Grete Schröfl - Robert Schröfl: Korrespondenz


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19. IX.20

Liebe Grete!

Sonntag früh. Sitze in einer recht freundlichen Wirtsstube bei einem Glas Kaffee. Außer der Frau Wirtin, einer hübsch kugelrunden Frau mit schneeweißen Haaren, einem Großmütterchen, das in der Küche herumfuhrwerkt und einem blondgelockten Pudel ist kein lebend’ Wesen zu sehen, denn ’s ist erst 6 Uhr. Bin nämlich gestern schon um 7 Uhr schlafen gegangen und hab’ mich daher einmal fein ausgeschlafen. Das Bett ist zwar eher ein Dunstbad zu nennen gewesen als ein Bett, unt’ eine Duchent (ich weiß gar nicht, wie man das schreibt), oben eine Duchent. Na, Sie werden ja die Bauernbetten kennen. Aber ungeachtet dessen schlief ich doch bis 5 Uhr. Und das war auch schon Zeit, denn gestern wäre ich bald unfreiwillig nach der Tschecho-Slowakei gefahren, denn ich schlief bereits von Wien bis Deutsch-Altenburg. Und es wäre gar nicht not gewesen, gestern so früh aufzustehen, denn als ich um 6 Uhr am Bahnhof ankam, da stand in großen Lettern vor der Garderobe mit dem Material, das ich als Reisegepäck mitnehmen sollte, geschrieben: „Gepäcksausgabe ab 7 Uhr“. Pumps, da sitze ich nun. Mein Zug ging 6 Uhr 40 und nachdem derselbe nicht gewillt war, weder auf die Gepäcksfrau, noch auf das Gepäck noch auf mich zu warten, so saß ich bis 9 Uhr und 6 Minuten. Aber dann ging’s schnell, denn es war ein Schnellzug.

Hier angekommen, mußte ich längere Zeit suchen, bis ich an den Mann kam, und als ich ihn endlich gefunden, nämlich sein Haus, war derselbe nicht daheim. So besorgte ich mir einstweilen Quartier, aß zu Mittag und ging nochmals zu Herrn Rachholz. Nach einigem Warten kam er, wir besprechen uns betreffs Arbeit und ich wollte, nachdem eben seine Frau den Tisch gedeckt, natürlich gehen, hatte aber kein Glück, denn dieselbe rief mir, in dem Sinne, wie eine Person dem Aschenbrödel in demselben Stück zuruft: „Wo laufst denn hin, du schönes Mädel, wir krieg’n ja heut’ noch Zwetschkenknödel!“ Und so mußte ich 5 große Knödel noch essen. Nachmittags arbeitete ich.

Nun, liebe Grete, habe ich aber genug gequatscht über meine kleine Person und hoffe in dem nächsten Schreiben ebensoviel über Sie lesen zu können. Aber nicht hierher, denn ich komm Montag schon zurück.

Auf Wiedersehen!

Robert

Bahnhof Mähr. Ostrau, 23. IX., 2 Uhr nachts

Meine liebste Grete!

Bis hierher alles gut gegangen. In Hohenau haben sie diesmal das Blech und so auch mich ruhig durchgelassen. In Lundenburg ging die so gefürchtete und verschrieene Zollrevision zwar in gräßlicher Hitze aber doch glatt von statten, nur machte ich ein ziemlich langes Gesicht, als ich für dieses Blech einen Zoll von 57.90 cech. Kronen zahlen mußte (cka.230 K). Auf diese Weise sitze ich nur mit 48 K in der Tasche hier. Na, das ist ja kein angenehmes Gefühl, aber bis zum Bestimmungsort wird’s schon reichen und dort bekommt man ja. Übrigens kommt ja schon morgen meine erste Auszahlung (25. IX.: Ja, Schnecken, vielleicht in 14 Tagen.)Der Bahnverkehr ist hier ein ziemlich guter, d.h. die Bahn fährt hübsch schnell, nur das viele Umsteigen, besonders mit Gepäck, ist sehr unangenehm. Früher setzte man sich halt in Wien in den Zug und fuhr bis hierher, jetzt muß man zweimal umsteigen. Was die Sprache anbelangt, kommt man überall mit Deutsch aus, also ist das alles nur Gerede, betreffs des Nationalstolzes u.s.w.

Trzynietz, 25. IX.20

Liebste Grete!

Vorgestern nachts schlief ich buchstäblich während des Schreibens ein. Aber bitte nicht böse sein deshalb, ich hatte ja einen so großen Schlaf. Und schlief auch richtig bis 6 Uhr früh. Du mußt nämlich wissen, daß ich im Wartesaal übernachtete, da ich erstens so spät nichts mehr gefunden hätte, zweitens ganz froh war darüber, wegen meiner mageren Geldbörse. Früh ging ich dann zur Vertretung und fuhr, nachdem ich dort Instruktionen erhalten, zuerst mit einer elektrischen Fernbahn und dann mit der Kaschau-Oderberg-Bahn hierher. Bin von Wien aus NUR 5 mal umgestiegen.

Fortsetzung folgt, denn ich muß zur Arbeit.

So. ’s ist 2 Uhr Nachmittag. Gearbeitet hab’ ich zwar nichts, doch hatte ich Laufereien wegen der Lebensmittelkarten, Anmeldung bei der Gemeinde, weiters mußte ich mich hier bei unserem Ingenieur und einigen Herrn vorstellen - lauter angenehme G’schafteln.

Aber schneller ist’s ja doch gegangen als in Wien. Hab auch schon 1 Laib Brot, 1 kg Mehl und 1 ¾ kg Zucker gefaßt. Brot und Mehl für 1 Woche, Zucker für 1 Monat. Außerdem bekommt man Mittag- und Abendessen im Werksgasthaus und zahlt dafür 9 K. Quartier ist frei. Also ’s ist nicht so schlecht. Trzynietz ist eigentlich nur ein Eisenwerk. Alles übrige sind Anhängsel. Ich bin das erste Mal in so einem großen Werk und bewundere unsere heutige Technik. Es wird einem ganz schwummerlich, wenn man so zwischen den riesigen Hochöfen hindurch, vorbei an den feurigen Schlünden der Schmelzen, an dem Walzwerk und wie alle diese Werkstätten heißen, geht. Einen Lärm gibt’s da, ein gar nicht unterscheidbaren Schlagen, Zischen, Brausen und Pfeifen, und ich schaue alle Augenblicke, ob nicht jetzt oder jetzt so ein Stück von irgendwo geflogen kommt aus diesem scheinbaren Durcheinander. Und doch geht alles in Ordnung. Ein Zahn greift in den andern.

Wieviel menschliches Denken und Arbeit kostet die Schaffung solcher Anlage. Dir wird das alles nicht Neues sein, denn in Ternitz wirst Du ja Gelegenheit gehabt haben, solches zu sehen.

Die Umgebung ist hier gebirgig und landschaftlich schön. Morgen werde ich mir dieselbe ein wenig anschauen. Hätte doch doppelten Genuß, wenn Du mit mir das alles sehen könntest. Es ist halt ein großes Kreuz, dieses Alleinsein.

Hoffe recht bald von Dir Antwort zu bekommen und daß Du diese Zeilen früher bekommst, eh Du nach Prag fährst. Wie geht’s Mutter, Hansi und Trudi? Möchte mich sehr freuen, von Hansi einige Zeilen zu bekommen und schaden wird’s ihr nichts.

Morgen will ich noch einiges dazuschreiben. Bis dahin küßt Dich Dein

Robert

Sonntag, 26. IX.20

Liebe Grete!

Nun ist der Sonntag auch bald vorüber. Vormittag war ich in den Bergen. Es ist ein herrlicher Nadelwald hier. Lauter große kerzengerade Fichten. Und da setzte ich mich nun hin und las „Zlatarog“. Das paßt recht in die Umgebung. Kennst Du „Zlatarog“? Von Baumbach eine Alpensage. Nachmittag sah ich mir unsere Arbeit an. Es sind hier vier Arbeitskolonien, welche wir beleuchten sollen. Nun, Darling, schreib mir recht bald, bitte schneller als den Brief an Br. Fuhriman.

Mit lieben Küssen

Dein Robert

Wien, 24. IX.1920

Mein Robert!

Zwar hab’ ich Dir heute und gestern in Gedanken eine Unmenge dummes Zeug erzählt, muß nun aber doch versuchen, auch etwas davon zu Papier zu bringen. Ich glaub’ nämlich, Gedanken, von denen die Person, die sie betreffen, nichts weiß, sind ziemlich unnütz. Beginne schon heute zu schreiben, damit ich bei Empfang Deiner Adresse den Brief womöglich fertig habe. Wie Du weißt, dauert es ziemlich lange, ehe ich einen Brief beendigen kann. Müßte ich aber ebensolange auf Antwort von Dir warten, verzehrten mich Sehnsucht und Ungeduld. Na, mir scheint, ich komme nicht weiter. Habe nämlich eben wieder 10 Minuten ins Blaue gestarrt und über das Mystische in uns’rer Liebe gegrübelt. Warum mußten wir beide erst solche Irrwege wandeln, ehe wir zu einander fanden?!

Nun, vielleicht sollte ich weniger grübeln und mich lieber mehr freuen, daß das, was ich mir seit Jahren mit allen erdenklichen Vernunftgründen auszureden suchte, nun doch Wahrheit werden soll. Auch mich freuen, daß ich mich während all der Zeit nicht so gebunden habe, daß es mir jetzt unmöglich wäre, mich frei zu machen. Hätte ich jemand mein Wort gegeben, hätte ich es nie gebrochen, ebenso wenig, als ich je annehme, daß Du Lina das ihr gegeb’ne Wort brechen würdest. Wenn Du’s nun doch tust, mußt Du wohl Grund dazu haben, doch bitte ich Dich auf alle Fälle, tu es nicht um meinetwillen. Ich will mir nie den Vorwurf machen müssen, daß ich an Eurer Entzweiung schuld bin. Vielleicht gerade darum, weil ich Lina nie mochte und sie auch, trotzdem ich mir redlich Mühe gab, sie kennen und lieben zu lernen, nicht lieb gewinnen konnte.

Meine Prager Reise wird, wenn sie überhaupt zustande kommt, erst um 10 Tage später stattfinden. Und nun will ich Dir gleich eine Generalbeichte ablegen. Mein Besuch bei Schwester Brodil gilt nicht so sehr ihr als Bruder Gleißner. Er quält mich seit mehr als zwei Jahren um ein Wiedersehen; da er nicht nach Österreich darf, eben in Prag. Hätte Schwester Huber vor zwei Jahren Zeit gehabt, wären wir mitsammen hingefahren. Da dies jedoch nicht der Fall war, schlug ich ihm die Gewährung seiner Bitte ab. Jetzt aber ist Schw. Brodil dort; ich hatte keinen Grund zur Weigerung, so hab’ ich ihm vorigen Herbst versprochen zu kommen. Muß ich nun mein Versprechen nicht halten? Ich denke doch, trotzdem es mich im Jänner schon wieder reute. Weißt, Liebling, ich finde, daß das Ganze Unsinn ist. Er gibt vor mich zu lieben. Nun, es ist möglich, daß er selbst das glaubt, ich glaube es nicht. Wie kann man jemanden lieben, den man nicht kennt, nämlich höchstens 15 bis 20 Mal gesehen hat? Ich glaube vielmehr, er hat sich da irgendwelche Idealgestalt geschaffen, für die er mich nun hält. Das Beste wird nun sein, ihn durch meinen Besuch zur Wirklichkeit zurückzuführen.

Und was ich noch hoffe, ist, ihn mit Brodils besser in Verbindung zu bringen. Ich hatte nämlich von jeher die Idee, daß Fanni Brodil für Br. Gleißner viel besser passen würde als ich. Erstens ist er um einige Monate jünger als ich, kann also ruhig noch 3 bis 4 Jahre warten, abgesehen davon, daß er tatsächlich nicht früher heiraten könnte. Bis dahin ist dann Fanni 19 oder 20 Jahre alt. Zweitens ist das Mädel sehr lieb, gescheit u.s.w. Und drittens würden die beiden ein ideal schönes Paar abgeben. Fanni verspricht eine Schönheit zu werden und Philipp ist ein selten schöner Mann. Lachst Du noch nicht über Dein verrücktes Mädel? Aber weißt, so närrisches Zeug denk’ ich nur manchmal, wenn mir so, wie in dem Fall Philipp, jemand leid tut und ich ihm helfen möchte, zu meinem Bedauern aber meine Unfähigkeit erkennen muß.(nach Sperre)

Werde nun weiterschreiben, denn nachdem Robert nicht kommt, hab’ ich ja Zeit dazu, gelt?

Habe zwar an dem Brief von früh bis abends geschrieben, habe jedoch jetzt auch die Genugtuung, daß er fertig wird. Mußte früher für längere Zeit unterbrechen, weil ich genötigt war auf den Markt zu geh’n um 20 kg „Gedichte“. Dabei konnte ich wenigstens ungestört an mein Lieb denken!

Kind, wenn Du wüßtest, wie lieb ich Dich habe! Und Du fragst noch: „Hast Du mich gern?“ Noch klingt mir die Frage im Ohr in ihrer rührenden Bescheidenheit. Als wenn man Dich nicht gern haben müßte!

Es hat Dich doch alle Welt lieb, und mich, der Du seit Jahren schon das Liebste auf Erden bist, glaubst Du erst fragen zu müssen? Ich dächte, Du mußt das fühlen, so gut wie ich.

Herzlieb, fast bin ich krank vor Sehnsucht nach Dir. Berta sagte heute, ich sei ein „verrücktes Luder“, weil ich nicht essen kann, seit Dienstag. Vielleicht hat sie auch recht. Da hab’ ich mich 6 Jahre bemüht (seit 6 Jahren weiß ich nämlich, als Du von Konstantinopel zurückkamst, da wurde mir bewußt, wie gern ich Dich habe). Also seit 6 Jahren habe ich mich bemüht, Dich als für mich absolut unerreichbar zu betrachten, habe mich auch bemüht, so vernünftig als möglich zu sein. War während der letzten anderthalb Jahre sogar so weit, daß ich Br. Gleißners Werbung jedenfalls angenommen hätte, und nun kommst Du und raubst mir innerhalb von 14 Tagen derart alle Vernunft, daß mir gar nichts anderes übrigbleibt, als Dich zu lieben, mit allen Fasern meines Seins.

Hm, weißt, das ist eigentlich gar nicht schön von Dir, daß Du mich so ganz aus meiner Gleichgültigkeit wecktest. Fritz sagte mir voriges Jahr einmal: „Früher warst du nur ein Eiszapfen, jetzt bist du aber schon ein ganzer Eisblock.“ Wenn er wüßte, wie rasch es Dir gelungen ist, diesen Eisblock zum Schmelzen zu bringen!

Nun aber wieder etwas Vernünftigeres! Die gestrige Bibelstunde war recht schön. Br. Hrubesch mußte sie leiten, weil Konrad um 7 Uhr noch nicht kommen kann. Karl und Marie waren da, sind aber nachher so rasch verschwunden, daß ich gar nichts mit ihnen sprechen konnte bezüglich uns’rer Angelegenheit. Übrigens waren sie gestern beide ausnehmend freundlich. Geschw. Ehlers und Hrubesch begleitete ich wie gewöhnlich bis zur Märzstraße. Bin dann aber „laut Befehl“ pünktlich um 10 Uhr schlafen gegangen. Wie gefällt Dir Deine momentane Heimat? Warte schon mit Sehnsucht auf eine Nachricht von Dir. Nach meiner Berechnung aber kann frühestens übermorgen die erste hier sein. Werde nun schließen müssen, sonst komme ich vor 10 Uhr nicht nach Hause (bin noch im Geschäft).

Nein, etwas muß ich Dir noch erzählen! Als Schw. Ehlers gestern abends zur Stunde kam, fragte sie um Dich. Ich sagte ihr natürlich, Du seist schon morgens weggefahren. Frl. Schwarz, die neben mir saß, sagte nun: „Der Robert? Ich muß gleich fragen, wer das ist.“ Schw. Ehlers: „Na, der Schröfl.“ Frl. Schwarz: „Ist das leicht der Gretel ihr Bräutigam?“ Schw. Ehlers: „Ah na! Ja, des war scho recht. De zwa passat’n eh z’samm. Da kriagat s’ wenigstens a urnd’lichs Manderl.“

Kannst Dir denken, Liebster, daß ich mich bei dem Gespräch höchlichst belustigte.

Nun aber wirklich Schluß. Leb wohl, mein Lieb!

Good night! Sleep well! Dream sweet of me!

Verstehst Du noch so viel „english“?

Sei herzinnig gegrüßt und geküßt von Deiner

Gretel

25. IX.1920

Herzlieb!

Es läßt mir keine Ruhe, ich muß auch heute ein wenig mit Dir plaudern. Ich merke schon, es wird so ziemlich wieder alltäglich werden, nur daß ich mich nicht einmal darauf berufen kann, daß ich so oft schreiben muß, weil Du’s vielleicht nicht bekommst. Aber ich hoffe, Du bist nicht allzu böse darüber! Oder ja? Heute hab’ ich mehr als je Sehnsucht, mit einem vernünftigen Menschen zu sprechen. Meine „Herrin“ ist nämlich heute wieder mal komplett verrückt gewesen. Zum Glück hat sich der Zustand nachmittag wieder etwas gebessert. … war sie erstens wütend, weil ich während ihrer Abwesenheit Schwämme kaufte und sie sich dann einbildete, sie werden nicht weggehen (sind übrigens bereits verkauft). Weißt, es ist nur gut, daß mich derartige Verstimmungen ihrerseits ganz kalt lassen. Das kommt höchst selten vor, daß sie mich einmal in Wut bringt.

Heute hat mir Berta übrigens erzählt, warum sie Dich Montag nachts zurückrief. Montag, als sie hineinkam, fragte ich sie nämlich, da sagte sie, das ginge mich gar nichts an. Da wußte ich allerdings schon, daß sie wieder irgendeine Dummheit gemacht hat. Aber eine derartige Taktlosigkeit hätte ich ihr doch nicht zugemutet. Nun ist’s geschehen und ich hoffe nur, Du zürnst ihr nicht deshalb. Noch mehr aber wünsche ich, daß Dich der Vorfall nicht auch so peinlich berührt haben möge wie mich.

Das war mal wieder so ein ähnliches Stückchen von Berta, wie damals vor der Sonntagsversammlung bei uns, als sie zu Br. Ehlers sagte, ich sei in ihn verliebt. Ich weiß nicht, ob Du zuhörtest oder nicht. Die Bemerkung, daß mir Fritz jedes Mal besser gefällt, habe ich nämlich wirklich gemacht. Nur hat sie den Worten einen anderen Sinn untergelegt. Erstens gefällt mir Br. Ehlers Wesen jetzt besser als früher und zweitens wird er wirklich immer schöner. Weil die zunehmende Intelligenz, sein wachsendes Wissen, sein Gesicht entschieden veredeln. Ich las zwar einmal, daß nur wirklich dumme Menschen auch wirklich schön sein können. In gewisser Hinsicht, nämlich soweit es diese puppenartige Schönheit betrifft, mag diese Behauptung auch zutreffen. Woher Berta übrigens so sicher wußte, daß ich Dich liebe, ist mir ganz rätselhaft. Ich hab’ ihr doch nichts gesagt. Na, mir scheint, es wird heute wieder 10 Uhr, ehe ich nach Hause komme. Eben hat mich Herr Schlesinger eine halbe Stunde aufgehalten. Und ich hab’ noch eine Menge zu tun im Geschäft. Es ist ja Samstag. Morgen geh’ ich wieder allein herüber. Hansel soll sich ausschlafen können und die Große brauch’ ich auch nicht. Gute Nacht, Liebling! In heißer Sehnsucht küßt Dich Deine

Gretel

P. S. Habe heute erst daran gedacht, daß morgen Sonntag ist, ich also erst übermorgen Post von Dir erhalten kann. Für meine Ungeduld ein viel zu später Termin. Dich nochmals küssend,

Gretel

27. IX.1920

Mein Lieb!

All mein heißes Wünschen hat mir doch auch heute keine Nachricht von Dir gebracht. Es ist nur gut, daß mir der gestrige Tag in and’rer Weise etwas Ruhe brachte. Emmy war nachmittag bei uns. Auf unserem Weg zu Ehlers habe ich dann über Dich und Lina mit ihr gesprochen. Nun hab ich wenigstens die quälende Sorge los, daß Lina unter einem eventuellen Bruch zu sehr leiden würde. Aber Emmy tut mir sehr leid. Sie hat Dich so lieb, daß sie während unseres Gespräches bitterlich zu weinen anfing, weil sie wähnt, Du seiest ganz unglücklich. Ich mußte ihr erst sagen, sie soll aufhören, sonst wird man bei Ehlers glauben, ich hätte sie unterwegs geprügelt. Damit hab’ ich sie endlich wieder zum Lachen gebracht. Hat übrigens eine sonderbare Art, jemanden gern zu haben, das Mädel. Sie wünscht, daß Ihr Euch einigen möchtet, weil SIE Dich nicht verlieren will. Behauptet aber gleichzeitig, daß Du an Linas Seite absolut unglücklich werden würdest. Wie kann Liebe derart egoistisch sein?

Nun aber um, nicht wie Br. Fuhriman sagt, „zurückzukommen auf die eigentliche Thema“, sondern um davon abzukommen: unsere Versammlung war gestern wieder endlos. Noch dazu derart politisch angehaucht, daß man wähnen konnte, in einer Wahl-Agitationsversammlung zu sein. Vor Schluß wurde dann bezüglich eines Lokals gesprochen und abgestimmt. Es wäre ein Saal zu haben, aber im 20. Bezirk und zu einem horrenden Preis von 65.000 K jährlich. Ferner ein Saal in der Elisabethstraße für monatlich 3.000 K. Dieser letztere stünde uns jedoch sonntags nur vormittags zur Verfügung.

Na, mir kann’s egal sein. Ob vormittag, ob nachmittag, ob im I. oder im XX. Bezirk, ob die Sonne scheint oder „ein drohendes Unwetter sich über unseren Häuptern entladet“, ich werde gehen, respektive wenn es mir zu weit ist, fahren.

Nun aber, ich sagte Dir einmal, ich würde Dich aufmerksam machen, wenn ich boshaft bin. In dem vorletzten Satz ist nun solch’ boshafter Spott enthalten. Es kam mir nämlich ein Satz aus Konrads gestriger Rede in den Sinn. „Kaum halten wir das herrliche Glück in Händen, ist es uns auch schon wieder entwischt und ein furchtbares Unwetter entladet sich über unseren Häuptern.“

Hochpoetisch, gelt? Es fehlt nur noch, daß darunter steht: Fortsetzung folgt.

Gestern hat er sich überhaupt Großartiges geleistet. Zum Beispiel kann er nach einer „Stastik“ nachweisen, daß vor kurzem in einer Stadt in Asien 20,000.000 Menschen gestorben sind. Nun frage ich Dich! In welcher Stadt Asiens haben jemals zwanzig Millionen Menschen gelebt? Das war wieder so eine ähnliche Behauptung, wie wenn er sagt, daß uns’re Erde sich während respektive innerhalb von 24 Stunden 164 Mal (oder 264 Mal, genau weiß ich’s nicht mehr) um ihre Achse dreht, oder aber wenn er sagt, wenn 2/3 der Menschheit zu Grunde gehen, existiert überhaupt kein Mensch mehr. Wohin er dabei das dritte Drittel verschwinden läßt, ahne ich nicht.

Abends war ich mit Emmy im Theater. Bei der Premiere von „Judasglocke“ von Knobloch. Hat uns beiden recht gut gefallen. Es war wenigstens nicht so ganz alltäglich. Emmy hat dabei wieder geweint. Werde Dir morgen Näheres über das Stück berichten. Für heute ist’s genug geplaudert.

Wenn Deine Adresse noch lange ausbleibt, wird der Brief ohnehin 30 Seiten lang. Und das kann ich doch nicht verantworten, daß Du eventuell eine halbe Stunde zum Lesen brauchst.

Bin und bleibe in innigster Liebe Dein eigen!

Gretel

28. IX.1920

Mein lieber Robert!

Nun ist wieder ein Tag vergangen, ohne mir Nachricht von meinem Liebsten zu bringen. Mir scheint, die böhmische Post ist wieder mal eingefroren mitten in den heißesten Tagen. Aber ganz kann auch das nicht stimmen, weil ich eben gestern von Schw. Brodil eine Karte erhielt.

Aus meiner Reise wird nun voraussichtlich nichts. Schw. Brodil wagt es der Behörden wegen nicht, mir zu telegraphieren und anders wird es mir unmöglich sein zu fahren. Na, es muß sich auch so erledigen lassen, nur fällt es mir bedeutend schwerer.

Heute erhielt ich einen 12 Seiten langen Brief von Br. Fuhriman. Mußte herzlich lachen, als ich ihn las. Er schreibt eben so originell wie er ist. Nun ist er bereits daheim. Am 13.d. M. ist er in Quebec angekommen. Hansel hat früher gebrummt mit mir, weil ich sagte, ich werde Dir schreiben. Bin nämlich heute gar nicht wohl. Und so fing sie an: „Ja, was brauchst immer schreiben, leg dich lieber nieder! Ich werd’ Herrn Robert schon schreiben, daß du ganz krank bist und dann setzt du dich noch her und schreibst ihm.“ Als gehorsame Tante ist mir dann nichts anderes übriggeblieben als mich folgsam niederzulegen. Bin übrigens wirklich niedrig gelegen. In der Küche auf den Säcken. Sehr primitiv das Lager, jedoch wenigstens keine Gefahr aus dem Bett zu fallen. Für kleine Kinder äußerst empfehlenswert. Meinst Du nicht?

Habe gestern vergessen, etwas bezüglich meiner „Abbitte“ zu schreiben. Karl und Maria sind Donnerstag und Sonntag außergewöhnlich liebenswürdig gewesen, so daß ich schon dachte, sie hätten sich die Sache überlegt. Sonntag nach der Versammlung wollte ich nun mit Karl sprechen. Sehr demütig hab’ ich allerdings nicht angefangen. Und so kam auf meine Frage, ob wir nun in Ordnung sind miteinander ein sehr zögerndes „na - na - ich muß erst mit Mutter sprechen. Wir fahren so bald hinauf.“ Mir kann’s recht sein. Nur möchte ich von Herzen gern bei dieser Unterredung an Schw. Hubers Seite steh’n.

Nun, ich versprach Dir gestern, Dir die „Judasglocke“ zu erzählen. Will nun versuchen, das so gut als möglich im Telegrammstil zu tun.

Im ersten Akt erwartet Herr Oberlehrer Prantner in einem kleinen Gebirgsdorf seine neue Untergebene, eine ganz junge Lehrerin. Der Herr Pfarrer ist natürlich von vornherein gegen das Mädel eingenommen. Wie sich später zeigt, nicht so ganz mit Unrecht. Endlich kommt das Fräulein in Begleitung eines Herrn, eines ehemaligen Schulkollegen und alten Freundes des Herrn Oberlehrers, der sich im Laufe des Gespräches als Bräutigam der neuen Lehrerin entpuppt. Der Herr ersucht nun den Oberlehrer, seine Braut, ein sehr temperamentvolles und um so viel jüngeres Mädchen in guter Hut zu halten. Das Bräutchen erscheint und streut ihren Frohsinn aber auch ihre Bosheit über die Anwesenden. Während des Gesprächs kommt eine junge Bäuerin zu melden, daß ihr alter Plagegeist gestorben und sie nun im Besitze des Hofes sei (der Alte war nämlich ihr Schwiegervater). Im Laufe des Gesprächs sagt nun Herr Prantner: „Ich hab’ viel mehr für dich getan, Toni, als du selbst weißt.“ Frl. Ottilie (die junge Lehrerin) behält diese Worte sehr gut im Gedächtnis. Die beiden Herren gehen dann weg und das Fräulein verdreht einstweilen dem Herrn Unterlehrer den Kopf. Fortsetzung folgt.

Für heute muß ich schließen. Es ist Zeit zu sperren! Und mir ist wirklich so elend, daß ich sofort zu Bett gehen werde. Draußen gießt es wieder einmal und wir haben keinen Schirm. Dafür hab’ ich immer einen, wenn es schön ist!

Herzinnige Küsse von Deiner

Gretel

29. IX.1920

Lieber Robert!

Es scheint, mein Brief muß tatsächlich auf 30 Seiten anwachsen, ehe ich ihn absenden kann. Heute kann ich übrigens kaum schreiben. Es regnet schon seit gestern abends und ist dadurch furchtbar kalt geworden, so daß meine Finger fast zu Eis wurden. Ansonsten aber fühle ich mich heute wieder ganz wohl. Nicht so wie gestern, wo es mir so ähnlich erging, wie Br. Fuhriman mir schrieb: „I was as sick as a sick dog.“ Ich weiß zwar nicht, warum er sich ausgerechnet mit einem Hund vergleicht, aber mitunter hat er eben derartige Einfälle. In Linz sagte er mir, ich sei so wie ein Landstreicher. Und das Schönste dabei, man kann ihm nicht böse sein.

Ich kann übrigens auch nicht behaupten, daß ich besonders höflich gewesen wäre mit ihm. Deshalb haben wir einander doch recht gern gehabt.

Nun zur Fortsetzung meines Theaterberichtes.

Im zweiten Akt ist die Sache natürlich bereits weiter gediehen. Der Herr Lehrer ist schon bis über die Ohren in das Fräulein verliebt, dieses hält ihn weidlich zum besten.

Selbst aber liebt das Mädel den Herrn Oberlehrer, der seinerseits viel zu korrekt ist, ihr zu gestehen, daß er diese Liebe erwidert. An Ottiliens Geburtstag wollten die beiden einen Berg besteigen. Da kam Botschaft von der jungen Bäuerin Toni, daß der Herr Oberlehrer zu ihr kom-men sollte, um ihres Freundes Bertram willen. Nach einem langen Disput mit Ottilien, die ihn absolut nicht gehen lassen will, sondern vielmehr behauptet, ihn nötiger zu haben als Toni, geht der Oberlehrer.

Ottilie bleibt wütend zurück. Herr Lehrer Seligmann kommt herein und sie beginnt ihn schmeichelnd und kosend zu examinieren, betreffs Tonis und des alten Bauern Testamentes.

Er erzählt ihr nun, daß der Bauer Toni wohl seit Jahren schon als Erbin eingesetzt, daß aber erzählt wird, daß er drei Tage, ehe er starb, das Testament zugunsten Bertrams umstieß. Daß der Herr Oberlehrer und der Herr Gemeindesekretär bei dem Bauern waren und stundenlang mit ihm verhandelt haben.

Weißt, Liebling, es ist ganz unmöglich zu schreiben. Berta ist nämlich heute ausnahmsweise noch anwesend. Eben sagte sie mir, ich sei verrückt, so viel zu schreiben. Sie läßt Dich recht herzlich grüßen, ob Du auch so verrückt bist?!

Also vorläufig Schluß!

Mit tausend Grüßen von Deiner

Gretel

30. IX.1920

Momentan bin ich allein im Geschäft, kann also, abgesehen davon, daß ich alle zwei Minuten aufstehen muß, ruhig weiterschreiben.

Was mit Deiner Post los ist, ist mir ein Rätsel. Hoffentlich löst’s sich bald. Habe heute wieder nur eine Karte von Br. Fuhriman vorgefunden und nicht eine Zeile von Dir.

Fortsetzung des Theaterstückes. Einen Tag nach dem Vorfall hat den Gemeindesekretär der Schlag getroffen. Als Ottilie dies hört, kommt ihr sofort der Gedanke, daß der Oberlehrer um Tonis willen das zweite Testament unterschlagen hat. Diesen Gedanken äußert sie auch dem später erscheinenden Bertram gegenüber und hat die Genugtuung, daß dieser, der den Oberlehrer ein bißchen als Heiligen verehrt, mißtrauisch wird.

Dritter Akt, am Chor der Kirche, im Hintergrund die Judasglocke. So genannt, weil sie angeblich aus den dreißig Silberlingen geprägt sein soll und der Sage nach immer von selbst ertönt, so oft ein Verräter die Kirche betritt.

Der Herr Oberlehrer sitzt an der Orgel und spielt Weihnachtsmelodien. Da betritt Bertram das Chor. Es entspinnt sich ein Disput, der von Seiten des Oberlehrers sehr ruhig, von Seiten Bertrams naturgemäß sehr erregt geführt wird. Es stellt sich heraus, daß der Herr Oberlehrer tatsächlich das zweite Testament besitzt, das er nun Bertram übergibt. Durch vieles Reden jedoch bringt er denselben zur Überzeugung, daß er moralisch verpflichtet ist, dasselbe zu vernichten. Bertram tut es und geht auf Nimmerwiedersehen. Zuvor aber warnt er Prantner vor Ottilien und entdeckt ihm ihren Verrat, was Prantner furchtbar trifft.

Nach Bertrams Abgang sitzt der Herr Oberlehrer wieder vor der Orgel, als Ottilie eintritt. Schon betritt sie den Raum - die Judasglocke ertönt. Da sinkt sie zu Prantners Füßen nieder und gesteht ihm ihre Liebe und ihren Verrat. Er hebt sie auf, hält sie an seinem Herzen und tröstet und liebkost sie. Gleichzeitig aber sagt er ihr, daß sie nicht zueinander taugen, daß sie zwei getrennte Welten vertreten, die sich nicht verschmelzen lassen. Und trotz all’ ihres Bittens und Flehens kommt aus seinem Munde nur ein unerbittliches: „Geh!“ - Und sie geht. Die Schulkinder kommen das Weihnachtslied zu üben und Prantner findet seine verlor’ne Ruhe dabei wieder. Vierter Akt. Ist eigentlich nicht viel mehr als der Abschied. Ottiliens Bräutigam erscheint auf ihren Ruf um sie heimzuführen. Und sie scheidet als ein ganz anderer Mensch als sie gekommen. Dies ist der Hauptinhalt. Alle Begleit- und Nebenumstände sind ausgelassen. Allerdings verliert es viel dabei.

Heute sperre ich wieder mal um halb 7 Uhr. Berta hat nicht „Zeit“ hierzubleiben, so muß eben ich sperren. Nun kommt Konrad nie zur Bibelstunde, weil sie zu früh ist.

Nun wird mein Brief wohl nicht mehr weiter gedeihen. Hast ohnehin eine halbe Stunde zu lesen daran. Ich glaube wenigstens. Das ist übrigens der längste Brief, den ich je im Leben geschrieben habe. Weißt Liebling, daß ich jetzt immer ganz artig um 10 Uhr, mitunter auch schon um 9 Uhr schlafen gehe. Dabei behauptet Berta noch, ich sei seit 14 Tagen um 20 Jahre älter geworden. Wenn das also weitergeht, findest Du bei Deiner Rückkehr eine Mummelgreisin vor. Das Ganze ist aber nämlich nur Ärger, weil ich um einige Kilo abgenommen habe, was mir übrigens meiner Ansicht nach durchaus nicht schadet.

Hansi schimpft schon wieder, daß ich ewig schreibe. Sie ist nämlich vor einer Weile zurückgekommen. Aber das soll mich nicht beirren. Morgen fällst Du jedenfalls ohnehin durch. Ich muß doch Br. Fuhriman seinen Brief beantworten. Sonst hab’ ich aber auch noch einiges zu tun. Vormittag will ich nach Haus gehen, mir ein Kleid zu ändern und abends werd’ ich mir die Kinder (pardon, jungen Damen) bestellen. Am 1. Sonntag im November muß doch mal ein Programm fertig sein. Da darf ich jetzt ohnehin tüchtig arbeiten, sonst werden wir nicht fertig.

Nun muß ich schließen, sonst kommen wir noch zu spät. Also lebe wohl, Herzlieb! Viele tausend Busserl von Deiner

Gretel

1. X.1920

Nun ist die Postzeit abermals vorbei, ohne daß ich eine Zeile von Dir erhalten habe. Ich habe nun bereits den festen Entschluß gefaßt, einen Verzweiflungsschritt zu unternehmen. Umbringen will ich mich zwar nicht, aber ich werde Hansi zu Deinen Leuten schicken, ob sie Deine Adresse nicht wissen. Da ich nicht weiß, wie weit sie eingeweiht sind, unter dem Vorwand, daß die Adresse zwecks Stern-Absendung von der Gemeinde gebraucht wird. Das hat nämlich den Vorteil, auch wahr zu sein.

Nun haben wir schon einen Saal, jedoch nur für Sonntag von 8 bis halb 10 Uhr.

[Schluß fehlt]

Donnerstag, 30. Sept.20

Mein Lieb!

Die hiesige Montage fängt schon mit Pech an. Mir wurde nämlich bei der Arbeit, durch die Unvorsichtigkeit eines Helfers, mein Geld, sowie Reisepaß und Lebensmittelkarten gestohlen. Hab die Sache schon bei der Gendarmerie angezeigt, habe aber sehr wenig Hoffnung. Du kannst Dir vorstellen, wie mir war, als ich die Entdeckung machte. Werde auf alle Fälle Schuckert verständigen. Aber das ist ja alles wieder zu ersetzen, und jetzt nach zwei Tagen ist mein Kummer darüber schon verflogen. Aber einen anderen, ich will nicht gerade sagen Kummer, sondern ein etwas, sagen wir Schuldbewußtsein, ist es, das ich am Herzen hab.

Schau, liebe Grete, ich muß einmal mein Herz ausschütten vor Dir. Sei mir nicht böse darum, bist Du doch die einzige Seele, die mich versteht und die mir am nächsten.

Vorgestern schrieb ich an Lina den letzten Brief. Ich trage ihn noch immer in der Tasche, da verschiedene Umstände mir das Aufgeben unmöglich machten. Und da kommt er noch lange recht, um sie unglücklich zu machen, denn ich weiß, das macht er sie. Nicht, daß er ungerecht wäre, er ist vor der Welt vollkommen gerecht. Und auch ist er es, wenn ich mein Herz frage. Aber doch ist’s etwas, das mich fragt: Bist du denn besser, um so zu urteilen? Um mich zu verstehen, müssen wir einige Jahre zurückgehen. Als wir uns kennenlernten, Lina und ich, gewannen und hatten wir uns sehr lieb. Die Jahre 13 und 14 zählten zu den schönsten Zeiten meines Lebens, besonders die Monate in Konstantinopel, wo wir ungestört, selbst einander achtend, all das Schöne genossen. Dann kamen wir nach Wien und da bemerkte ich die Änderung in mir. Ich fühlte nicht mehr so wie früher, obwohl ich glaube, daß Lina ihre Liebe zu mir bis weit in die Gefangenschaft bewahrt hat. Ich schalt mich, machte mir Vorwürfe, aber das alles nützte nichts, ’s zog mich zu Dir und ich kam, mir selbst allerhand Ausreden machend. Dann kam der Krieg, die Gefangenschaft. Die erste Post war von Dir, die zweite, dritte, und so verging keine Woche, in welcher ich nicht zwei, drei und noch mehr Karten von Dir bekam. Aus dem Inhalt sowohl, meist aber zwischen den Zeilen glaubte ich so manches herauszufinden, was mein Herz erfreute. Und diese Freude in solch trüben Tagen ist hundertfach wert. In dieser Zeit erkannte ich, daß Du mir am nächsten stehst. Ich träumte von Dir, Grete, Tag und Nacht, und wenn ich dann aufwachte, war ich tiefst unglücklich. Spärlich kamen auch Linas Karten. Bei jeder klagte ich mich an und ging in mich, ob meiner Gewissenlosigkeit. Oft dachte ich an die so sehnsüchtig erwartete Heimkehr, was denn eigentlich dann werden würde. Ja, manchmal dachte ich sogar, überhaupt in Rußland zu bleiben. Nur daraus wurde nichts, denn als die Möglichkeit zur Heimreise war, zog’s mich so kräftig in die Heimat, daß ich den Abtransport nicht mehr erwarten konnte. So kam ich nach Hause. Daß Lina nicht in der Heimat war, enttäuschte mich nicht, denn sie schrieb schon einmal, daß sie nach München wollte. Mit Freude und Bangen sah ich unserem Wiedersehen entgegen. Ob Du vielleicht schon verheiratet? Und doch wäre dies eine Lösung, obwohl ich sehr unglücklich geworden wäre. Nun, es kam ja ganz anders als ich dachte. Emmy bereitete mich vor auf das, was zwischen Lina und mir vorgefallen. Es wäre schrecklich für mich gewesen, wäre ich noch der Frühere. So aber ist dies ein Grund, um mich frei zu machen, in dem Schein der Unschuld und das Verhältnis als „Beleidigter“ brechen zu können. Und brach ich’s denn nicht im Innern früher als sie? Aber wieder, konnte ich denn anders? Fühlte ich denn nicht seit Jahren eine stärker werdende Liebe zu Dir, die ich nie und nimmer verleugnen konnte? In diesem Zustand kam ein Brief Linas voll Selbstanklage, Reue und auch Liebe. Erst jetzt beantwortete ich ihn - es ist der letzte. So und jetzt weißt Du alles.

Meine Innigstgeliebte! Du darfst Dich nicht kränken, weil ich Dir das schrieb. Ich mußte nur mein Herz einmal ausschütten. Nenne es nicht „nicht mannhaft“. Warum sollten auch wir weniger Gefühle haben als das Weib? Auch soll der Brief zwischen uns nichts ändern, oh, das braucht man wohl nicht schreiben.

Mit tausend Küssen,

Dein Robert

Sonntag, 3. Okt.20

Mein liebstes Gretel!

Du darfst nicht böse sein, wenn Du erst jetzt, nach einer Woche, wieder einen Brief bekommst. Eigentlich war ein solcher (acht Seiten lang) schon zum Absenden fertig, doch werde ich den Inhalt desselben lieber mit Dir mündlich besprechen, der Brief war ja doch nur geschrieben, weil ich mir Luft machen mußte. Es betrifft nämlich Lina und mich. An Lina sendete ich gestern einen Brief ab - den letzten. Trotzdem derselbe in aller Menschen Augen vollkommen gerecht erscheinen muß, war es mir doch nicht leicht, denn, verstehe mich nicht unrecht, liebste Grete, ich weiß, er macht sie unglücklich. Aber genug davon. Nur bitte rede zu niemanden, denn, wenn wir uns wiedersehen, werde ich Dir selbst alles mitteilen. Dies aus Rücksicht auf Frau Dont, Emmy und auch Lina. Eine Neuigkeit, zwar eine nicht angenehme. Mir wurde bei der Arbeit mein Paß nebst 85 Kc durch die Unvorsichtigkeit eines Helfers gestohlen. Habe der Firma Mitteilung gemacht und bin auf die Antwort neugierig. Sonst geht’s mit der Arbeit gut. Unser Obermonteur, wir beide sind die einzigen von Wien, ist zwar ein sehr nervöser Mensch, der aus jeder Mücke einen Elefanten macht, und trotz seiner 60 und ein paar Jahre wie ein Wiesel ’rumrennt, aber ich komme mit ihm aus und er mit mir. Werden nächstens miteinander den 1200 m hohen Berg, den Namen hab’ ich momentan vergessen, besteigen.

Heute nachmittag war ich wieder in einigen Nachbardörfern und fand auf dem Weg dahin viel Brombeeren und Heidelbeeren. Du siehst, ich kann Dir also auch von einer Brombeerpartie berichten, leider aber ohne Abenteuer. Fange an tschechisch zu lernen und hab’ schon beinahe Blasen an der Zunge vor lauter prtsch, srtsch, krtsch. Nächste Woche wird uns das Material ausgehen, ich wünschte, ich könnte nach Wien fahren. Ob Du wohl auch vielleicht schon in Tschechien bist? Wenn ja, dann darf ich ja auch noch lange warten, bis die erste Post von Dir kommt. Also hoffe ich lieber, daß Du z’haus bist, Egoist!!!

Nun, mein Liebling, gute Nacht und viele Küsse! Grüße an alle.

Robert

Karte vom 4. X.1920

Lieber Robert!

Heute erhielt ich endlich Deinen lieben Brief. Werde ihn natürlich so bald als möglich beantworten. Vorläufig jedoch habe ich nicht Zeit, Dir mehr als diese paar Zeilen zu schreiben. Wenn Du vielleicht noch länger warten müßtest als Br. Fuhriman, kann ich nicht dafür. Es scheint fast, daß ein Brief von Trzynietz nach Wien länger geht als einer von Amerika. Nebstbei bemerkt, habe ich an Fuhriman noch nicht geschrieben. Bin weder Freitag noch später dazugekommen. Mit vielen lieben Grüßen,

Deine Gretel

Deine Adresse scheint immer anders zu lauten. Sie ist im Brief außerhalb und auf dem Poststempel verschieden.

Wien, 4. X.1920

Mein liebster Robert!

Bin zwar sehr müde, will Dir aber doch noch ein paar Zeilen schreiben. Zwar kann es dann auch passieren dabei, daß ich einschlafe, aber bis jetzt sehe ich trotz allen Schlafes noch ziemlich klar.

Nun, Liebling, ich bin herzlich froh, daß Du gut an Ort und Stelle gelangtest. Hatte mir während der letzten Tage wirklich schon Sorgen um Dich gemacht! Der Geldmangel wird ja nun hoffentlich auch schon behoben sein.

Emmy war auch gestern wieder in der Versammlung. Diesmal mit dem kleinen Mäderl. Das Kleine ist solch süßes Ding! Aber Emmy hat recht sonderbare Ideen. Bildet sie sich zum Beispiel ein, Lotte sähe ihr viel mehr ähnlich als ihrer Mama.

Natürlich hat sich Emmy sehr darüber erregt, daß Du noch nicht geschrieben hast. So versprach ich ihr, sie sofort zu benachrichtigen, wenn Post von Dir eintrifft. Heute mußte ich nun ohnehin der Steuerbestätigung wegen in die Seidengasse gehen, so machte ich gleich einen Sprung zu ihr, um ihr Bericht zu erstatten (soweit als möglich).

Wenn man in Cecho-Slovensko mit Deutsch durchkommt, ist mir das sehr angenehm, falls ich doch noch fahren kann. Bin eigentlich recht neugierig. Gescheiter wär’s, ich bliebe daheim.

Die Lebensmittelversorgung scheint in Böhmen bedeutend besser zu sein als hier. Am Ende freut es Dich dann gar nicht mehr, in das arme Österreich zurückzukehren!?

Daß Dir das Eisenwerk so gut gefällt, freut mich. Weißt, mir ist das Ternitzer Werk so ein wenig ans Herz gewachsen. Ich habe es immer bewundert, so oft ich d’rinnen war. Leider ist es durch die jetzige Arbeitseinteilung ganz unmöglich hineinzukommen. Sonst wäre ich mit Br. Fuhriman in Ternitz ausgestiegen, als wir nach Gloggnitz fuhren.

Schau, Liebling, ich würde auch lieber mit Dir in den Bergen herumkraxeln als hier zu sitzen, fast ebenso einsam wie Du. Aber laß das Jammern, es nützt doch nichts. Und ewig dauert es ja auch nicht. Leider geht’s uns allerdings beinahe so wie Konrad sagte, kaum hielten wir das Glück in Händen, war’s auch schon wieder entwischt. Aber es blieb und bleibt uns doch die Hoffnung auf eine Wiederkehr. Hoffentlich kommst Du zu Weihnachten heim, auch wenn Du fünf Mal umsteigen mußt. Das Busserl konnte ich Trude noch nicht geben. Mutter ist nämlich heute früh mit ihr zu Fredel gefahren. Wahrscheinlich kommen sie morgen abends oder vielmehr nachts wieder. Ich werde sie abholen und bei der Gelegenheit den Auftrag ausführen.„Zlatarog“ kenne ich nicht, obzwar mir der Titel sehr bekannt ist, kann ich mich nicht entsinnen, es gelesen zu haben. Werde das jedoch nachholen.

Weißt, Robert, daß Du eigentlich recht anspruchsvoll bist? Warum soll Dein Brief schneller fertig werden als der an Fuhriman? Das ist so egoistisch von Dir gedacht, daß ich’s Dir gar nicht zugetraut hätte. Übrigens scheint sich Dein Wunsch zu erfüllen. Ich komme mit Deinen Briefen bedeutend rascher vorwärts. Habe heute zwar angefangen, an Fuhriman zu schreiben, bin aber über die erste Seite nicht hinausgekommen, dann hat mir Berta das Tintenfaß umgeschüttet, da hab ich lieber wieder aufgehört.

Neugierig bin ich, ob Hansi Dir schreiben wird. Sie sagt, sie weiß nichts. Ob sie damit nicht mir nachgerät? Ich weiß nämlich auch nichts, gelt?

Nun sollte ich eigentlich von Rechts wegen schlafen geh’n; es ist schon 10 Uhr vorbei. Da gehören doch anständige Leute ins Bett. Denkst Du nicht auch?

Mir ist aber der Schlaf vergangen beim Schreiben. Du siehst, es kann dasselbe Ding ganz verschiedene Wirkung ausüben. Br. Fuhriman scheint es übrigens so zu ergehen wie mir. Seinen vorletzten Brief hat er mir nach einer ganztägigen Fußwanderung um 12 Uhr nachts zu schreiben begonnen. Zu Anfang klagte er, daß er so müde und schläfrig sei, und bloß beginnen will, an mich zu schreiben. Und zu Ende des acht Seiten langen Briefes bekennt er, daß ihm trotz der späten Stunde aller Schlaf vergangen.

Die gestrige Versammlung war schon wieder endlos. Hilde Hrubesch wurde nun offiziell zur Gemeinde-Sekretärin ernannt und von allen Anwesenden anerkannt.

Schw. Gattringer hat der Schlag gestreift! Sie war linksseitig gelähmt und konnte auch zwei Tage nicht sprechen. Nun hat sie jedoch die Sprache wiedergefunden und auch die übrige Lähmung hat sich wieder ge-bessert.

Schw. Pappelauer liegt im Sterben. Man erwartete schon, daß sie den gestrigen Tag nicht überleben wird. Tut mir recht leid, die alte Frau, aber auf jeden Fall ist es besser für sie, wenn sie abberufen wird.

Nächsten Sonntag gehe ich ins Konzert. Wenn ich hier bin. Habe mir nämlich ein Abonnement genommen für 4 Kammerkonzerte im Volksbildungshaus. Die Konzerte sind gewöhnlich sehr gut. ’s ist nur schade, daß Du mich nicht begleiten kannst! Das wäre mir dann auch doppelter Genuß! Aber ich will nicht auch anfangen zu klagen. Man darf doch nicht so unbescheiden sein und die Tage Deiner Anwesenheit jetzt haben mir doch unendliches Glück gebracht!!

Nun werd’ ich schließen! Erstens kann Berta jeden Moment kommen, dann bekomm’ ich mal wieder zu hören, daß ich meschugge bin. Zweitens darf ich Dich nicht gar so verwöhnen, sonst wirst Du am Ende noch anspruchsvoller. Aber weißt, mein Lieb, so ein klein wenig muß ich doch trachten, Dir Dein Alleinsein erträglicher zu gestalten.

Gute Nacht, Herzlieb, träume süß! (Aber noch besser gar nicht.)

Mit tausend herzinnigen Küssen,

Deine Gretel.

Dienstag, 5. Okt.20

Mein Lieb!

Hoffte schon heute auf ein Schreiben, leider aber umsonst. Na, also morgen vielleicht! Habe heute zu meiner großen Freude endlich Geld von Schuckert bekommen und ’s ist mir jetzt ein Stein vom Herzen. Mir war das schon höchst ungemütlich, so ganz ohne Geld. Eine angenehme Überraschung ist, daß die Montagezulage, welche 16.80 Kc pro Tag beträgt, und noch 2 Kc pro Stunde in demselben Betrag tschechischer Währung ausbezahlt wird, also bekomme ich als Montagezulage in österr. Währung 55 K und per Stunde statt 7.50 K 12.16 K. Zwar wird Dich das nicht viel interessieren, jedoch schreib’ ich Dir’s doch, weil’s mich freut. Heute brennt das erste Mal Feuer in meinem Ofen, es ist hier doch schon früh und abends sehr kühl. Mit meinem Heim bin ich recht zufrieden. ’s ist zwar mehr kasernartig, aber wenigstens bin ich allein und habe abends meine Ruhe. Da kann ich machen, was ich will und niemand stört mich und ich niemand.

Mein Hausmütterchen schaut auch recht auf mich. In der Früh gibt’s zuckersüßen Kaffee, drei bis vier Tassen voll und sonntags sogar Kuchen dazu. Gerade war sie da und legte Kohlen nach. Schade, daß wir uns nicht recht verständigen können, sie ist Polin. Gestern als ich abends nach Hause kam, kommt sie ganz aufgeregt und gibt mir zu verstehen, daß mich zwei Gendarmen gesucht haben. Es war nämlich wegen des Passes. Bis jetzt ist noch nichts heraußen. Ich denke, daß man auch nichts findet, denn das dürften solche halbwüchsigen Jungen gemacht haben, die nur das Geld gebrauchten und das andere für sie wertlose entweder zerrissen oder verbrannt haben. Nun ist es nur gut, daß mir das während der Arbeit, ohne meine Schuld, passierte, sonst könnte ich das noch selbst bezahlen.

Und jetzt, mein liebes Gretelein, schlüpf’ ich geschwind ins Bettelein.

Mit Kuß

Robert

Mittwoch, 6. Okt.20

Mein allerliebster Schatz!

War der gestrige Tag schon ein bißchen heller als die vergangenen, so scheint heute wieder hell und klar die Sonne in mir, denn ich hab ja heute Deinen lieben Brief bekommen. Die Antwort am Abend, es ist schon halb 2 und ich soll um 1 schon bei der Arbeit sein.

Mit tausend Busserln bis dahin,

Dein Robert

Mein einzig Lieb!

Als ich abends zum Essen ging, fand ich schon wieder einen Brief von Dir. Du Gute, wieviel Freude bereitest Du mir! Ob ich sie überhaupt verdiene? Hab’ Dich ja so lange warten lassen und Dir Sorgen gemacht. Aber Du bist mir nicht böse, gelt? Wie glücklich machen mich Deine liebenden Worte, Dein erster Brief. Er zeigt mir, wie wir doch gleich fühlen und fühlten vor Jahren, als die Liebe zueinander in uns einzog, die Liebe, die sich, trotzdem wir räumlich so weit entfernt waren, in uns entwickelte und so groß wurde, daß sie uns jetzt zu den glücklichsten Menschen macht. Trotz aller Irrwege und Hindernisse. Du schriebst mir einmal, jedes Ding hat zwei Seiten und manchmal, wenn man’s genau betrachtet, können’s auch zwei Gute sein. Und so denk ich auch hier. Mancher dieser scheinbaren Irrwege ist die Bahn, die wir zu gehen hatten, um an’s Ziel zu gelangen. Und hat uns noch überdies um Erfahrungen reicher gemacht, die uns nützlich sein sollen in unserer Zukunft. „Wie sich die gestalten wird?“ fragst Du. Zwischen uns und ihr liegt noch ein Nebelschleier, nur das Eine sehe ich, daß zwei Menschen voll und ganz glücklich sein werden. Was die Fahrt nach Prag anbelangt, möchte mir Br. Gleissner recht leid tun, wenn er für Dich innigeres Empfinden hätte, obwohl ich Dir beistimme, daß eine Liebe, die doch das ganze Leben währen soll, wohl ein wenig Menschenkenntnis erfordert. Was aber Fanni Brodil und Br. Gleißner anbelangt, glaube ich nicht, daß man versuchen soll, Menschen einander näher zu bringen, so gut Du das auch meinst, mein Lieb. Weil wir aber gerade beim Kennenlernen sind. Du kennst mich eigentlich nur von meiner guten Seite. Und nachdem ich aber gar nicht zu den Dingen gehöre, die zwei gute Seiten haben, muß auch eine schlechte da sein. Und wenn mich die Welt manchmal recht von dieser betrachten würde, würde sie mich gewiß nicht so gern haben, wie Du schreibst. Du weißt, kleine Häferln gehen schnell über. Darum, mein Schatz, gib acht! Möchte Dich eigentlich auch einmal mit einem Wütlein sehen. Kann ich mir gar nicht vorstellen. Liebe Gretel! Will Dir doch den Brief beilegen, den ich vorige Woche an Dich schrieb. So wie mit den Gedanken ist’s ja auch mit den Briefen, so daß das Schreiben eines solchen ziemlich unnütz ist, wenn er nicht an die Person kommt, an die er gehört. Er ist so ungefähr in dem Zustand geschrieben, in welchem Du gewesen sein mußt, als Du mir einige Karten schriebst, mit dem Bemerken, daß Du mich brauchen würdest. Auch ich kam das erste Mal in meinem Leben aus dem Gleichgewicht. Aber nun ist’s ja glücklicherweise wieder hergestellt. Für heute, mein inniges Lieb, will ich schließen und mit der nochmaligen Bitte, daß Du mir nicht böse bist, daß Du so lange warten mußtest, und vielen Küssen

Robert

Wien, 7. X.1920

Mein lieber Robert!

Ohne ein wenig mir Dir zu plaudern, kann ich doch nicht schlafen geh’n, trotzdem mir fast die Augen zufallen.

Also vorerst die momentan alle Gemüter bewegende und erregende Angelegenheit „Pappelauer“. Dienstag kam Fritz mit allen Anzeichen innerster Erregung zu uns ins Geschäft uns zu melden, daß Schwester Pappelauer Sonntag abend gestorben sei. Sonntag ließ sie die Geschw. Hrubesch und Ehlers zum ersten Mal in die Wohnung. Da fanden sie nun eine Unmasse Sachen. Ganze Kisten Seife, Schuhe, Schuhpasta, Schnürriemen u.s.w. Alles kistenweise. Ein Ballen Herrenstoff, ein Ballen Damentuch, ganze Blocks Margarine, eine Handtasche voll Schmuck, so schwer, daß sie kaum zu heben ist, 8 Sparkassenbücher mit Einlagen in der Höhe von 8.000 bis 10.000 K pro Buch.

Nun ist Fritz natürlich ganz weg wegen der Unterstützungen, die Schw. Pappelauer erhalten hat. Er trägt ja die Verantwortung dafür, daß alles richtig verteilt wird. Verzeih, mein Lieb, aber ich kann nicht weiterschreiben. Ich sehe wirklich vor lauter Schlaf nichts mehr, trotzdem es erst halb 10 Uhr ist. Gute Nacht, schlafe wohl! 

9. X.1920

Muß heute anfangen zu schreiben, ehe ich zu lesen beginne. Sonst kann ich mich von dem Buch nicht trennen und Dein Brief bleibt, so wie Fuhrimans Brief, liegen. Noch ahne ich nicht, wann ich denselben einmal beendigen werde. Es gibt nämlich so viel, das ich ihm gerne mitteilen möchte und trotzdem freut es mich nicht, ihm zu schreiben. Wie das kommt, versteh’ ich nicht. Gestern hat Dir Hansi doch einmal geschrieben. Wie ich eben merkte, sogar per du. Vorigen Sonntag mußte ich über Hilde Hrubesch lachen, weil sie auf einmal zum Ehlers Mundel „Sie“ sagte. Er aber stand ganz erstaunt, und das Wort blieb ihm im Munde stecken. Sonderbarerweise sagt übrigens Fritz jetzt ebenfalls „Sie“ zu Hilde, während er Hansi gegenüber unentwegt bei dem „Du“ bleibt. Er sagte mir, er könne mit Hilde besser schimpfen, wenn er „Sie“ sagt. Komische Idee das. Hilde allerdings wird sich dadurch nur sehr geschmeichelt fühlen. Sie ist doch jetzt just im richtigen Backfischalter, da kommen einem derartige Sachen und vor allem das eigene kleine Persönchen noch recht wichtig vor. Jetzt z. B. fühlt sie sich sehr gekränkt, weil Fuhriman ihnen von Amerika bloß eine Karte geschickt hat und nicht einmal eine Rückadresse. „Das schaut so aus wie - Schluß! Von der Schweiz hat er uns auch nur eine Karte und einen Brief geschrieben. Und der war nur eine Seite lang.“ Das alles sagte sie mir in solch gekränktem und empörtem Ton, daß ich mir nicht anders helfen konnte, als sie noch einmal Kindskopf zu heißen. Wenn sie erst wüßte, daß Fuhriman mir während der drei Monate (es ist heute gerade drei Monate, daß wir in Rottenbach voneinander Abschied nahmen), daß er mir während dieser Zeit ungefähr 25 Karten und 5 bis 6 endlose Briefe schrieb, wie würde die Kränkung erst groß sein. Wenn ich wüßte, daß es ungefährlich ist, würde ich ihm schreiben, er soll ein wenig mehr an unser Hildchen schreiben. Leider aber hat das kleine Ding, wie mir Hansi erzählte, ihr Herzchen an Fuhriman verloren und war auch der Meinung, daß Festus ihre Liebe erwidere. Da ist’s wohl besser, wenn er ihr nicht schreibt. So wird sie diese erste Enttäuschung leichter oder wenigstens schneller verwinden. Es ist nur gut, daß sowohl Br. Hrubesch als auch Br. Fuhriman keine Ahnung davon haben. Sag mal, Liebster, ist es bei Euch auch so furchtbar kalt? Ich möchte jetzt viel lieber im Trzynitzer Werk bei einem Schmelzofen steh’n, anstatt hier im Geschäft zu sitzen, wo mir beim Schreiben fast die Finger abfrieren. Es ist doch gut, daß es wenigstens nicht so kalt ist, daß mir Gehirn und Herz auch gefriert, denn dann wäre es mir wohl unmöglich, Dir zu schreiben. Nun, falls Du meine Karte nicht früher erhältst als den Brief, wünsche ich Dir auch hierin alles erdenklich Liebe und Gute! Vor allem aber, daß Du bald eine dauernde Anstellung in Wien bekommst. Der Wunsch ist zwar sehr egoistisch, doch hoffe ich, daß uns’re Wünsche sich trotzdem vereinigen.

Mit herzinnigen Küssen,

Deine Gretel

Donnerstag, 7. Okt.20

Mein Schatz!

Heute machten wir, da eine Kolonne fertig wurde, um 4 Uhr Schluß, daher will ich gleich die Zeit benützen, Deinen lieben Brief weiter zu beantworten. Hoffte zwar im Stillen auf ein Brieflein von Dir, da aber nichts hier ist, ist’s mir auch recht. Darf doch nicht gar so unbescheiden sein, nachdem ich so in Deiner Schuld bin.

Wie mir meine neue Heimat gefällt, weißt Du ja schon teilweise. So ganz gut, aber Du schreibst mir später „vielleicht freut’s mich gar nicht, nach Hause zu fahren“. Ja, wie kannst Du denn das schreiben? Möchte ja, heute lieber als morgen, dahin fahren zu Dir, mein einzig süsses Lieb. Hab’ doch so große Sehnsucht nach Dir und dennoch, jetzt kommt wieder die manchmal recht unerbittliche Vernunft, muß ich wünschen, daß die Montage 2 bis 3 Monate dauern soll, denn hier kann ich mich in einigen Wochen so halbwegs restaurieren. Verdiene nämlich gut 1400 - 1500 K wöchentlich und nachdem ich für’s Leben nicht mehr als 400 K brauche, hoffe ich mir in 5 Wochen vor allem einen Anzug, und dann das Nebensächliche anzuschaffen. Bin doch froh, wenigstens Dein Bild zu haben als ganz ganz kleinen Ernst. Hast Dir’s wohl nicht gedacht, als Du Dich fotografieren ließest.

Berta zürne ich doch ganz sicher nicht, man müßte sie doch nicht kennen. Und auch, muß ich Dir beichten, ist’s nicht das erste Mal gewesen, daß sie betreffs uns mit mir sprach. Du wirst Dich erinnern, mein Lieb, daß Berta zu Hause war, als ich das erste Mal nach der Heimkehr zu Euch kam. Und als ich, ziemlich gleichgültig tuend, die Frage an Mutter stellte, ob Du schon vielleicht verheiratet wärest, platzte Berta in ihrer ehrlichen Weise heraus: „Se, i bitt Ihna, mir z’liab, heiraten S’ die Gretel.“ Damals war ich ja perplex und wußte nicht, was ich antworten sollte. Jetzt wüßte ich’s wohl. Nur ihr z’liab.

Aus Deinem Gespräch mit Emmy ersehe ich immer wieder, daß Emmy mein altes gutes Dummerl ist. Mir tut das arme Mädel leid, sie kann doch nicht ein bißchen den goldenen Mittelweg einhalten. Und doch würde sich vieles in ihrem Leben vielleicht anders gestaltet haben. Die schonende und zugleich liebe Art, mit welcher mir Emmy von Lina erzählte, vergeß’ ich nie. Und Emmy hat recht, es tut mir auch sehr weh. Schau, mein Herz, Du weißt doch, daß ich Dich damals mit derselben Stärke liebte wie jetzt, aber wenn man in einen Menschen das ganze Vertrauen setzt, so ist die Enttäuschung auch demgemäß groß. Du wirst mich verstehen, wenn aber nicht, verzeihe mir, mein liebes Gretel, ich muß Dir doch so schreiben, weil ich’s so fühlte. Aber wir sind wirklich in „die eigentliche Thema“, drum raus und zwar ganz heraus zum Abendschmaus. Du siehst, auch ich kann poetisch werden, nur mit dem Unterschied, daß ich wirklich darunter schreibe: Fortsetzung folgt.

So, mein Lieb, wieder was g’scheh’n. Bist neugierig, was es heut gab? Gekochte Zunge mit Erdäpfelpürree. Das Essen ist hier wirklich sehr gut, nur zu viel Fleisch und wenig Gemüse. Mir wär’s lieber umgekehrt, aber natürlich, der Mensch ist ja nie zufrieden. Was das Schreiben anbelangt, bin ich recht glücklich, von Dir in so kurzer Zeit so viel erhalten zu haben, und je mehr kommt, desto leichter ist’s mir hier, aber wenn Du Dich unwohl fühlst und es Dir schwer fällt, dann solltest Du eben aussetzen und ich warte geduldig einige Tage. Ich gebe darum Hansi und auch Berta ganz recht. Also brav sein, mein Schatz, sonst gibt’s, wenn ich nach Hause komme, „…“. Du siehst, daß ich das Englisch nicht ganz vergessen habe. Aber schon das meiste. Denk Dir nur, fand ich einmal unter meinen Sachen ein Tagebuch, das ich englisch geführt und nun kann ich’s selbst nicht mehr lesen. Aber vielleicht fang ich wieder an, jetzt einstweilen wird’s mir gut tun, wenn ich zuerst wieder richtig deutsch lerne.

Was aber das Verwöhnen anbelangt, mit dem Schreiben, mein Herz, da ist’s schon zu spät. Denn wenn man einmal einen 26 Seiten langen Brief bekommt, und dann abends noch 7 Seiten, dann ist man schon verwöhnt, so verwöhnt, daß ich ganz erstaunt die ganz ganz leere achte Seite Deines letzten Briefes anguckte.

Nun aber ist’s wieder Zeit zum Schlafen, will auch noch einige Zeilen an die „nichtswissende“ Hansi schreiben.

Mit dem Wunsch, daß Du recht süß träumen mögest, umarmt Dich mit innigen Küssen

Robert

Freitag, 8. Okt.20

Mein Herzlieb!

Als ob man mich für die bösen Tage in der letzten Zeit entschädigen wollte, kommen jetzt freudige Nachrichten. Von Olga erhielt ich einen Brief, worin sie schreibt, daß ich nun vollständig ausgerüstet bin, mit einem Anzug, Überrock und Schuhen. Von der Heimkehrerbekleidung. Und dann, daß ein Freund, aber ein wirklicher Freund, aus der Gefangenschaft zurückgekehrt ist. Auf ihn rechnete ich wirklich nicht mehr, denn er diente bei der Roten Armee und war bei der Offensive gegen Polen dabei. Jetzt fehlt uns nur noch einer aus unserem Kleeblatt. Weißt, grad voriges Jahr um diese Zeit waren wir alle an Typhus erkrankt. Und Karl hatte ihn am ärgsten. Volle drei Monate mußte er liegen, in Verhältnissen, wie man sie nur in der Gefangenschaft vorfindet. Und in dieser Zeit war er mein Herzbinkerl. Er war in seiner Krankheit sehr sekkant und wehleidig, deshalb wollte ihn niemand, und je weniger man sich um ihn umschaute, desto mehr gewann ich ihn lieb. So, und jetzt weißt Du, mein Lieb, wer er ist und teile auch ein wenig meine Freude.

Wenn Du heute ein bißchen weniger von mir bekommst, so ist er schuld und meine Schwester, denn beiden soll ich noch schreiben. Jetzt werde ich bald um Verkürzung der Arbeitszeit ansuchen müssen, denn in den drei Stunden, die mir zum Schreiben zur Verfügung stehen, kann ich die Post nicht mehr bewältigen.

Wir arbeiten nämlich von 6 - 6, bis man gegessen hat, ist’s 7 und um 10 Uhr, Du weißt ja, wie’s anständigen Menschen gehört, heißt’s ins Bett. Meine Hoffnung auf ein Schreiben von Dir, mein Schatz, muß ich wohl auf morgen verlegen. Jetzt mußt Du mich wieder ein bißchen entschuldigen, denn ich gehe essen. So, liebe Gretel, und jetzt wieder mit Dir plaudern. Hab’ nämlich schon zwei Briefe geschrieben. Du schreibst, daß ich anspruchsvoll bin? Vielleicht! Aber wenn Du auch an meinen Briefen 5 oder 6 Tage schreibst, wie damals an dem Br. Fuhrimans, so vergehe ich doch vor Sehnsucht. Heute ist erst der zweite Tag und ich wünsche schon sooo den morgigen Briefträger. Ein kleines bißchen Egoismus darf man ja haben. Gelt, mein süßes Lieb? Wünsche von Herzen, daß Dir das Konzert viel Vergnügen bereiten soll und küsse Dich innigst. Schlaf süß!

Robert

Samstag, 9. Okt.20

Meine Liebste!

Wußt’ ich’s doch, daß mir der Briefträger heute was bringt! Es war Deine liebe Kirschenbutzikarte. Natürlich muß es Dich wundern, nach dem Datum, daß die Post so lange geht, aber bitte nicht ungerecht sein. Die Post kann wirklich nichts dafür, vielmehr ist der Aufgeber, wenn auch mit Milderungsgründen, Schuld daran. Daß Schw. Pappelauer hinübergenommen wurde, ist sehr traurig, doch besser für sie, als jahrelanges Leiden. Von Schw. Either hoffe ich, daß sie schon wieder hergestellt ist. Wie geht es dem Fredel? Wird er nach Wien kommen? Habe am Kuvert des letzten Briefes um Fritzls Adresse gebeten. Hast Du’s gesehen? Das mit dem Saal von 8 bis halb 10 Uhr kann ich mir nicht recht vorstellen. Wenn Du Emmy triffst, grüße sie herzlich von mir, werde ihr schreiben, nur ein wenig Geduld soll sie haben. Wir werden hier nächste Woche mit unserer eigentlichen Arbeit fertig, jedoch wird sicher noch einige Monate zu tun sein mit anderen Arbeiten, wobei sie uns brauchen. Aber bis zu Weihnachten hoffe ich bestimmt auf ein Wiedersehen. Auch wenn wir bis dahin nicht fertig sind. Ob Ihr in der Heimat auch so herrliches Wetter habt wie hier ist? Es ist eine wahre Freude so im Freien zu arbeiten und heute, da schon um 12 Uhr Schluß ist, will ich wieder einige Stunden durch Wald und Feld wandern. Ob wir morgen auf den Jaworowy gehen, weiß ich noch nicht, es soll nämlich nachmittags eine Besprechung betreffs der Arbeit sein. Will, damit nicht wieder eine Stockung eintritt, den Brief noch jetzt zur Post bringen. Muß sowieso schließen, denn nicht allein, daß mein Zimmer aufgewaschen werden soll, unweit von hier übt einer auf einem Flügelhorn, ein Hund, dem die Sache vielleicht ebensowenig gefällt wie mir, heult fürchterlich dazu und das Gänsegeschnatter dabei - die reinste Bremerstadtmusikantenmusik. Ich fliehe!

Mit tausend Küssen,

Dein Robert

Sonntag, 10. Okt.20

Liebste Grete!

Von einem Spazierganz durch einen wunderschönen Fichtenwald zurückgekehrt, muß ich gleich wieder mit meinem Lieb plaudern. Hund, Gänse und Flügelhorn halten anscheinend auch Sonntagsruhe, nur vom Werk hört man manchmal das Getöse der Arbeit. (Aber mir scheint, meine Feder will nicht, oder ist’s Papier schuld? Muß mit Blei weiterschreiben, weiß nicht, was das ist.)Heute war ich ein recht faules Menschlein. Habe heute bis 9 Uhr geschlafen. Meine Frau, ich meine Zimmerfrau, brachte mir den Kaffee tatsächlich ins Bett. Und zugleich auch die Rechnung dafür, nachdem ich schon seit voriger Woche bereits alle Tage darum ersuchte. Für den Kaffee zahle ich 60 h und Sonntags mit Kuchen 1 K. Das ist so billig, daß ich gar nicht weiß, wie sie das herstellen kann. Also zahlte ich leichten Herzens, stand auf und zog mich an. Das tut man ja gewöhnlich hübsch sonntäglich langsam. So ein Papier! Nun, jetzt nimm ich aber die Feder nimmer in die Hand! Dann schrieb ich an Emmy. Nicht allein, um ihr die Sorge um mich zu nehmen, auch weil ich das scheinen will, das ich bin, schrieb ich ihr alles so wie’s ist. Glaube damit auch in Deinem Sinne zu handeln, obwohl ich leider annehme, daß auch der Brief bei Emmy Tränen bringt. Du, mein Lieb, verstehst sie ja am besten!!

Soll heute noch meinem Bruder schreiben, eigentlich sollte ich das schon früher tun, aber da meine Schwester schrieb, daß er jetzt vor der Prüfung steht und ein ganzes Wuchtel ist, so wollte ich bis zu seiner Menschwerdung, die ja hoffentlich schon erfolgt ist, warten.

Du sitzt wahrscheinlich im Konzert und ich wünschte, daß ich nur ein ganz ein kleines bißchen bei Dir sein könnte, nur mit einem Auge und einem Ohr. Beschreibst es mir auch ein wenig, wie die „Judasglocke“, obwohl das viel schwerer ist. Lege Dir ein Lied bei, welches mir gestern einfiel, weiß nicht, ob Du’s kennst und auch nicht, ob’s in der richtigen Tonart geschrieben. Bitte schreib’ mir die Skalen für Sopran und Baß mit der Bezeichnung der Noten auf, unten, und sende es mir wieder.

Wie war denn die heutige Versammlung? Ist die Abbittegeschichte schon beendet?

Morgen erhoffe ich bestimmt ein Schreiben von Dir. Wie schaut’s denn mit der Prager Reise aus? Eigentlich müßtest Du ja schon fort sein.

Denke Dir, jetzt sollen wir hier Brotsteuer zahlen, 24 Kc im Monat, das wäre für 4 Laib. Auf diese Weise würde sich die Steuer zweimal so hoch stellen als das Brot kostet. Na, wir werden uns auch auf die Füße stellen.

Grüße Deine Lieben sowie auch alle Bekannten.

Für heute, mein Liebling, will ich schließen, schade daß ich keine Marken da hab’, sonst könnte ich den Brief gleich aufgeben.

Es umarmt Dich Dein

Robert


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