beiden so viel bevorsteht, bis wir unser Ziel erreichen. Weißt Du, mein Darling, ich werde Dir von heute ab, wenn es die Zeit zuläßt, immer ein wenig schreiben, wie ja so oft vorher, und Dir die Erlebnisse des Tages und der Vergangenheit mitteilen. Du mußt aber immer fröhlich sein dabei, wenn Du das liest, denn da ist ja die schwere Zeit vorbei und alles überstanden. Und lachen wirst Du ja auch manchmal über die Verhältnisse, in die Dein Robert gelangt ist.

Also, gefangen wurde ich mit vielen meiner Kameraden, als sich unser Regiment von der gewaltigen Übermacht des Feindes gezwungen zurückziehen mußte. Nach 10tägigem strapazen reichem Marsch wurden wir cirka 4000 Mann aus allen möglichen Regimentern in Brzevorsk einwagoniert und fuhren über Lublin nach Moskau. Hier wurden die Deutschen und Ungarn von den slawischen Nationen getrennt, denn die letzteren hatten den Vorzug in Rußland bleiben zu dürfen, während die ersteren in das so gefürchtete Sibirien mußten. Von Moskau ging’s zuerst nach der Stadt Glasoff ins Gouvernement Wjatka, wo wir 13 Tage verblieben. Schon von Moskau sendete ich die erste Nachricht an Papa von meiner Gefangennahme. Von Glasoff schrieb ich’s 2te Mal.

Am 12 Mai ging’s weiter über Omsk, Irkutsk, rund um den Baikalsee nach Misovaja. Von hier schrieb ich die dritte Karte. Hier ging’s uns sehr schlecht und wir waren froh, daß wir am 12.Juni von dort nach Werchny-Udings und nach 3tägigem Aufenthalt nach Antipicha und Talita kamen. Erstaunt waren wir über das Klima, denn es hatte eine Hitze von 40 bis 45°. Dort hatten wir es einst am schönsten, wenn auch nicht am besten. Aber als man uns in der Zeit der österreichischen Offensive den Brotkorb fast unerreichbar hoch hängen wollte, meldeten wir uns, als sich die Gelegenheit bot, zur Arbeit und fuhren Anfang August hierher. Diese Station liegt an der ....ischen(?) Eisenbahn, welche noch nicht lange besteht.

Ich will von hier ab ausführlich schreiben, denn ich würde sonst nie zum heutigen Tage kommen, wenn ich ebenso über die ganze ereignislose Zeit berichten wollte. Das will ich dann selbst erzählen, wenn wir uns wieder haben. Von Antipicha fuhren wir zweieinhalb Tage mit dem Personenzug und es war Sonntag früh, als man uns auf einmal abgekuppelt stehen gelassen hatte. Wir krochen aus unserer Behausung hervor, kochten uns den unvermeidlichen Tschei und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Um cka. 8 Uhr kamen einige Herren in Zivil und fragten uns, wo wir arbeiten wollten. Als Erdarbeiter, Schlosser, Schmied, Anstreicher oder Handlanger. Wir 30 Mann kamen zu Kuselaieff, einen Baumeister, der den Bau von 4 Maschinenhäusern überhatte. Unser Heim war jetzt ein nagelneues Holzhaus, licht und freundlich. Da Sonntag war, wurde nicht gearbeitet. Also verbrachten wir die Zeit um unseren Kommandanten zu wählen, einen Feuerwerker aus Przemysl, ein fescher Kerl, und bedauerten nur, nicht in die Stadt gehen zu können, da dies gerade heute verboten war, wegen eines Besuches des Gouverneurs. Gleich unter unserer Hütte war ein Teich, welcher unsere Waschküche war. Also nicht nur am Bosporus, my Darling.

Für heute mit vielen Busserln,

Dein Robert

21.X.15

Heute, mein liebes Putti, will ich Dir über den gestrigen Tag berichten, damit ich später nicht vergesse.

Ein sehr lieber Kollege fuhr uns zurück ins Lager. Ist ebenfalls Mechaniker, aus Wien, aus meinem Regiment, gleichzeitig gefangen, jung verheiratet. Bei unserer Einquartierung lernte ich ihn kennen und hatte ihn im Laufe der Zeit lieb gewonnen. Wir beide waren auch bis gestern beisammen, machten miteinand Freud und Leid durch, bis jetzt. Er ist infolge einer Gehirnerkrankung als arbeitsunfähig erklärt worden und mußte ins Lager zurück. Dort werden wir uns hoffentlich bald treffen. Du mußt nämlich wissen, daß auch wir nicht mehr arbeiten, da wir keine Kleider bekamen und man es doch nicht verlangen kann, bei -20° in der dünnen Sommerwäsche und der leichten Montur zu arbeiten.

Wie das alles gekommen, später. Jetzt wieder von der Vergangenheit. Den ersten Arbeitstag nach unserer Ankunft gingen wir um 6 Uhr, manchmal war auch 5 Uhr Arbeitsbeginn, auf unseren Arbeitsplatz, den Bau der Maschinenhäuser. Die einzelnen Professionisten wurden eingeteilt. Ich sollte bei den Schlossern arbeiten, aber erst nach einigen Tagen, da das Werkzeug noch nicht hier war. Bis dahin sollten wir Schlosser Hilfsdienste leisten. Wir trugen Ziegel, rollten Zementfässer und sonstige Arbeit bis Dienstag Mittag. Da hieß es: 20 Mann werden zur Bahn gebraucht. Und unglücklicherweise erreichte Kappel (der Mechaniker) und mich das Los. Na ja, man hatte ja gelernt, sich in’s Unvermeidliche zu fügen, denn leicht war es uns nicht, da wir ja bei unserer Partie liebe Kollegen hatten und auch gute Menage. Doch, wie gesagt, da ließ sich nichts machen und wir fuhren eben des Abends im Personenzug III.Kl. nach dem 60 km östlich gelegenen Mjatka. Schon auf der Fahrt trafen wir einige unserer Leute von der Strecke, welche in der Stadt einkaufen waren. Na, die schilderten uns das Leben dort so, daß wir schon auf der Fahrt genug hatten. In Mjatka kamen wir um 3 Uhr morgens an und übernachteten im Warteraum der Station. In der Früh wurden wir unserem zukünftigen Herrn, dem Bahnmeister vorgeführt.

Doch es dämmert jetzt schon sehr. Noch will ich Dir mitteilen, daß ich von Antipicha das 4te Mal geschrieben.

1000 Küsse.

22.X.15.

Heute ist wieder ein Tag der Arbeit gewesen. Es war nämlich unser Meister hier, der beste der Russen hier und sagte uns, wenn wir arbeiten, so zahlt er uns 1 R 60 pro Tag. Natürlich lassen wir das nicht aus. Wir arbeiten an einem Spital, im ganzen 8 Mann. 2 Russen, 4 bezopfte Chinesen und wir 2. Von den Kitaitsky machte mir einer den Vorschlag, nach China durchzugehen. Es ist natürlich von hier gar nicht weit zur Grenze. Darüber noch mündlich mit Dir, mein Herz.

Heute ist Vollmond und so kalt, daß Eiszapfen auf meinem Bart waren, als wir von der Arbeit zurückkamen. Wie wird es dann erst im Jänner sein? Der zweite „Austriak“ ist ein Zugsführer vom 1.Fest.Art.Reg., in meinem Alter und wir sind in unserem Denken eins und natürlich auch im Handeln. Er war lange Zeit in Baden, Pforzheim und Karlsruhe.

Eben kommt die Nachricht, wir müssen in die Kanzlei, betreffs Abfahrt ins Lager.

Antipicha, am 29.X.15

Die Abfahrt ist schneller gekommen als wir gedacht und das alte Lagerleben hat wieder angefangen.

Sonntag, den 24. sind wir in Jerifö abgedampft und Dienstag den 26. in Piestschanka auswagoniert. Das ist nächst unserem Nachbarlager. Von dort marschierten wir eine halbe Stunde nach Antipicha, wo wir freudig von unseren Kameraden begrüßt wurden. Eine große Freude für mich war eine Karte von Gretel, die erste Post aus der Heimat. Es ist dies die Karte Nro.5. Und denke Dir, nächsten Abend wird auf einmal mein Name gerufen. Hurra, Post ist da. Da bin ich aber gesprungen und erhielt die Karte Nro.3. Aber von Dir nicht, Du bad girl’chen, oder richtiger, du böse russ. Post.

Unsere Rotte ist während unserer Abwesenheit ausgezogen und jetzt in einer Steinbaracke, 700 Mann. In 2 Reihen stehen die Pritschen der Länge nach, einstöckig sogar. Finster ist es hier, daß man beim hellichten Tag nichts sieht. Zum Beispiel wurde einmal bei unserer Partie beim Suppenteilen eine Portion statt in die Eßschale in den bei den Eßschalen stehenden Pantoffel geschüttet. Das gab nachher aber ein Hallo.

Und gearbeitet wird im Lager als wie in einem Ameisenhaufen. Du möchtest staunen, was da alles erzeugt wird. Alle Handwerker sind vertreten. Schuster, Schneider, Gießer, Tischler, Schlosser, Drechsler u.s.w. Instrumente wurden gemacht, daß es eine Freude ist. Zithern, Flöten, Geigen, Cellos, ja sogar 2 Baßgeigen existieren. Wenn man in Betracht zieht, daß das alles ohne eigentliches Werkzeug hergestellt ist, sozusagen nur mit dem Messer, so kann man manches als Kunstwerk betrachten.

5.XI.15

My Darling!

„Es ist ein Kreuz, ein großes.“

Trotzdem man so viel Zeit hat, kommt man doch nicht zum Schreiben. Es ist ja aber auch so finster hier. Gestern war, wie bereits alle Tage, Konzert. Es bestehen hier einige Kapellen und Quartetts, darunter auch solche, die sich überall sehen lassen könnten. Von einer Zigeunerbande ist der Dirigent ein Primas von Temesvar. Da wurden nicht nur ungarische Lieder gespielt, sondern auch Märsche, Lieder aus Operetten, ja sogar Overtüren; also wirklich gute Musik. Da kannst Du Dir denken, daß ich der andächtigste Zuhörer bin. Natürlich nicht ohne daß schöne Erinnerungen wachgerufen werden, was besonders bei der Aida-Overtüre der Fall war, und damit auch die Sehnsucht. Mein Lieb, es ist nicht leicht, das Schicksal so ruhig hinzunehmen. Es beweist hier aber die traurige Tatsache, daß schon mehrere unserer Kameraden geistesgestört wurden. Vorige Woche ein Zugsführer und vor 3 Tagen ein Husaren-Korporal, der sich als König von Ungarn ausgab und allerlei irre Reden führte.

22.XI.15

Mein Liebchen!

Wieder sind einige Wochen vergangen, im Nichtstun. Sogar zum Schreiben ist man zu faul. Es dauert halt einige Zeit, bis man sich hier wieder eingewöhnt hat und wir hoffen hier ja alle, daß bald ein Ende ist. Nach den russischen Zeitungen, die zwar wenig verläßlich sind, waren ja wieder Friedensverhandlungen. Mit Serbien soll’s auch ganz aus sein, doch soll sich der Montenegriner rühren. Nun, mit dem werden wir doch noch fertig. Da wird ja Rudolf auch noch mit dem Krieg zu tun bekommen!

Wir haben jetzt im Lager alle Tage Rapport, abgenommen von einem unserer Offiziere, von welchen nämlich 400 hier im Lager sind, jedoch abgeschlossen. Sie haben weniger Freiheit wie wir. Erst jetzt gibt man denselben ein wenig Recht, sich um Lagerangelegenheiten zu kümmern, was ja betreffs der gesunkenen Disziplin die höchste Zeit ist. Die Invaliden sind nun alle fort und ich habe einem derselben einen Zettel an Papa mitgegeben mit der Bitte um Geld. Hier bekommt man nämlich keine Kopeke und das Geld von der Arbeit ist schon alle. Infolge der schmalen Kost hat man manchmal das Bedürfnis etwas Zucker oder Wurst zu kaufen.

Da wir grad beim Essen sind, will ich unsere Menage beschreiben. In der Früh 7 Uhr gibts heißes Wasser für Tschei, geholt in einer Menageschüssel für 10 Mann. Alle Tage hat ein anderer Tour und nachdem man ½ bis ¾ Stunden warten muß, ist dies bei dieser Kälte eine sehr angenehme Beschäftigung. Tschei sollen wir empfangen, doch schaut’s bei den Russen mit dem Bekommen traurig aus. Ebenso mit Zucker. Um 10 Uhr ist Brotholen, 1 ½ russ.Pfund (60 dkg). Mittags 12 Uhr Suppe, eine halbe Eßschale, mit Fleisch so groß wie eine Zwirnsspule, wenn überhaupt solches zu finden ist. Als zweiter Gang der berühmte Gascha, den ich Dir ja einmal in Original-Lager-Ausführung reichen werde. Abends 6 Uhr wieder Suppe, aber diesmal bestimmt ohne Fleisch. Das Öl, das anstelle des Fleisches verwendet wird, hat eine fatale Ähnlichkeit mit Maschinenöl. Das der Speisezettel. Daß man natürlich bei dieser Kost gefeit ist vor Magenerweiterung, ist zu denken.

Heute hatten wir in der Übersetzung der russ.Zeitung einen Artikel, darin das Ministerium feststellt, daß Kriegsgefangenschaft der Verehelichung kein Hindernis entgegenstellt. Nur muß sich die Frau nach dem Friedensschlusse verpflichten, dem Mann zu folgen. Natürlich wurde damit großer Spaß getrieben und scherzweise schrieb der Zugskommandant alle auf, die sich zu verheiraten wünschen. Ich war dort auch bei dieser Hetz und was sagte mir der Zugsführer? „Ah, Sie haben ja ein Liebchen daheim, Sie schreibe ich nicht auf, denn was würde denn dasselbe sagen, wenn Sie auf einmal mit einer Russin nach Hause kommen würden?“ Da mußte ich nun „traurig“ abziehen. Daß ich Dich habe, weiß er nämlich, da ich ihm schon klagte, daß ich von Dir gar nichts bekomme. Von Gretel habe ich schon 11 Karten, von Mathilde Either eine, ebenso von Mitzi Jedlicka.

Wir haben hier ein Bandl, die sogenannte „Götzendorfer G’moa“. Mitglieder vor allem der Bürgermeister, ein Korporal aus Götzendorf b./Wien, origineller Kerl, der gleichzeitig Gemeindeschmied ist, nachdem er uns die Eiseln an den Schuhen macht, weiters der „G’moa-Wachter“, Zugsführer, mit dem ich in Jerefö gearbeitet habe und für die Ordnung der „G’moa“ haftet, dann ich als Schulmeister und der Sekretär und Finanzmeister, der aber momentan a.D. ist, nachdem die Finanzen der „G’moa“ gleich 0 sind, 3 Gmeinderäte und der „Rechtsverdreher“, welcher Ortsrichter ist. Da haben wir manchmal ein Theater, daß man die Umgebung und den Alltag ganz vergißt. Da ist aber auch ganz recht, denn auch beim Spinnen kommt nichts Gutes raus.

Gretel schrieb mir, daß Versammlungen abgehalten werden und sogar ein Bruder in Wien ist. Das freut mich. Ob Du wohl noch Deinen Posten hast? Wenn ja, dann muß Hansi schon recht groß sein. Valerie hat wieder ein, wie Fredy sagt, „liebes Pupperl“ bekommen. Nun, Gott soll ihr’s segnen. Da hab ich ja wieder eines mehr.

In der gestrigen Zeitung stand ein langer Artikel über die in diesem Krieg Rußland so teuer gewordenen Blutsverwandten, die armen Serben. Es ist ein Klagelied, das Rußland singt, in dem es die Rettung aus der Hand der Feinde vollkommen aufgibt. Schluß für heute. Nächstens will ich die Erlebnisse auf der Arbeit weitererzählen.

Mit 1000 Küssen, Dein

Robert

Tschupa, am 10.Nov.17

Mein einziges Lieb!

So geht es, mein süßes Putti. Mit diesem „nächstens“ sind nun schon zwei Jahre verstrichen und viele, viele Erlebnisse gibt es zu berichten. Ich will die langen Winterabende des Nordens benützen wenigstens den Versuch zu machen, Dir, mein Putti, alles mitzuteilen, wenigstens das hauptsächlichste. Ich bin jetzt ein ganz ruhiges fellow’chen und sitze im Wagen, welcher schon einige Monate mein Wohnort ist.

Hier ist ein Hafen, in welchem ein großes Schiff, die „Hoffnung“, verankert liegt. Viel hat die gebracht an Lebensmitteln, doch wann wird sie einmal den Frieden bringen, und unsere Hoffnungen zur Wahrheit machen? Im Ofen knistert lustig das Feuer. Doch nicht von der Gegenwart sondern von der Vergangenheit soll ich ja erzählen. Also zurück, weit, weit, an die 10.000 km östlich bis zur kleinen Station Mjatka, wo wir vom Bau der Maschinhäuser auf Oberbau geschickt wurden. Der Bahnmeister sendete 5 Mann von uns, darunter Kappel und mich, zu einer etliche Kilometer weiter gelegenen Station, „Ortoköe“ oder so ähnlich, genau weiß ich’s nimmer. Nun ging das Arbeiten los und wie! Von früh 5 Uhr bis abends 8 Uhr. Dabei Mittag zwei Stunden Pause, zu essen Tschei, Butter und Brot. Und dabei immer fest arbeiten, noch dazu eine Arbeit, die wir, zumindest Kappel und ich, noch nie gemacht hatten. Schon die ersten Tage sahen wir, daß das nicht so weitergehen kann. Wenn wir des Morgens aufstanden, konnten wir unsere Glieder kaum rühren. Dennoch machten wir 14 Tage mit, dann sagten wir, kommt was kommt, weiter arbeiten wir nicht und meldeten uns krank. 2 oder 3 Tage lagen wir zu Hause, und nachdem der Aufseher sah, daß mit uns nichts zu machen war, schickte er uns mit einem Zettel ins Spital zur Untersuchung. Dasselbe war in Jerefö. Dort angekommen wurden wir aber als Simulanten erklärt, wir waren ja auch nichts anderes, und man wollte uns wieder zurückschicken. Man hatte aber die Rechnung ohne uns gemacht. Mit uns war ein Arbeiter, russisch natürlich, von unserer Partie als Aufsicht, doch als diese Aufsicht uns des Abends am Bahnhof besichtigen wollte, waren wir außer Sicht, denn wir waren in die Baracke zu unseren früheren Kameraden aus dem Lager geflüchtet. Als nun der Zug bald kam, bekam der gute Mann Angst und ließ uns suchen. Da wurden wir nun von dem Feuerwerker versteckt. Kappel unter einem Mantel und ich unter der Pritsche, 3 oder 4 mal kam man mit Lampen und beinahe wäre Kappel entdeckt worden, wenn nicht der Feuerwerker durch Gespräche diese Suche abgelenkt hätte. Um 4 Uhr früh gingen wir schon fort in den Wald, denn wir wollten uns selbst um 9 Uhr im Kontor bei dem Natschalnik, der die ganze Strecke über hat, melden. Er sprach deutsch, wir erhofften uns daher dort Gehör. Der Aufseher machte, als wir zum Kontor selbst hineinkamen, ein recht finsteres Gesicht zum Gelächter aller Kontoristen und -ristinnen. Er hatte heute Blut geschwitzt um uns. Wir sagten, wir haben am Bau übernachtet und dem Natschalnik, daß wir unmöglich die Arbeit weiter leisten könnten. Wir erklärten ihm, daß wir im Lager als Mechaniker aufgenommen wurden, er soll so gütig sein, und uns zu solcher Arbeit verwenden. Anfangs wollte er zwar gar nichts hören, aber als auch er sah, daß mit uns nichts anzufangen ist, sagte er, er wird uns ins Lager zurücksenden. Einstweilen müssen wir Reinigungsarbeiten in der Baracke machen. Wir waren froh so losgekommen zu sein und wanderten glücklich in die Baracke. Es war des Nachmittags, als der Aufseher der Baracke dienstlich mit dem Gewehr zu uns kam und uns bedeutete mit ihm zu gehen. Wir fragten wohin und bekamen die schöne Antwort „Arrest“. „Na, da schau’n ma gut aus!“ Wir machten ihm durch unser bißchen Russisch klar, daß der Natschalnik gesagt hätte, wir sollten in der Baracke bleiben bis zum Abtransport. Alles vergeblich, wir mußten mit ihm, packten also unsere sieben Sachen und kracks, drehte sich der Schlüssel hinter uns im Schlosse. Auf diesen Leidensweg ging auch ein Ungar namens Kriz. Wir drei waren also im Loch. Der Raum war ja nicht so übel, groß genug für drei Menschlein. Nur kalt wird es nachts werden, denn der Boden war Zement. Zum Schlafen gar nichts, doch 2 Bretter, also grad für eine Person. Und wir hatten uns schon so gefreut auf das Gulasch, welches abends gebracht wurde. Aber unsere Freude war nicht umsonst, denn als alle aßen, hörten wir hinten an der Mauer unsere Namen rufen und daß wir eine Fensterscheibe herausnehmen und eine Schnur hinablassen sollten. König Richard Löwenherz wird wohl Blondel mit der Zither ebenso freudig begrüßt haben, als wir den Feuerwerker mit der Gulaschschüssel. Rasch war die Vorrichtung hergestellt und wie Rosenduft näherten sich die süßen Gerüche. In der nächsten Minute schon saßen wir vergnügt um den Topf und taten uns gütlich an dem Inhalt. Die Nacht war recht kalt und an Schlafen war nicht viel zu denken. Wir liefen Laufschritt rund im Raum um uns zu erwärmen und so verging die Nacht. Nächsten Tag brachte man uns Brot, schwarz wie Kohle. Oh, ihr dummen Menschen, denkt nicht, daß wir zu dem Schwarzbrot Gulasch und sonstiges Gutes aßen. Die zweite Nacht verging auch und wir dachten uns jetzt doch schon, daß uns das auf die Dauer ungemütlich wird.

Da kam die Erlösung in Gestalt einer Schreibmaschine. Dieselbe wurde nämlich schlecht im Kontor und nachdem 2 Mechaniker im Arrest waren, kam man auf die Idee, dieselben zur Reparatur derselben zu holen. So wurden uns also die Tore geöffnet und alle 3 wurden frei. Wir, Kappel und ich machten die Maschine und bekamen von den Beamten 1 R 30 Kp Trinkgeld, eine Summe damals noch. Dann kam ein Auto und eine Motordraisine an die Arbeit. Als auch diese Arbeit fertig, es verging dabei eine Woche, war es mit unserer Mechanikerei am Ende und wir bekamen andere Arbeit. Kappel wurde Schlosser und ich Glaserer.

Unser Meister, ein lieber Kerl, zahlte uns pro Tag cka. 50 Kp, so arbeiteten wir mit dem Zugsführer bis 20.X.15. Dann einige Tage schwarz um 1 R 60 Kop und dampften, wie schon erzählt, am 24. von Jerefö ab.

Einige Tage später war ein sehr trauriger Unglücksfall. Nahe bei unserer Baracke wurde mit Dynamit gesprengt. Durch die Nachlässigkeit der Russen blieb eine Patrone unabgeschossen im gefrorenen Erdreich. Ein Kamerad aus Nordböhmen namens Zimmermann haute mit der Hacke auf die Patrone, dieselbe explodierte und verletzte den Kameraden schwer. Glücklicherweise kam er mit dem Leben davon, büßte aber ein Auge ein und behielt auch Narben.

Von der Rückkehr ins Lager weißt Du schon, will nur hinzufügen, daß ich die Bekanntschaft einer Japanerin, sogar im Nationalkostüm machte, von welcher ich auch ein paar Münzen als Andenken bekam. Aber Du darfst nicht glauben, daß mich diese Bekanntschaft von Dir mehr entfernt hat. Ich muß Dich sehen, denn wenn Du das liest, bin ich ja schon angekommen und dann kannst Du mich ja beim Schopfe packen.

Nun, für heute lebe wohl und sei vielmals geküßt.

Sonntag, 11.XI.17

Sonntag Vormittag, wie schön ist selbiger zu Hause. Aber nicht raunzen will ich, denn im Grunde betrachtet habe ich’s ja ganz gut und es fehlt grad noch die Heimat. Zu essen gibt’s genügend und man könnte froh sein, wenn alle daheim das hätten. Koche mir heute eine Suppe und mache mir zum Fleisch geröstete Kartoffel. Momentan bin ich beim Gabelfrühstück, Geselchtes mit Weißbrot und dazu den unvermeidlichen Tee. Ja, mein Putti, ich kann Gott danken, daß ich es so getroffen.

Aber dennoch widert mich alles an was ich betrachte. Es ist ja auch schon nimmer schön, wie lange sich dieser Krieg hinauszieht. Bin mit dem Wagen heute früh vom Hafen bis auf die Station, welche 4 Werst (1 Werst = zirka 1 km) entfernt ist, gefahren. Allein, mein Alter kommt zu Fuß nach. Also jetzt wieder zurück in die Vergangenheit. Möchte doch viel lieber in diese Zeit vorauseilen können. Wie das Leben in Antipicha war, weißt Du ja schon. Wir gingen auch auf Lagerarbeit, natürlich kannst Du Dir ja denken, daß wir nicht zu viel machten, da ja alles unbezahlte Arbeit war.

Anfangs Dezember, ich glaube zu Nikolaus, hieß es auf einmal für unsere Rotte zusammenpacken und fort marschierten wir aus dem Lager. Wir hatten die Hoffnung, daß es zur Bahn geht, vielleicht schon gar in die Heimat. Ja, Schnecken. In das Nachbarlager Piestschanka II. Da kamen wir in eine sehr schöne Baracke, die aber noch ungeheizt war. Es hatte so cirka -30°. Ich wickelte mich mit dem Zugsführer, meinem Arbeitskollegen, in seine Decke, so wie wir waren, angezogen und so schliefen wir, uns einander selbst ein wenig erwärmend. Es dauerte drei bis vier Tage, bis sich die Öfen und mit diesen die Baracke ein wenig erwärmten. Und als es recht gemütlich warm war, mußten wir wieder umziehen in eine andere kalte Baracke, die uns aber bis zu unserer Abreise blieb.

Hier erlebten wir Weihnachten, die ersten in der Gefangenschaft. Sie verliefen ganz gut, wir hatten einen Baum auch und mein Weihnachtsgeschenk bestand in einem Krapfen und 2 Nüssen. Dasselbe war von unserem Partiekommandanten, Zugsführer Lenz. Auch das Neujahr verlief gut und wurde mit einem „Heuer geh’n ma!“ begrüßt. „Ja, schön war’s scho’, aber g`spielt hab’n s’as net.“ Ich bekam nun schon Post auch von Dir und war darüber glücklich.

Anfang Jänner brannte die Bäckerei von uns ab, das Resultat war natürlich an diesem Tag überhaupt kein Brot, an den nächsten die halbe Portion nur. Erst nach 8 Tagen empfingen wir wieder unser volles Quantum. Es war lächerlich, wie die Russen sich kopflos beim Brand gebärdeten. Die Fensterrahmen der Baracke suchten sie zu retten, während das Brot, das wirklich zu retten gewesen wäre, verbrannte. Unsere Leute wurden überhaupt nicht zugelassen. Soll übrigens eine Schwindelei dahinter gesteckt haben. Wir fürchteten nur für unsere Rationen und Sachen, die noch in Kisten verpackt in einer Baracke in der Nähe der Bäckerei waren. Wir warteten schon mit Sehnsucht auf die Verteilung derselben, da wir gerade in dieser kalten Zeit die Sachen am notwendigsten brauchten; mußten uns aber noch bis März gedulden.

Im Feber kam unsere Rotte in Typhusverdacht und wurde abgeschlossen. Es wäre dies für unsere Freiheit sehr fatal gewesen, wenn das in einem anderen Land gewesen wäre. Jedoch hier hatte man immer Schlupfwinkel, wo man hinaus kann, denn die Russen sind ja dumm wie die Nacht. In dieser Zeit war es auch, daß vom Lagerkommando der Befehl kam, es müssen von jeder Rotte 2 Mann Brandwache halten, wobei sie rund um die Baracke zu gehen haben. Das war nun gar das reinste Theater. Die Russen, die uns zu bewachen hatten wegen Typhus lehnten beim Ofen in der Baracke oder schliefen dort und die Gefangenen standen Posten. O Rußland!

Ende April kamen wir aus der einen Quarantäne heraus und sofort in die andere wegen Abtransport. Hier wurden wir gemustert zur Arbeit und trotzdem es hieß, daß es auf schwere Arbeit ging, wollte doch jeder mit, denn jeder glaubte nun wieder, es geht der Heimat zu. Näher sind wir derselben ja gekommen um etliche 1000 Werst. Über die Fahrt gibt’s ja weiter nicht Interessantes. Wir legten täglich 200 bis 300 Werst zurück. Solange wir in Sibirien waren, gab’s gutes Essen. Aber in Rußland angekommen fing die Fischsuppe an und das Menagegeld, 25 Kp. pro Mann. Vor der Abfahrt bekam ich noch die 15 Rubel von Olga. Vor der Unternehmung bekamen wir 1 Rb und vom schwedischen Roten Kreuz 3. Mit diesem Geld kam ich tadellos aus bis hierher nach Murman. Unsere Rotte fuhr aber nicht hier herauf, sondern wir wurden oberhalb Maschakaja auswagoniert. Wir sollten im Akkord Waggons mit Sand beladen. Wieder eine so schöne Arbeit wie auf der Bahn.

Von dort schrieb ich vom Abtransport vom Lager. Auch vom Lager schrieb ich wenigstens 150 Karten in die Heimat, Ihr dürftet aber nur sehr wenige erhalten haben. Ab dieser Zeit habe ich mir wieder Notizen gemacht und ich will sie hier abschreiben.

21.6.16

Wie eine Erlösung kam plötzlich meine Abfahrt vom Sandbruch. Ein Natschalnik vom Telegraf kam mit einem Zug an und nahm alle Elektromonteure mit. So fuhren wir in den Tag hinein. Es heißt nach Soroka. Die ganze Familie unseres neuen Herrn war schon bei uns. Der Kleine spricht ein wenig französisch und bringt uns Cakes, Bonbons und Wurst. Mit mir ist Stransky und Tertsch. Die Linie ist so mangelhaft, daß der Zug keine 10 km p.Std. fährt und in kleinen Distancen 1, 2, ja 3 Wagen entgleist sind, die ganz einfach umgekippt werden und liegengelassen. Schon zweimal hatten wir Aufenthalt wegen Entgleisung eines vor uns fahrenden Güterzuges.

22.VI.16.

Wir stehen hier schon seit 8 Stunden wegen 2 entgleisten Waggons. Es regnet wie aus Schaffeln und wir können froh sein, daß wir in Personenwagen IV.Klasse in guter Unterkunft sind. Haben einen russischen Telegrafenmonteur (Tschogoleff) kennengelernt und bekommen von ihm Brot, Butter und Zucker. Die Leute sind alle sehr zuvorkommend mit uns und wir sind schon begierig, wie die Arbeit aussieht.

Freitag, 23.VI., 8 Uhr.

Endlich fahren wir weg, nachdem wir 26 Stunden 9 Werst von Soroka, unserem Ziel, standen und kamen schließlich in Soroka um 9 Uhr an.

Samstag, 24.VI.16

Bleiben noch bis morgen Abend hier und fahren dann per Schiff weiter auf dem Weißen Meer. Wohin wir wohl noch kommen? Oft denke ich, wir haben es gut getroffen. Empfingen Fleisch, Butter, Speck und kochen uns selbst. Unser Natschalnik ist wie es scheint ein guter Mensch. Ich schreibe von der II.Klasse im Waggon, in dem wir heute schlafen werden. Weiche Betten wieder einmal nach langer Zeit.

Sonntag, 25.VI.16

Nach einer wohlverbrachten Nacht auf den weichen Diwans unseres Waggons begann die Arbeit. Zwar Sonntag, doch ist bei den Russen die Arbeit nicht so arg. Wir sollen noch heute per Schiff abdampfen.

Montag, 26.VI.16

Meine gestrige Abfahrt wurde durch den Bruch der Schiffsmaschine vereitelt. Wir fuhren wieder zurück bis zum Hafen, Abfahrt bis übermorgen verschoben. Richten uns im Zwischendeck häuslich ein, obwohl es bis zur Hälfte mit Decken, Kisten und Rädern beladen. Wir sollten auch arbeiten, aber es wird die ganze Zeit zum Brotempfangen verbracht. Wir fahren früh mit einem Kahn zur Station. Die Boote werden hier von Fischermädels gefahren, oft auch von Kindern. Die Stadt hier hat überhaupt etwas anheimelndes. Die Leute hier sind nicht Russen sondern Karelier, haben mehr germanischen Charakter und sind recht freundlich. Die Zimmer und Wohnungen sind rein und nett, wir hatten beim Brotkaufen die Gelegenheit in zwei derselben zu kommen. Man erkundigt sich eingehend um unser Befinden und auch wie es den Gefangenen bei uns gehen wird und wir machen die Erfahrung, daß die Leute recht schlecht über unsere Verhältnisse unterrichtet sind. Wir bekommen am Abend vom 11jährigen Dimi Fische, die Tertsch in Butter bratet.

Jetzt, mein liebes Mädchen, will ich schließen, denn mir tun sowohl die Hand als auch die Augen weh. Auch fängt es schon zu dämmern an, um ½ 4 Uhr nachmittag. Draußen schneit es und der Schnee bleibt liegen, das erste Mal heuer. Voriges Jahr sind wir schon Schlitten gefahren und auf den zugefrorenen Seen herumgegangen. Heuer ganz andere Witterung. Was wirst denn Du machen jetzt? Nun, hoffen wir, daß wir uns bald, bald wiedersehen. Mit vielen Busserln,

Robert

Ras Tschuppa, 12.XI.17

Mein herzlieber Schatz!

Mein Alter ist eben mit der Lokomotive nach Hause gefahren, bin also wieder alleine. Draußen schneit es noch immer, trotzdem der Schnee nicht so recht liegen bleiben will. Heuer haben wir noch gar kein richtiges schönes Nordlicht gehabt, ich glaube, die Natur ist auch schon ein bißchen verdreht.

Fortsetzung der Berichte vom vorigen Jahr.

Dienstag, 27.VI.16

Früh wurden wir durch das Getrappel russischer Soldaten am Deck geweckt, die den Draht, der im Rumpfe unseres Schiffes war, auf einen Schlepper umladen sollten. Wir halfen mit und waren bis Mittag fertig. Nachmittag empfingen wir Stiefel, Wäsche, auch viel Werkzeug. Abends fuhren wir zu einem anderen Schiff, „Anna“, welches zirka ½ Stunde entfernt lag. Als Steuermann hatten wir ein hübsches 14jähriges Mädchen mit schönen Augen und einem lieblichen Zuckermund. Letzterer war aber auch schneidig wie ein Schwert, das hörten wir bei der Bezahlung. Denn gehandelt wird beim Fahrpreis ebenso wie am Bosporus. Die „Anna“ ist nicht so geräumig wie der „Nikolai“ und wir mußten unter den Mannschaftsräumen unser Nachtlager suchen. Mein Platz war auf der Terrasse, auf welcher die Ankerkette aufgefangen.

Mittwoch, 28.VI.16

Wir sind auf dem offenen weiten Meer. Unser Schiff schwankt wie eine Schaukel und mein Magen macht schon Manderln. Das Wetter ist trotz der hohen See ganz schön. Unser Partieführer läuft kreidebleich hin und her auf Deck, hie und da einen einsamen Platz aufsuchend. Aber auch unser Natschalnik sucht mit der ganzen Familie bei uns Rettung aus solcher Not, ihm und den Seinen scheint’s auch nicht ganz koscher zu sein. Der Kleine ist übrigens ganz ein lieber Kerl. Er spricht auch ein wenig Deutsch und sorgt sehr für uns. Wenn wir etwas benötigen, so brauchen wir nur Erwähnung zu machen und schon kommt er gerannt damit ...

Unser Kasten schlingert und stampft fürchterlich und die See wird noch immer bewegter. Die Wellen kommen ganz kräftig über Bord und zum Gaudium der andern wird der Eine oder Andere wie ein Pudel begossen. So wäre das Leben ja recht schön, ohne Bewachung, frei wie ein Familienmitglied Natschalniks. Wenn’s nur so bleibt.

Donnerstag, 29.VI.16

Wir kommen an unserem bisweiligen Bestimmungsort „Tschupa Pristan“ an. Es ist dies ein vielleicht ½ Jahr bestehender Landungsplatz mit 7 Baracken, in welchen Ingenieure und sonstige Beamte, Arbeiter, Russen und Kriegsgefangene untergebracht sind. Meine erste Arbeit hier, das Ausbauen der prov. Leitung Fri....(?) - Pas....(?). Wir bauen uns ein Zelt, da in den Baracken kein Platz ist.

Freitag, 30.VI.16

Werden eine Linie von 60 Werst Länge in der Richtung Soroka ziehen und empfangen Produkte. Auch das Werkzeug wird zur Arbeit vorgerichtet.

Samstag, 1.VII.16

Unsere ganzen Habseligkeiten werden auf 3 „Schlitten“, jetzt im Sommer, bis zu der Station (4 Werst) transportiert. Eine Teufelsfahrt ohne Weg und im bergigen Terrain. Stransky macht mit seinem Gefährt dreimal Salto.

Wenn man das mit unseren Pferden machen würde, würde man 22 mal von der Polizei, 17 mal vom Tierschutzverein aufgeschrieben und müßte sich noch überdies mit 159 alten Weibern herumstreiten. Draußen auf der Station kam zu uns Kontrol-Mechanik Kurkin. Unweit von hier wird ein Zelt aufgeschlagen.

Sonntag, 2.VII.16

Wir müssen heute arbeiten und werden zuerst die Nebenlinie von 4 Werst, dann die Hauptlinie ziehen.

Montag, 3.VII.16

Mache abends mit Baumgartner eine Blitzableiteranlage aufs Dynamitmagazin, in welchen 150 Pud (1 Pud = zirka 16 kg) Dynamit sind. Man läßt uns hier ganz allein hantieren und traut uns wohl nichts Böses zu.

Dienstag, 4.VII.16

Alles im Alten. Wir sehen, daß der Aufseher sich die Arbeit gar nicht einteilen kann. Die Russen arbeiten auch bereits nichts bis auf einen, der ein tüchtiger Mensch ist. Machen dem Aufseher den Vorschlag, Österreicher zu nehmen und er sagt uns zu. Urban und ich machen den Blitzableiter fertig (Ia), Tertsch ist Koch, und wir haben tadellose Menage.

Mittwoch, 5.VII.16

Es wird beschlossen, wegen zu großer Hitze bei Nacht zu arbeiten. Anfang abends 6 Uhr. Nur paßt es uns nicht, daß der gute Mann immer verlangt, daß Überstunden gemacht werden.

Donnerstag, 6.VII.16

Alles im Gleichen. Haben sehr unter den Mücken zu leiden. Auch müssen wir uns ärgern über die schlechte Einteilung der Arbeit.

Freitag, 7.VII.16

Zwischen dem Aufseher und uns kommt es zu einer kleinen Spannung, da er Taglöhnerdienste verlangt. Wir sollen Bäume aushauen und abscheiden, Masten aufstellen u.s.w. Wir sehen, die Sache wird sich nicht lange halten.

Samstag, 8.VII.16

Die Nachtschicht wird wegen der vielen Mücken in Tagschicht umgewandelt. Diese Woche machten wir 8 Werst.

Sonntag, 9.VII.16

Auch heute wird Arbeit verlangt. Kluft wird immer größer

Montag, 10.VII.16

Der Vulkan kommt um Ausbruch. Wir streiken und sagen, daß wir von jetzt ab nur UNSERE Arbeit machen. Man willigt teilweise ein.

Dienstag, 11.VII.16

Gestern wurde Tabak gefaßt, wovon wir aber nichts bekamen. Unser Zelt wird um 6 Werst weiterverlegt.

Mittwoch, 12.VII.16, Feiertag

Donnerstag, 13.VII.16

Es regnet und wir arbeiten von 6 Uhr abends bis 12 Uhr nachts.

Freitag, 14.VII.16

Der Aufseher hält sich auf, daß wir ihm zuviel fassen. Tertsch läßt das Kochen stehen. Auch sollten wir heute bis 12 Uhr Nachts arbeiten und es gab wieder Krach und er reduzierte die Zeit auf 11 Uhr. Er droht uns mit Gendarmen und Tscherkessen, wenn wir aber darauf bestehen, so steckt er um und fängt im Guten an.

Samstag, 15.VII.16

Der Bruch ist ein vollständiger und wir verlangen nach Tschuppa gebracht zu werden.

Sonntag, 16.VII.16

Wir wandern zurück nach Tschuppa in Begleitung unseres Vorarbeiters. Unsere Gründe, die wir dort angeben, werden als gerecht befunden und wir sollen von Natschalnik Utalaska übernommen werden, müssen aber warten, da selbiger krank ist.

Montag, 17.VII.16

Auch heute noch nichts Sicheres; haben in der Österreicherbaracke ein Quartier, da wir wahrscheinlich hierbleiben. Empfangen noch immer am alten Platz, bekommen aber auch von den Österreichern Menage.

Jetzt, mein Liebchen, mit vielen Küssen, Schluß.

Ras.Tschupa, 14.XI.17

Mein Liebchen!

Gestern bist Du durchgefallen mit dem Schreiben, was jetzt wieder mehrmals der Fall sein wird. Wenn wir nämlich auf der Tour sind, so ist zum Schreiben weniger Zeit, denn wenn der Zug fährt, kann man nicht und wenn wir in irgendeiner Station sind, ist die Zeit sehr bemessen, da es überall Arbeit gibt.

Nun wieder die Fortsetzung.

Dienstag, 18.VII 16.

Endlich sollte es sich entscheiden. Wir waren auch schon der Meisterei übrgeben, wo ich als Elektromechaniker arbeiten sollte. Aber es sollte nicht sein. Denn unglücklicherweise kam abends mit dem Schiff der Natschalnik, von dem wir aufgenommen waren. Er machte sofort die Überstellung rückgängig und versprach uns den Aufseher abzusetzen, der bei der Partie ist und uns selbständig arbeiten zu lassen.

Mittwoch, 19.VII.16

Der Natschalnik reitet selbst hinaus zur Partie. Der Telefonarbeiter von Tschupa meldet uns aber, daß wir wieder hinaus sollen. Wir gehen noch zu später Stunde im Nebel auf’s Schiff und sagen ihm, daß wir nicht mehr auf der Strecke arbeiten. Er wird wild und zwingt uns mit Tscherkessen. Wir müssen sofort unter Aufsicht von einem Tscherkessen 300 Bund Draht zusammenbinden.

Donnerstag, 20.VII.16

Heute arbeiten wir auf der Strecke Tschuppa-Linie und haben vormittags auch Bewachung mitgehabt. Nachmittags war’s dem Kerl aber schon zu dumm und er ließ uns allein. Nicht einmal Gregori war mit uns. Das Essen kochen uns die Österreicher mit.

Freitag, 21.VII.16

Alles beim Alten. Sind den ganzen Tag allein.

Samstag, 22.VII.16

Ebenso.

Sonntag, 23.VII.16

Heute bringt man uns mit allerlei Versprechungen wieder auf die Linie. In der Zeit nämlich, wo wir auf der Station waren beim Gendarm um uns zu erkundigen, ob wir gezwungen werden können hinauszugehen, ihn aber nicht daheim trafen, wurde unser Gepäck ganz einfach auf einen Wagen geladen und als wir am Rückweg waren, begegnete uns dieses Fuhrwerk schon am halben Weg mit Kurkin, der uns freundlich zuredet, hinauszugehen. Es wären nicht mehr als 20 Werst zu machen, von dort aus sollten wir nach Kandalakscha, wo wir alles fassen und unser Geld bekommen. So gingen wir halt wieder. Man ist halt immer ein Gefangener. Nachts treffen wir in einer Baracke unsere Partie und quartieren uns im Dachboden ein.

Montag, 24.VII.16

Wir haben, da der Kontrollor bei unserer Partie ist, Gelegenheit ihn näher kennenzulernen. Er ist ein ganz närrischer Kerl. Obwohl er zu uns immer freundlich und zuvorkommend ist, treibt er die russischen Arbeiter mit allem Tod und Teufel zur Arbeit, droht ihnen mit Erschießen u.dergl. Es geht aber auch vorwärts. Wir machen heute 5 Werst. Als wir 6 Uhr nach Hause gehen wollen, „ersucht“ uns der Kontrollor, bis 10 Uhr zu bleiben, da die Arbeit dringend ist und verspricht uns p.Tg. 2 Rbl.

Dienstag, 27.VII.16

Bis auf einen kleinen Wirbel wegen der Menage vergeht der heutige Tag gut.

Mittwoch, 28.VII.16

Übersiedelte heute in eine Baracke, in welcher Österreicher sind. Der Barackenkommandant war mit Br.Niedermayer in Tauria. Selber dürfte, da er eine schwere Verletzung an der Hand hat, als Invalide ausgetauscht worden sein.

Donnerstag und Freitag nichts Neues.

Samstag 29.VII.16

sind wir endlich mit unserer Arbeit fertig. Treffen mitternachts mit der zweiten Partie zusammen. Es sind dies lauter ältere Russen und machen einen sehr guten Eindruck auf uns. Wir trinken bei ihren Zelten Tschei. Erst gegen 6 Uhr morgens kommen wir zurück in die Baracke.

Sonntag 30.VII.16

Der heute Tag verging im Schlafen. Tertsch kocht tadellos Fleischknödel, neun an der Zahl pro Mann.

Montag 31.VII.16

Heute nachmittag ging es weg von hier zurück nach Tschupa, wo wir 12 Uhr Nacht anlangten.

Dienstag 1.VIII.16

Unsere Fuhrwerke kommen mittags an, wir kochen und fahren mit einem kleinen Dampfer um 10 Uhr ab nach Kofta (cirka 120 Seemeilen).

Mittwoch 2.VIII.16

Vormittag Ankunft in Kofta, eine kleine Hafenstadt mitten in den Inseln des Weißen Meeres gelegen. Erwartung weiterer Befehle.

Donnerstag und Freitag nichts Neues.

Samstag, 5.VIII.16

Übersetzten um 2 Uhr nachmittag mit einem Boot zum Hafen und von dort im Schlepptau eines Motorboots 7 Werst bis zu einem Anlegeplatz (Suag). Von hier unsere Bagage zu Wagen und wir per Fuß 5 Werst bis zur Hauptlinie.

. . . . .

Hier, my dear, hören wieder die Aufschreibungen auf, doch will ich versuchen, mich zurückzuerinnern, damit hier ein zusammenhängendes Ganzes wird. Aber heute will ich schlafen gehen, es ist ¾ 12. Du wirst wohl schon süß träumen. Wie wünschte ich, daß ich schon mit Dir träumen könnte. Schlaf wohl, mein Liebes, und mit Kuß Schluß.

Polarny Kruk, 17.XI.17

Mein innigstgeliebter Schatz!

Stehe hier auf einer geografisch höchst interessanten Stelle, nämlich auf dem Polarkreis. Draußen ist eine recht nordische Nacht, kalt aber unbeschreiblich schön mit der reinen Sternenpracht. Der Winter hatte hier momentan seinen Anfang genommen, mit einer ganz empfindlichen Kälte von -10-15°. Man ist dieselbe nicht gewöhnt, später spürt man keine 25 - 30°, nicht so wie jetzt die wenigen. War gestern und vorgestern auf Störung und konnte daher nicht schreiben. Dafür war ich bei unserer Partie und habe mich da wieder unterhalten, in meiner Einsamkeit auch wohltuend. Gestern von 4 Jahren waren wir in Breitenfurt. Wie ist die Zeit doch schnell entschwunden und wie wenig Schönes liegt in ihr. „brcestag“ würde der Russe sagen, denn ich komme ja schon wieder in das Raunzergeleise. Also schwups heraus und vorausschauen auf die Zukunft, die uns noch erwartet. Was sie uns doch bringen wird! Ich habe so rechte Hoffnung, daß wir bis Ostern doch daheim sind. Dann machen wir miteinander eine Wachauerpartie, und suchen alle die Orte und Stellen wieder auf, die uns so glücklich gesehen und feiern das zweite Mal unsere Verlobung. Ich denke mir, Putti, wenn wir uns wieder haben, müssen wir wieder von vorne anfangen uns kennenzulernen. Und es wird wohl manchmal wieder hier und dort ein Schnutchen geben. Aber das macht alles nichts. Ich würde mich gerne verpflichten, eine Woche lang keines zu machen, wenn die Zeit schon da wäre. Das würde Dich wohl freuen, da könntest Du mich uzen und ich dürfte gar nichts sagen. Bin eigentlich recht neugierig, inwiefern ich mich verändert habe. Ich denke, nicht zu meinen Gunsten, es ist dies aber auch gar kein Wunder, denn die Zeit der letzten Jahre war nicht danach, feine oder zarte Gefühle im Menschen auszubilden. Na, es wird aber schon wieder ausgeglichen werden, wenn ich bei meinem lieben Putti bin.

Was Emmy nur macht? Ich habe von ihr im Anfang einige Karten erhalten und war recht erfreut darüber, aber jetzt ist’s aus. Warum? Sagen wir Poststörung.

Wenn ich nach Kandalakscha wieder komme, erhoffe ich dort wieder recht viel Post. Weiß schon auswendig, ein Teil von Dir und zwei Teile von Gretel. Das ist halt schon so und ich kann nichts dafür. Und da denkt sich das „bad girl’chen“, daß ich es nicht mehr so lieb hab wie früher. Das muß es aber nicht tun.

Jetzt, mein Lieb, muß ich essen, denn mein Mäglein knurrt schon. Mit 1000 Küssen,

Dein Robert.

Wieder in Tschupa, am 27.XI.17

Mein süßes Putti!

Nun war wieder eine längere Pause. Kann nun nicht mehr so wie ich will, da meistens, wenn ich Zeit hätte, die Tinte und Feder benötigt wird. Wir haben nämlich jetzt einen Schreiber hier, im Bunde der dritte, und der schreibt von Früh bis Nachts, d.h. wenn man 11 Uhr Früh nennen darf. Es wird nämlich jetzt erst um 10 Uhr licht und um 3 Uhr schon wieder finster. Und in einem Monat muß man den ganzen Tag die Lampe brennen haben, da dann die Sonne erst um 11 Uhr auf- und um 1 Uhr schon wieder untergeht. Eine Zeit, in welcher man sich richtig ausschlafen kann. Ich für meine Person halte aber noch die europäische Ordnung ein, da das viele Schlafen ungesund ist in diesem Klima. Man bekommt hier recht leicht Tsinga (Skorbut), eine Krankheit des Blutes, die mit Zahnschmerz und schwarzen Flecken an den Füßen anfängt und in diesem Klima überhaupt nicht zu heilen ist. Die Gliedmaßen ziehen sich ähnlich der Gicht zusammen und schmerzen riesig. Wieviele Hundert sind schon dieser Tsinga zum Opfer gefallen. Gegenmittel sind wenig schlafen, fett essen und fest arbeiten, welches erstere und letztere ja nur vom Willen des Einzelnen abhängt und auch zu erfüllen ist. Und fett zu essen habe ich hier auch Gelegenheit. Habe daher keine Angst.

Übrigens eine Neuigkeit, die schon seit einigen Tagen hier bekannt ist, daß sämtliche Kriegsgefangene von Murman wegkommen sollen und der baldige Frieden zu erwarten ist. Oh, wäre es wahr und das Wiedersehen endlich möglich. Du weißt gar nicht, wie ich mich schon sehne nach Dir, mein Schatz, mein Lieb. Wir sollen alle Tage schon abfahren nach Kandalakscha und dann gibt’s wieder Post. Vielleicht auch eine Fotografie, um die ich ja schon so oft geschrieben und die ich so gerne haben möchte.

Momentan zischt draußen eine Lokomotive, die uns vielleicht mitnimmt nach Polarny Kruk, aber auch nur vielleicht, denn es hängt dies hier ganz von dem Willen des Maschinisten ab. Du möchtest schauen, was es hier jetzt für eine Wirtschaft gibt nach der Revolution, die ja im Großen recht schön war, deren aber das dumme Volk hier nicht würdig ist. Darüber aber mündlich mehr.

Heute war es schon hübsch kalt, -22° und dabei ein herrlich reiner Tag. Nur weiß ich nicht, warum man heuer das Nordlicht nicht in dieser Pracht sieht, wie das vorige Jahr. Mag wohl noch kommen.

Fortsetzung der Berichte.

Von Kofta zogen wir unseren Draht wieder weiter, bis wir mit einer anderen Partie Kriegsgefangener zusammenkamen, die uns entgegen arbeitete. Es waren meist Ungarn, wenig Deutsche. Wir fuhren mit dem Gepäck weiter bis Kurascha, und arbeiteten von dort bis Kandalakscha, wo wir endlich unser Geld bekamen und Sachen zur Bekleidung. Kandalakscha selbst ist ein nettes Dorf am Meer und an beiden Ufern eines Flusses gelegen, mit 2 Kirchen und mehreren Geschäften, wo man noch so manches kaufen konnte. Von hier geht auch schon die Bahn nach Kola, also nordwärts und verbindet so das Weiße Meer mit dem Eismeer. Zwei Tage blieben wir da und fuhren dann mit dem Postdampfer nach Kofta zurück, wo wir den 2. Draht bis Krut zogen. Nach Beendigung dieser Arbeit hatten wir einen großen Krach mit unserem Aufseher, der aber störrisch war und beinahe wären wir 3 Tage eingesperrt worden. In diese Zeit fiel es auch, daß ein deutsches Unterseeboot im Weißen Meer gewesen sein soll und Minen ausgelegt hat, aus welchem Grund der Schiffsverkehr eingestellt wurde und wir zu Fuß die 125 Werst bis Kandalakscha zurücklegen mußten. Nach zirka 8 Tagen, in welchen ich meinen Geburtstag in einer Zivilbaracke in einer Station, für mich allein natürlich, feierte, gelangten wir dort an und wurden dort in einer 3 Werst entfernten Baracke nicht weit von der Wohnung Kurkins untergebracht. Hier verlebten wir eine schöne Zeit. Die Arbeit war wenig, die Menage auch nicht viel und Hrabal, ein Mechaniker aus Wien und ich hatten Gelegenheit auf Apparaten zu arbeiten mit 2 Soldaten. Leider schied hier einer von uns 6 aus, Tertsch, der es besser fand, nach Rußland zu fahren. Er meldete sich krank. Die Feiertage kamen, man hatte ein wenig Geld um Zuckerwaren zu kaufen und wir machten uns einen kleinen aber schönen Christbaum. Ich holte diesen selbst aus dem Walde. Wir verbrachten die Tage froh, viel besser und freier als im Lager. Nach denselben wurden Stransky und Urban als krank abgeschrieben und verließen uns am 31.Dezember, an welchem Tage wir auch um 3 Werst nach Punkt 5 übersiedelten. Ich unternahm das erste Mal eine Wanderung über das gefrorene Meer und es war herrlich so allein als kleines Geschöpfchen im Schoße der Natur. Zirka 1 Monat arbeitete ich bei der Partie und kam dann wieder zurück nach Kandalakscha in die Meisterei und nach wieder 1 Monat fingen wir an den 3. Draht zu ziehen und wurden Ende Feber damit fertig. Wir bekamen ausbezahlt und wurden, aus dem Grund weil alles auf Urlaub fuhr, bis zum April an den 2. Punkt übergeben. Auch hier hatten wir eine schöne ruhige Zeit. Ich arbeitete auf Öfen mit Baumgartner. Am 25.III. bekam ich endlich die erste Post, 2 Karten von Gretel. Und dann ging’s wieder alle Wochen 2 oder 3 Stück. Aber auch endlich von Dir, mein schlimmes Mädchen. Die Freude war recht groß, obwohl ich mich auch über einige Karten ein wenig ärgerte. Na, Schwamm drüber. Im April wurden wir wieder „gratis und franko“ übergeben und von Kurkin übernommen, fingen an wieder mit Schabaroff den 4. Draht zu ziehen.

My dear, die Lampe geht aus.

Klupoky, am 29.XI.17

Mein liebes Putti!

Nun hat uns vorgestern doch die Maschine mitgenommen und wir sind gestern abend glücklich bis hierher gelangt. Es geht hier nämlich nicht sehr eilzugsmäßig und man kommt manchmal zu Fuß schneller voran als mit der Bahn. Mein Alter ist heute mit dem Schlitten nach Kniaschaja (9 Werst von hier) gefahren, um für uns Filzstiefel zu besorgen.

Habe Dir heute zwei Karten geschrieben und hoffe, daß Du dieselben in Gesundheit bekommst und daß in der Zeit, wenn Du dieselben erhältst, ich schon auf der Heimreise bin.

Ja, mein Putti, das wird ein Wiedersehen werden. Doch wünschte ich, daß wir uns ganz allein, ohne andere Menschlein wiedersehen könnten. Ich denke jetzt recht oft zurück an die schöne Zeit, die wir miteinander verlebt haben. Und der Abschied von Dir, mein süßes Lieb, wird mir unvergeßlich bleiben. Und dennoch hatten wir es ein wenig leichter als alle diejenigen, welche vorm Abgang ins Feld voneinander gerissen wurden. Auch bin ich froh, daß Du Deinen Posten behalten hast, wo es Dir ja nicht schlecht gehen wird und Du mit weniger Sorgen die schwe re Zeit überstehst. Im Stillen hoffe ich, daß in Kandalakscha eine Fotografie von Dir ist, wie würde ich mich darüber freuen. Ich habe schon oft um solche geschrieben, aber bis jetzt ohne Erfolg.

Wenn wir zurückkommen auf Polarny Krug, ziehen wir in einen IV.Klasse-Waggon um und dann haben wir, nämlich mein Alter und ich, es noch besser. Ersterer ist ein so ziemlich netter Mensch und besonders gegen mich sehr gut. Ich bin aber auch seine rechte Hand und er vertraut auf mich mehr als auf seine eigenen Leute. So wie in der Arbeit, so auch privat. Er gab mir erst heute eine gewisse Summe Geld zur Aufbewahrung in der Zeit seiner Abwesenheit. Und ich koche, ja, staune und lache nur, ich koche ihm eine gute Suppe und Erbsen, die gar nicht weich werden wollen. Du siehst, wir leben also recht gemütlich und es wäre mir wirklich leid, wenn ich hier wegkommen sollte und an einem anderen Platz in Rußland noch längere Zeit bleiben müßte. Habe ihm auch schon versprochen zu schreiben, wenn ich einmal in der Heimat bin. Trotzdem er schon 44 Jahre alt ist, hat er eine sehr junge Frau und ein 6 Monate altes Söhnchen. Bin, so oft er zu Hause, zum Essen geladen. Aber nur so nicht denken .... Pst, nicht weiter, sonst kommt ein Schnutchen.

Einen treuen Begleiter habe ich noch bei mir, nämlich das Schachspiel, das einzige außer den Socken, die Du mir zu Weihnachten 1914 schicktest. Auch diese will ich noch einmal nach Hause bringen, zwar in sehr verändertem Zustand, aber doch.

Ich weiß nicht, ob ich Dir schon mitgeteilt habe, daß auch das Hemd, das Du von Frau Buchinger hast und das Du mir zum Andenken mitgabst, verloren ist und zwar schon in den Karpathen. Aber dafür bring ich dir mein Herz wieder so wie es war zurück, ohne ein Stückel davon verloren zu haben.

Aber glaubst Du mir das auch? Ich denke immer, Du zweifelst ein wenig und denkst, daß meine Liebe zu Dir nicht mehr die alte ist, aber wie schon geschrieben, das mußt Du nicht tun. Wenn Du übrigens das liest, so haben wir uns ja schon wieder und dann ist alles anders.

Jetzt wäre mir aber beinahe das Feuer ausgegangen bei meiner Kocher- und Schreiberei. Und - o je - die Erbsen. Die sind statt gekocht gebraten, denn das ganze Wasser hat sich verkocht, so daß sich die Erbsen so allein ganz ungemütlich fühlen in der Kasserolle. Ja das kommt davon, wenn man statt ans Kochen an verlorene Herzen und geflickte Strümpfe denkt. Aber der Alte ißt’s schon, er ist nicht so heikel. Gestern hat er die Erbsen gegessen, die noch halb roh waren und nur so gescheppert haben auf dem Blechteller, als er sie herausfaßte. Du mußt nämlich wissen, daß bei uns die Erbsenwoche ist, so wie beim Gerngroß die weiße und andere Wochen. Die kochen wir jetzt so lange, bis wir sie genug haben und dann kommt wieder was anderes.

Draußen hört man einen Menschen mit Ski herumklappern, das Beförderungsmittel der Finnen, die Hunderte von Kilometern auf den Bretteln zurücklegen.

Bis auf weiteres umarmt Dich Dein

Robert

Kandalakscha, 2.Dezember 1917

Mein Schatz!

Endlich sind wir ja doch bis hierher gelangt. Ja, und denke, ich bin jetzt da und meine Post, bei 35 Karten hat ein Kamerad von mir mitgenommen nach Polarny. Da heißt’s wieder 2 - 3 Tage warten.

Draußen ist heute ein schönes Nordlicht und ich wünschte manchmal, daß Du hier wärst und ich mit Dir alles beschauen könnte. Es gibt auch hier viel Schönes, dieses aber nur in der Natur. Auch das Meer ist nun eingefroren und man kann schon mit dem Schlitten hinüber, wobei man manchen Umweg abschneidet.

Hoffe, daß wir auf der Heimreise sind, bevor es aufgeht. Heute habe ich von Kurkin gehört, daß Frieden sein soll. Auch wurden die Gefangenen von hier weggenommen und man fängt bei den Deutschen eben an. Wir Österreicher kommen erst später dran.

O wäre doch alles wahr!

Heute ist es bei mit 32 Monate, daß ich gefangen und wenn man bedenkt die lange Zeit, kann man’s selbst gar nicht glauben. Wenn uns das jemand gesagt hätte, daß wir uns so jahrelang trennen müßten! Was hätten wir da geantwortet? Und wie man alles erträgt, viel leichter als man denkt.

Gestern machte mir mein Alter den Vorschlag, nach Friedensschluß wieder zu ihm zu kommen, ich sollte dort arbeiten. Und was würde mein Putti dazu sagen? Wenn wir auf einmal nach Sibirien oder anderswo wanderten? Alles kann werden und nichts scheint mir jetzt unmöglich. Mein Alter hat, wie er voriges Mal in Kniaschaja um Filzstiefel war, dieselben zwar nicht bekommen, jedoch Zucker und Speck mitgebracht, auch Reis und Kaffee, also auch was Gutes, und daher ist meine Zuckerbüchse wieder ganz voll.

Ob ich mich daheim wohl doch gewöhnen könnte ohne Tschei zu leben? Oder Du mußt mir alle Tage das Samowar heizen. Werde aber dann nur Früchtentee trinken und wieder ein braver boy werden.

Viele 1000 Busserl gibt Dir Dein

Robert

Polarny Kruk, 5.I.18.

Mein Putti!

So wäre das 18er Jahr angekommen. Fast unglaublich, eine so lange Zeit in der Gefangenschaft zu erleben. Wenn man endlich aber den Nachrichten, die aus Rußland zu uns dringen, glauben darf, so ist die Zeit nicht mehr fern, die uns zur Heimat bringt. Und dem Liebchen zu. O Freude dann!

War zu Silvester wieder in Kandalakscha und erhielt eine Karte von Dir. Die Post kommt jetzt sehr spärlich, ob das den inneren Wirren zuzuschreiben ist?

Polarny Krug, 22.I.18

Mein liebes einziges Lieb!

Ich war nun wieder sehr faul zum Schreiben und Du darfst mit Recht schimpfen. Aber das machen die verschiedenen Nachrichten, die sich hier herumtreiben und welche einen ganz dumm machen. Einmal ist oder wird Frieden, den nächsten Tag ist wieder Krieg, dann werden wieder diejenigen, die zwei Jahre gefangen sind, ausgetauscht u.s.w. Das Ende ist immer, daß es halt doch wieder weitergeht. Die einzige Zerstreuung ist die Arbeit und ich widme mich ihr auch mit all meiner Kraft.

Barnaul, 15.Mai 18

My Darling!

Nach einer Pause eines halben Jahres will ich Dir, mein Lieb, meine Erlebnisse weitererzählen. Wir sind jetzt wieder im Lager, was wir uns wohl früher nicht träumen ließen. Es ist dies ja auch nur hier in Rußland möglich, daß man tausende Menschen tausende von Werst spazierenführt. Unser Lager liegt zirka 25.Breitegrade südlicher von unserem früheren Aufenthalt, trotzdem ist’s noch immer kalt und auch hie und da Schnee. Wir können mittels Zettel in die Stadt gehen. Dieselbe ist von den Stürmen der Revolution recht mitgenommen worden. Von den besseren Häusern sind meist nur noch die Stein- und Ziegelmauern erhalten. Man gibt sich sehr wenig Mühe, dieselben wieder aufzubauen. Im Lager selbst befanden sich 12.000 Mann, darunter zirka 1000 Deutsche und 600 Türken. Unter letzteren habe ich einen Gendarm aus Istanbul kennengelernt, welcher deutsch lernt. Wir sind alle Tage beisammen und unterhalten uns sehr viel von Cospoli. Von den Österreichern gehen täglich Transporte in’s Innere ab, unsere Baracke fährt wahrscheinlich übermorgen. Aus diesem Anlasse sind auch die Deutschen, welche bis gestern mit uns beisammen waren, und unter welchen sich unsere alte Telegrafen-Kolonne befand, in eine eigene Baracke gekommen, so daß ich wieder einmal allein geblieben bin. Es geht ja jetzt nun endlich doch bald nach Hause. Ich rechne, in zwei Monaten, daß wir, wenn auch nur vielleicht auf einige Wochen, beisammen sein können.

Will nun wieder mit der Fortsetzung meines Berichtes beginnen.

Ihr werdet wohl schon lange keine Post bekommen haben, doch seid Ihr ja schon Pausen gewöhnt und werdet Euch daher nicht viel Sorgen machen. Eben ist’s schon ein Jahr nach den Begebenheiten, von welchen ich zuletzt berichtet habe. Wir montierten also die 4. Leitung von Kandalakscha oder eigentlich vom 6.Punkt, welche Stelle dadurch bemerkenswert ist, daß die Bahn über diesen 1 1/2 Werst langen Steindamm, welcher mit riesigen Schwierigkeiten und einigen Menschenopfern über eine enge Stelle einer dortigen Meeresbucht gebaut worden ist, fährt. Auch führt von dort eine Straße nach Finnland (65-70 Werst).

Wir arbeiteten mit 4 Russen außer Schabaroff natürlich und 6 Österreich-Ungarn. Die ersten 14 Tage ging’s so ziemlich, und wir kommen vor Ende April bis Kofta. Dann jedoch machten die Russen so horrende Ansprüche und wollte dabei so eine ideale Arbeitszeit, daß sich nun Kontrolleur Kurkin entschloß, nur mit Gefangenen allein zu arbeiten. So bekamen wir in den ersten Tagen des Maies, dessen Erster natürlich als sozialer Feiertag gefeiert wurde, trotzdem bei den Russen noch der 18.April war, Ersatz von 3 Reichsdeutschen und in 14 Tagen darauf noch 3 Mann. Schabaroff mußte nach Kandalakscha, da seine Frau der Geburt eines Knäbleins entgegensah. Wir arbeiteten mit einem Russen als Ersatz, aber richtiger gesagt, wir arbeiteten nur allein, denn der gute Mann scheint Morpheus mehr zu lieben als die Telegrafenarbeit. Doch sorgte er, das muß man ihm lassen, ganz anständig für Produkte. Ende Mai warten wir fertig und fuhren von Polarny nach Kandalakscha. Angekommen, erfahren wir, daß bei einem Fluchtversuch von 60 Kriegsgefangenen, welcher aber zunichte wurde, leider zwei deutsche Unteroffiziere erschossen und ein Deutscher schwer verwundet wurde. Uns eröffnete sich nun ein neues Arbeitsfeld, nämlich das Aufstellen von Masten. Hier profitierte ich ein wenig, denn diese Arbeit war auch mir neu.

Und vor Beendigung der 4. Linie bekam ich viel Post, welche in Kandalakscha festgehalten wurde und bei Gelegenheit nachgesandt wurde. Aber auch ich schrieb nun und hoffe, daß Ihr auch etwas davon erhalten habt. Bis Juni noch führte Kurkin das Regiment, dann wurde der Telegrafendienst den offiziellen Behörden übergeben und wir bekamen einen neuen Kontrolleur, welcher Ende Juni kam. Da Schabaroff ihm sagte, daß ich etwas von Apparaten verstehe, so kam ich sofort in seinen Waggon, denn er verbrachte der Großteil der Zeit in demselben und ich lernte in ihm einen sehr guten, man muß schon sagen, zu guten Menschen kennen. Wir kochten auch da, ich oder er, gerade wie wir Zeit hatten und vertrugen uns ganz gut. Ich arbeitete auch so, daß er zufrieden sein konnte und war, denn er selbst verstand nicht gerade viel von der Sache und er behandelte mich dadurch auch besser als einen Russen, denn von denen war auch nichts zu erwarten, weil ihnen ihre „herrliche Republik“ zu Kopfe stieg. Wenn man so ihre Arbeit auf der Linie betrachtete, so war es auf den ersten Blick zu sehen, daß sich so ein Staat, in welchem so gewirtschaftet wird, nicht lange fortbringen kann. Zum Beispiel schafften an mehreren Stellen Arbeiter Steine von der Linie einige Meter weit zu Plätzen, wo sie dem Betrieb nicht hinderlich waren. Wäre das bei uns oder von unseren Leuten gemacht worden, würden 2 Mann mit Brechstangen so einen Stein in wenigen Minuten zu seinem Platz transportiert haben. So jedoch standen 14 - 16 Mann bei demselben, um ihn wurde ein Strick gebunden und nun ging man dem Stein mit Gesang, der etwa so 2-3 Minuten dauert und nach welchem dann ein Ruck von 15-20 cm erfolgte, zu Leibe. Es dauerte dann so zirka ¾ Stunden, bis man so mit einem Stein fertig war. Nach je so einem Werke kam nun eine Rauchpause von 20-30 Minuten, so daß man vielleicht mit 12 Steinen im Tag rechnen konnte, welche 14-16 Mann bewältigten. Wenn man jetzt noch den Lohn von 6 Rubel im Tag, was aber noch wenig ist, rechnet, so kommt die Arbeit für einen Stein auf 9 Rbl. Hiebei ist noch zu bemerken, daß man den Stein über eine schiefe Ebene hinaufzog, wo er sich auf dem Weg aus der Schlinge zog und unter dem Gebrüll der Arbeiter zurückkollerte, so daß manchmal die Arbeit 2, 3 mal so lang dauerte. Und überall war’s so. Bei uns verlangten die Russen einen Lohn von über 9 Rbl. im Tag. Mir wollte unser Alter 360 Rbl. monatlich geben, wenn ich dableiben wollte. Also fristete ich mein Leben im Waggon bei unserem neuen Kurk M.Metorikin angenehm. Die Zeit verging infolge vieler Arbeit gut und schnell. Im September hatten wir einen Unfall mit unserem Wagen, welcher glücklicherweise noch gut ausfiel. Ich fuhr allein von Tschupa nach Polarny, als bei unvorsichtigem Anfahren des Lokomotivführers die Zugstange des, von rückwärts gezählt, vierten Waggons riß und diese letzten Waggons infolge der Steigung, die der Zug zu nehmen hatte, zurückfuhren. Unser Wagen, ein Bremswagen, würde ja die ganze Sache angehalten haben, jedoch bei der hiesigen Ordnung waren die Bremsklötze so angeschliffen, so daß man anziehen konnte, so weit sich nur das Gewinde drehen ließ, natürlich ohne Erfolg. Zirka einen Werst fuhr ich mit. Immer schneller und schneller wurde das Tempo so daß ich es für geraten hielt, unserem führerlosen Zuge Ade zu sagen und auf den weichen Bahndamm abzuspringen. Noch zwei Werst weiter unten arbeitete man mit kleinen Sandloren. Als nun die Leute überrascht auf einmal die Wagen ankommen sahen, waren sie so erschrocken, daß es ihnen nicht schnell genug gelang alle Loren herauszuheben, an welchen nun die Ausreißer anfuhren; unser Waggon entgleiste und wurde so aufgehalten. Es fehlte nicht viel, wäre unser Wagen ganz und gar umgekippt. Du kannst Dir nun vorstellen, wie es hier in dem Waggon ausschaute. Alles drunter und drüber. Wir hatten 5 oder 6 Tintenfässer drinnen, welche natürlich zerbrachen und alles mit dunkelgrünem Ton überzogen. Nur gut, daß es noch so glimpflich ablief. Es sollte uns noch mehr beschieden sein. Bis abends wurde unser Wagen, die anderen drei hatte man noch denselben Tag ins alte Geleise gebracht und mit Menschenkraft nach der Station Krotosno geschoben. Unterwegs schon verständigte ich mittels Telefon, welches ich an der Unfallstelle an die Leitung anschloß, meinen Alten, welcher nachmittags mittels Draisine ankam. Er freute sich, daß ich ihm gesund entgegenkam. An unserem Waggon wurden die Lagerschalen beschädigt, welche, wie es zuerst hieß, in Krotosno repariert werden sollten. Nachher beschloß man aber, den Waggon nach Polarny Kruk zu bringen, mit einem Zug, welcher abends ging. Kaum aber fuhren wir 2 Werst, als es schon lichterloh bei den Achsen zu brennen anfing. Ich schrie mit aller Kraft dem Kondukteur, welcher im vorhergehenden Wagen war und derselbe hielt den Zug auf. Man schmierte und pfuschte an den Lagern herum. „Nun, bis Polarny geht’s schon“, hieß es und weiter ging’s jetzt, aber nicht als hätte man einen kaputten Waggon im Zug, sondern im Schnellzugstempo. Ich atmete schon erleichtert auf, als wir an dem Sandberg, welcher nur 1 Werst von Polarny entfernt war, vorbeifuhren, aber da auf einmal kam ein Stoß, und dahin geht’s über die Schwellen. Wir waren entgleist. Der Lokomotivführer bemerkte es anfangs gar nicht und konnte später den Zug nicht mehr so schnell aufhalten, so daß wir noch eine gute Strecke mitgezerrt wurden. Dabei sprang ich wieder ab da ich dachte, daß der Wagen über den dort ziemlich hohen Damm geschleudert werden würde. Dem war aber nicht so. Als ich wieder nachkam, stand unser Waggon in ganz erbarmungsvollen Zustand im Sande. Unser Alter, der von Tschuppa auf der Maschine unseres Zuges mitgefahren, betrachtete unter Vorwürfen meinerseits die Bescherung. Im Wagen alles drunter und drüber, der eben erst gemauerte Ofen eingefallen, Schriften, Bücher Telefone, Werkzeug, Bekleidungsstücke, alles im wirren Durcheinander. Er bewahrte aber seine eiserne Ruhe und sagte dann, daß man eben nichts machen kann. Aber alles noch zu wenig. Der Waggon sollte noch in derselben Nacht, es war nun schon nach 11 Uhr, auf die Geleise gebracht werden. Zu diesem Zweck war ein Aufseher zu uns gekommen, der nun auf die Arbeiter wartete. Unser Alter fragte denselben noch, ob wir, ohne die Arbeiten zu stören, im Wagen schlafen konnten. welches derselbe bejahte. Wir richteten uns also, so gut es die Wirtschaft zuließ, ein und legten uns nieder. Ich hatte Zahnschmerzen und konnte nicht gleich einschlafen. Von der Ferne hörte ich eine Maschine kommen, mit der Arbeitsmannschaft, wie ich dachte. Sie kam näher und näher, ohne daß sie irgendein Signal zum Stehen gab. Da kam mir der Gedanke, daß man dieselbe nicht verständigte, daß ein Waggon auf dem Geleise stand und diese uns nun zusammenfuhr. Aufspringen, den Aufseher wecken und unserem Mechaniker zuzuschreien, daß er schnell weggehen sollte, er lag mit dem Kopf gerade in der Pufferhöhe der Maschine, denn unser Wagen stand ja tief im Sande, war ein Augenblick. Eine Sekunde später kam schon mit Krach die Maschine in unseren Waggon. Die Wucht des Stoßes wurde aber einesteils von dem Gegenstoß, andererseits dadurch, daß der Maschinist noch im letzten Moment unseren Waggon, trotzdem eine Kerze in demselben brannte, gesehen und noch Konterdampf gab, aufgehalten und auch wir nur noch einige Meter fortgeschoben. Wenn Du aber denkst, Darling, daß sich der Maschinist kümmerte, was und wen er eigentlich zusammengeführt hatte, irrst Du. Derselbe fuhr ruhig zurück. Unter einem dreifachen Fluch war der Alte runter mit dem Aufseher auf die Station und ich dachte, ihr könnt mich alle lieben, band mit Draht die Tür so gut es eben ging, denn alles war schon aus den Winkeln, zu und ging mit Decke und Mantel in eine nahe Baracke zu Gefangenen. In der Nacht hob man den Wagen noch ins Geleise und dabei auch viele Sachen aus ihm heraus. Darunter auch das Portemonnaie aus Cospoli.

Tobolsk, 26.Mai 18

My Sweaty!

Die Zeit oder richtiger der Jahrestag unserer Wachauerpartie ist nun wieder gekommen und nichts hat sich noch geändert. Noch immer sind die Tore verriegelt, ob von außen oder von innen, wir wissen es nicht. Und doch eine Veränderung unseres Aufenthaltsortes hat stattgefunden. Wir sind von Barnaul über Tjumen hierher.

Schluß fehlt


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