Simon Wels - At the ‘Bernats’

Nachwort

Prag, 1. November 1939

von Rudolf Wels

Wir schreiben das Jahr 1939. Heute ist der erste Novembertag. An diesem Tag, vor siebzehn Jahren, starb mein Vater.

Ich bin damit fertig, seine Erinnerungen aus diesen "Fetzen" abzuschreiben, wie er selbst seine Notizen beschrieben hat. Es tut mir leid, dass er nicht weitergemacht hat. Ich kann seine Erinnerungen nicht vervollständigen. Zweifellos hätte er in seiner einfachen und ruhigen Umgebung viel mehr Interesse gefunden, aber der Tod mit seiner ruhigen und unerbittlichen Hand zog eine Grenze zwischen seinem Leben hier auf Erden und dem Leben dort drüben. Vater pflegte zu singen: "da leg ich meinen Hobel hin, - und sag der Welt: Ade". Es war eine Feder, kein Flugzeug, das er vor seinem Abschied niederlegte. Die Žanynka, die er über alle anderen liebte, pflegte ihn selbst bis zum Ende, bis zu dem Moment, in dem dieses Leben friedlich und fast unmerklich erlosch.

Auf der ersten Seite seiner Erinnerungen - oder wie er sie bescheiden nannte, sein "Tratsch" - bemerkte er, dass er am 20. April 1853 zum ersten Mal das Licht "einer kleinen Öllampe" erblickte, was bedeutet, dass er 69 Jahre lebte, da diese kleine Öllampe am 1. November 1922 leise erlosch. Er starb an der heimtückischen Leukämie, die ihn die letzten dreizehn Jahre gequält hatte. Er wurde vom selben Professor Münzer, von dem er auf der letzten Seite seiner Memoiren zustimmend schreibt, behandelt, der ihn röntgen ließ und sich sehr um ihn bemühte. Sie waren große Freunde, diese beiden Männer: der Arzt und der

geduldig, und sie sprachen oft gemeinsam über die Sinnlosigkeit des Lebens und wie man in seinen Kindern weiterlebt. Auch Vater wollte diese Gespräche aufzeichnen, aber er kam nicht dazu. Die Nachricht vom Selbstmord des Arztes im Jahre 1918 hat ihn sehr erschüttert. Er beklagte, dass die Welt einen Wohltäter und er selbst einen Freund verloren hatte. Im Laufe dieser nicht aufgezeichneten und unbeschriebenen Jahre von 1897 bis 1922 erlebte Vater noch viel mehr. Es ist schade, dass er nicht weitermachen konnte, denn seine Meinungen sind goldene Körnchen von Rat, gesundem Menschenverstand und Sensibilität. Ich kann die Lücke nicht füllen: Damals lebte ich mit ihm nur durch unsere Briefe. Und ich habe auch nicht den Wunsch dazu. Es fehlt mir die Fähigkeit, es gäbe weder sein lebhaftes "Lokalkolorit" noch das Gespür für die Atmosphäre der damaligen Zeit. Er hätte zweifellos das Leben von mir und seinen anderen Kindern in diesen fünfundzwanzig Jahren beschrieben, denn in seinen Erinnerungen verwebte er sein eigenes Leben mit dem seiner Kinder. Und in diesen Jahren geschah viel, und er war gut informiert.

1901 leistete ich meinen Militärdienst in Prag, und er war überglücklich zu hören, wie gut ich der anstrengenden Tätigkeit standhielt und wie die frische Luft und die körperliche Anstrengung mich abhärteten. Er war so überaus stolz auf mein Können, dass ich eines Tages zu Hause gezwungen war, meine Uniform anzuziehen, meinen Säbel und meine Feldbinde zu gürten, meinen Paradehelm aufzusetzen und ihn zu seinem alten Freund General Cipra von Cypressenburg zu begleiten. Als wir nach Hause gingen, wiederholte er die Worte des alten Generals und lachte herzlich darüber: "Siehst Du, mein alter Freund, jetzt ist dein Sohn ein gemachter Mann!". Und zu den stolzen Worten des Generals fügte er hinzu: "Und du bist immer noch weniger wert als nichts, mein armer Leutnant! Nach einer zweiwöchigen Ruhepause nach den kaiserlichen Manövern fand ich eine Anstellung bei einem Prager Baumeister namens Richter, und Vater freute sich einmal mehr, dass ich bereits mit zwanzig Jahren für mich selbst sorgen konnte.

Als ich Aninka und Ota in meiner Wohnung aufnahm und für ihre Kost und Logis bezahlte, um ihnen zu helfen, einen Teil des Geldes für ihr Studium in Prag zu sparen (Aninka war an der Handelsakademie, Ota an der Realschule), nahm Vater das als Zeichen der Zufriedenheit und Dankbarkeit für das, was er früher für mich getan hatte.

So interpretierte er die Selbstverständlichkeit des Handelns als Großmut des Schuldners. Er konnte herzlich über meine Abenteuer lachen, die ich in der Praxis in Herrn Richters Firma erlebte, wie z.B. das Erstaunen des Baumeisters, dass ich perspektivische Zeichnungen "ohne Schnüre" machen konnte. Und es gab eine Gelegenheit, bei der diese ewige menschliche Eitelkeit seine Heiterkeit erregte. Der Baumeister zeigte ihm mein erstes Architekturprojekt - die Fassade eines Gebäudes in "Florenc". Ich stand in ihrer Nähe und kritisierte laut die Figur über dem Tor, bei der der Chef rief: "He, die ganze Arbeit habe ich selbst gemacht und brauche keine Kritik von irgendjemandem! Später freute er sich sehr, als ich im Alter von fünfundzwanzig Jahren mein Bauingenieur-Examen bestand und mich um einen Platz am Polytechnikum bewarb. Wir sprachen darüber, ob das tatsächlich die richtige technische und künstlerische Ausbildung für jemanden war, der sich in diesem Beruf auszeichnen wollte, und er segnete meine Entscheidung ab, in Wien an der Kunstakademie bei Professor Ohman zu studieren. Auf meinen "Rompreis" drei Jahre später war er so stolz, als hätte er ihn selbst gewonnen und sei mit mir nach Italien und England "auf Entdeckungsreise" gegangen, wie er es in einem Brief an mich beschrieb.

So lebten wir durch unsere Briefe zusammen. Bei zwei Gelegenheiten besuchte er mich in Wien und traf sogar Adolf Loos. Es gelang ihm, Loos in Erstaunen zu versetzen, der es kaum glauben konnte, dass ein gewöhnlicher Mensch über ein so breites Wissen und eine so große Erfahrung verfügen sollte.

Ida und ich haben gerade seine Briefe an mich aus den Jahren 1914 - 1918 noch einmal gelesen. Er beschreibt, wie er eine Villa mit Garten in Rokycany kaufte und wie schwer es ihm fiel, sich von dem kleinen Häuschen zu trennen, das er umgebaut hatte und in dem seine Kinder geboren worden waren, wie traurig er war, seine Gemeinde Osek zu verlassen, wohin er einst seine Žanynka gebracht hatte. Die Not des Umzugs und die Ruhe, die sie in der Stadt fanden. Er erzählt vom Ausbruch des Krieges und von Briefen per Feldpost; von Ängsten um das Leben von mir und meinem Bruder. Dann berichtet er von seiner anstrengenden Arbeit als Vorsitzender des Flüchtlingshilfsvereins und erzählt vom Leben der Ärmsten der Armen, die in ihrer Heimat Galizien alles verloren hatten und sich nur mit leeren Händen nach Böhmen schleppen konnten. Mit Humor beschreibt er den Charakter der Flüchtlinge, einschließlich einiger weniger schmackhafter Aspekte. Bei einer Gelegenheit wurde er von einem Bittsteller mit folgendem Appell angesprochen: "Hochgeerter Herr Anwesend, jach bróche zu gebróchen sechs Hemden und sechs Ünterhojsen." Und offenbar lag der Grund, warum er so viel verlangte, in der Erwartung, auf ein Hemd niedergeschlagen zu werden. Es gab tausendundeine solche Geschichten. Das Ende des Krieges, die Rückkehr seiner beiden Söhne und die triumphale Ankunft seines geliebten Tomáš Masaryk in Prag. Welch strahlende, glorreiche und glückliche Tage waren das für Vater!

Hier ist ein Brief, den er Aninka aus Wien nach Hause schrieb, als er und Mutter bei einem Besuch in meinem Atelier in der Neubaugasse waren, in dem er erzählt, wie ich sie in einem sechs Quadratmeter großen Raum untergebracht habe, wie sie beide die Pracht Wiens mit seinen Gebäuden, Denkmälern und Parks sowie all seine Museen und schönen Straßen bewunderten, wie ich sie in Restaurants ausführte und was für wunderbare Dinge sie aßen. Aber wie sie vor allem das Theater verzauberte! In der Hofoper sahen sie "Carmen" und "Der Zigeunerbaron" und im Burgtheater "Julius Cäsar" und "Ein Sommernachtstraum". Und das alles mit seiner geliebten Žanynka! Ihre Freude kannte keine Grenzen!

Dann gibt es Briefe, in denen er mich warnte, vor der Heirat alles genau zu überdenken; zugegeben, ich war über dreißig, aber ich sollte abwarten und sehen, wie sich die Dinge nach dem Krieg entwickeln. Es gibt einen Brief, in dem er sagt, wie sehr er Ida geliebt hat, der mich aber trotzdem drängt, es von allen Seiten zu überdenken; dann gibt es einen, in dem er seinen Segen und schließlich seine rührenden Glückwünsche ausspricht, einen Brief für unsere Ehe und eine väterliche Liebeserklärung an Ida. Seine nachfolgenden Briefe erzählen von seiner Behandlung in Karlovy Vary, wo er bei uns wohnte, sowie von Erinnerungen und Erinnerungen an seine eigenen Flitterwochen in dieser Stadt viele Jahre zuvor - und wie sich die Stadt und alles verändert hatte!

der schöne Enkel Tomáš und sein Verhalten; sein Stolz auf seine charmante, unglaublich kluge und geschickte Schwiegertochter Idinka. Einer dieser Briefe enthält eine Beschreibung von uns in Kostümen: Idinka als Ritter in Rüstung und Rudolf als alte Hexe. Und so weiter!

Am 1. November 1922 brachte mir einer meiner Büromitarbeiter, Hruška, ein Telegramm nach Hause in die Wohnung. Ich war gerade mit dem Rasieren fertig. Ich öffnete es und las den Text: "Vater starb heute Morgen friedlich." Wir gingen beide zur Beerdigung. Mutter war sehr gut vorbereitet, da Vater schon seit einigen Wochen dem Tod nahe gewesen war. Wir blieben bei ihnen und reisten dann zur Einäscherung nach Prag.

So schlossen sich die Türen hinter dem Verstorbenen und hinterließen nur schriftliche Erinnerungen und glückliche Erinnerungen an diesen bemerkenswerten Mann. Unsere Familie wuchs noch einmal mit der Ankunft eines zweiten Sohnes, den Vater nicht kennen sollte - Martin. Aber Mutter hatte große Freude an ihm und Tomáš in Karlovy Vary. Sie gab Tom den Spitznamen "der Aristokrat" und Martin den Spitznamen "der Rebell". Idinka übertrug nun all die Liebe und Aufmerksamkeit, die sie dem Vater entgegengebracht hatte - in doppeltem Maße - auf die Mutter, die sie ebenfalls von ganzem Herzen liebte, bis zu Mutters Tod am 5. September 1930. Sie starb unter schrecklichen Schmerzen an Magenkrebs. Sie war eine gute Frau, freundlich zu allen und schön bis zum Ende. Sie lebte in der Erinnerung an den treuen Ehemann, den sie über alle anderen liebte. Sie verdiente ein besseres und leichteres Ende, die Arme!

Idinka sah, dass ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte. Ich war fünf Monate lang ohne Arbeit gewesen. Ich hatte sogar meine architektonischen Zeichnungen von Prag fertiggestellt. Die Tage lasten schwer auf dir, wenn du morgens aufstehst und nicht weißt, warum. "Setz dich", sagte Idinka, "hier ist das Paket mit den Erinnerungen an Vater. Sortiere sie aus. Es wird sich bestimmt lohnen.". Ich tat, was mir aufgetragen wurde - und es war es wert. Oft habe ich die Zeit - und die Zeiten - stundenlang vergessen.

Anmerkung der Redaktion

von Gerry Turner

In einer kleinen englischen Stadt unweit von London lernten einige Freunde von mir (eine halb englische, halb tschechische Familie) durch Zufall kennen - ein Zufall, den ich mit der Familie von Herrn Colin Wels zu lange beschreiben würde. Bei einem bestimmten Treffen ging es in dem Gespräch um die Tatsache, dass die Welses ein Familienerbstück eines Manuskriptbuchs in tschechischer Sprache besaßen. Für die Welses war es eine unverständliche Sprache, und sie fragten sich, ob die T...s (meine Freunde) es sich vielleicht einmal ansehen möchten. Einige Monate später, kurz vor Weihnachten, brachten sie das Manuskript aus England, und Sie halten nun den Text in Form dieses in Prag veröffentlichten Buches in Ihren Händen.

Das Buch hatte eine erstaunliche Reise hinter sich. Von Prag nach England und von England als Fotokopie fast fünfzig Jahre später zurück nach Prag, wo es für seine Erstveröffentlichung vorbereitet wurde. Es ist nicht klar, wann und wie das Manuskript überhaupt nach England gelangte. Rudolf Wels, der die Memoiren seines Vaters Šimon Wels abschrieb, hatte zwei Söhne, Tomáš und seinen jüngeren Bruder Martin. Tomáš gelang es, den Nazis wahrscheinlich irgendwann im August 1939 zu entkommen und über Polen nach England zu reisen. Der Rest der Familie, so geht aus einem Briefwechsel hervor, bereitete sich auf die Ausreise nach Amerika vor, während er vergeblich auf ein Visum wartete. Während des Krieges scheinen sie alle, d. h. Rudolf Wels, seine Frau Ida und ihr jüngerer Sohn Martin, gestorben zu sein.

Nach dem Krieg kehrte Tomáš in einer britischen Militäruniform zu einem kurzen Besuch nach Prag zurück. (Er hatte während des Krieges in der tschechischen Sektion der Königlichen Luftwaffe gedient). Bei dieser Gelegenheit nahm er einige wertvolle Familienmitglieder aus Prag mit. Ich bin nicht sicher, ob das Manuskript seines Vaters und seines Großvaters unter ihnen war. Die Familientradition besagt, dass das Manuskript einige Zeit nach dem Krieg zusammen mit einigen anderen Erinnerungsstücken, die über Amerika geschickt wurden, empfangen wurde. Auch der jüngste Sohn von Šimon Wels, Otto, war in England vor den Nazis geflohen. Er starb dort viele Jahre nach dem Krieg bei einem Verkehrsunfall. Es ist nun auch unwahrscheinlich, dass wir von Tomáš Wels jemals etwas über die Vorgeschichte des Manuskripts erfahren werden. Während ich dieses Nachwort schreibe, gehe ich davon aus, dass er noch am Leben ist, aber durch einen Schlaganfall nicht mehr sprechen und schreiben kann.

Vielleicht ist es auch erwähnenswert, dass der in tschechischen Ohren so englisch klingende Familienname des Autors lange bevor sich seine Nachkommen in England niederließen und so anglisiert wurden, dass sie ihre mitteleuropäische Herkunft nur vage vermuteten, angenommen wurde. Was ich aus dem Text der Erinnerungen und aus der Korrespondenz verstanden habe, ist, dass der ursprüngliche Name des Autors Šimon Vedeles war, und die Familie 1912 den Namen Wels annahm.

Aber der vielleicht bemerkenswerteste Zufall, der das Buch umgibt, ist schließlich die Tatsache, dass die englischen Welses in einer kleinen Stadt unweit von London zufällig die Bekanntschaft einiger Fremder machten, die zufällig Tschechisch sprechen, und dass diese zufällige Begegnung möglicherweise das war, was ihre Neugierde weckte (sie hatten noch nie zuvor versucht, ihre Familienerbstücke durchzusehen und zu entziffern) und sie dazu veranlasste, die T...s zu fragen, ob sie das Manuskript vielleicht einmal ansehen möchten. Durch Zufall ist dieses bemerkenswerte Erinnerungsbuch aus der Vergessenheit aufgetaucht.

Der Text des Manuskripts wird praktisch unverändert veröffentlicht. Ich bewahre seine ursprüngliche Form mit all seinen stilistischen und orthographischen Eigenheiten, ohne zu versuchen, zwischen diesen Eigenheiten und Rechtschreibfehlern zu unterscheiden. Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich habe nur korrigiert, wo ich der Meinung war, dass der Kopist einen Fehler gemacht hat. Ich habe alle diese Korrekturen aufgelistet.

18. Juli 1988 Zbynĕk Hejda

Das Hobellied

Die Jugend wird stets mit Gwalt anhalten

In allem glücklich sein,
Doch wird man nur ein bisserl alt,
Da findet man sich schon drein.
Oft zankt mein Weib mit mir, o Graus!
Das bringt mich nicht in Wut.
Da klopf ich meinen Hobel aus
Und denk, du brummst mir gut!

Zeigt sich der Tod einst, mit Verlaub,

Und zupft mich: Brüderl kumm!
Da stell ich mich am Anfang taub
Und schau mich gar nicht um.
Doch sagt er: Lieber Valentin!
Mach keine Umständ! Geh!
Da leg ich meinen Hobel hin
Und sag der Welt: Adje.

Also streiten die Leute viel über

den Wert des Vermögens,
und wer den anderen dumm nennt,
und niemand weiß etwas.
Für einen der ärmsten, erbärmlichsten Menschen
ist viel zu reich und stolz:
Und das Schicksal schneidet dann mit dem Hobelmesser
und fliegt sie alle gleich.

Die Jugend will immer mit Nachdruck

überall Glück haben;
aber wenn man dann ein bisschen alt wird
ist Ihnen wirklich egal.
Und wenn meine Frau mit mir streitet... das regt mich nicht auf;
Ich haue meine Hobelmaschine einfach um
und denken Sie: Sie rumpeln gut!

Und der Tod, wenn er an meine Tür klopft ---- und fleht mich an: "Bruder, komm!",
Zuerst scheine ich so taub zu sein
und drehen Sie sich einfach nicht um.
Aber wenn er sagt: "Lieber Valentin,
Mach dir jetzt keine Sorgen, lass uns gehen!",
Ich muss meinen Hobel abstellen
und verabschiedet sich von der Welt.

Text: Ferdinad Raimund

Melodie: Konradin Kreuzer

Übersetzung: Michael Bednarek

Er spricht noch auß dem Grabe

Qwodlibet

Ich war / itzt ligt das weit /
der Flaccus meiner Zeit.
Ich war ein Mäntsch wie du /
itzt däkkt der Sand mich zu.
Kein Blühmckens blau und blaß
blühn mir mehr ümb den Parnass /
nie mehr spihgelt mir ein Born
Frau Lunens sanfftes Silber-Horn /
nie mehr glüzzert durch den Himmel
mir das schöne Stern-Gewimmel!
Aurorens Scharlach-Glantz /
der Kindgens-Drippel-Dantz /
die goldbestirnte Wihsen /
auff die die Schäffer blihsen /
Amandgens Rohsen-Kuß /
die Welt in floribus

dass ist nun alles hin /
weil ich erkaltet bin!
Du lebst und dir ist wohl /
dir pfeifft noch der Pirol.
Dir ferbt die bundte Au
noch Ambrosiner-Thau.
Du sizzt dich auff den grünen Rahsen
und hörst den sanfften Zefir blahsen /
derweil so summbt den Feld-Rain lang
der Bihngenser Leiser Sommer-Sang!
Ach / dass nicht jede Zeit
der Himmel Rohsen schneyt!
Daß alles / waß entsteht /
flinck wie ein Rauch zergeht!
Kahle ränder schwartze Schatten
dir deine blanke Matten /
drauff Titan froh froh bestrahlt
waß kein Parrhasius mahlt!
Bald ligstu alt und kranck
auff Mortas Folter-Banck /
bald mustu dein zerstörükktes Stammeln
in nichts alß Threnen-Krüge sammeln!
Die alten Odlers-Krafft
schwand dir dahin-gerafft /
und war auch alles dein

zurlezzt scharrt man dich ein!
Die Welt-gepreisten Wunder /
wo sind sie nunitzunder?
Sälbst Salomo / der Weise /
ward schliesslich Schlangen-Speise!
Horch drümb / waß mein Staub dir spricht:
So vihl Goldhut Ophir nicht /
alß in ihrem Munde
die flüchtige Secunde. O Adame / o Eva /
Vita somnium breve!

Arno Holz

Das Hobellied

Die Jugend will halt stets mit Gwalt
In allem glücklich sein,
Doch wird man nur ein bisserl alt,
Da find man sich schon drein.
Oft zankt mein Weib mit mir, o Graus!
Das bringt mich nicht in Wut.
Da klopf ich meinen Hobel aus
Und denk, du brummst mir gut!

Zeigt sich der Tod einst, mit Verlaub,
Und zupft mich: Brüderl kumm!
Da stell ich mich am Anfang taub
Und schau mich gar nicht um.
Doch sagt er: Lieber Valentin!
Mach keine Umständ! Geh!
Da leg ich meinen Hobel hin
Und sag der Welt: Adje.

So people argue much about
the value of fortune,
and he who calls the other dumb,
and no-one knows a thing.
For one the poorest wretched man
is much too rich and proud:
And fate then cuts with planing knife
and planes them all alike.

The young want always forcefully
be lucky everywhere;
but if you then turn old a bit
you really don’t much care.
An when my wife does fight with me
that does not upset me;
I simply knock my planer clean
and think: you rumble well!

And death, when he knocks on my door
and begs me: “Brother, come!”,
at first I seem to be so deaf
and just don’t turn around.
But when he says: “Dear Valentin,
don’t fret now, let us go!”,
I have to put my planer down
and bid the world adieu.

Text: Ferdinad Raimund

Melody: Konradin Kreuzer

Translation: Michael Bednarek

Er spricht noch auß dem Grabe

Qwodlibet

Ich war / itzt ligt das weit /
der Flaccus meiner Zeit.
Ich war ein Mäntsch wie du /
itzt däkkt der Sand mich zu.
Kein Blühmckens blau und blaß
blühn mir mehr ümb den Parnass /
nie mehr spihgelt mir ein Born
Frau Lunens sanfftes Silber-Horn /
nie mehr glüzzert durch den Himmel
mir das schöne Stern-Gewimmel!
Aurorens Scharlach-Glantz /
der Kindgens-Drippel-Dantz /
die gold-bestirnte Wihsen /
auff die die Schäffer blihsen /
Amandgens Rohsen-Kuß /
die Welt in floribus ‒
daß ist nun alles hin /
weil ich erkaltet bin!
Du lebst und dir ist wohl /
dir pfeifft noch der Pirol.
Dir ferbt die bundte Au
noch Ambrosiner-Thau.
Du sizzt dich auff den grünen Rahsen
und hörst den sanfften Zefir blahsen /
derweil so summbt den Feld-Rain lang
der Bihngens leiser Sommer-Sang!
Ach / daß nicht jede Zeit
der Himmel Rohsen schneyt!
Daß alles / waß entsteht /
flinck wie ein Rauch zergeht!
Bald rändern schwartze Schatten
dir deine blancke Matten /
drauff Titan froh bestrahlt
waß kein Parrhasius mahlt!
Bald ligstu alt und kranck
auff Mortas Folter-Banck /
bald mustu dein zerstükktes Stammeln
in nichts alß Threnen-Krüge sammeln!
Die alte Odlers-Krafft
schwand dir dahin-gerafft /
und war auch alles dein ‒
zurlezzt scharrt man dich ein!
Die Welt-gepreisste Wunder /
wo sind sie nunitzunder?
Sälbst Salomo / der Weise /
ward schliesslich Schlangen-Speise!
Horch drümb / waß mein Staub dir spricht:
So vihl Gold hat Ophir nicht /
alß in ihrem Munde
die flüchtige Secunde. O Adame / o Eve /
Vita somnium breve!

Arno Holz

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