12.6.30, 9 Uhr
Mein allerliebstes Weiberl!
Eben hat Rudolf angerufen und mir mitgeteilt, daß unser dritter Bub angekommen. Du kannst Dir vorstellen, wie ich mich gefreut habe, daß nun alles gut vorübergegangen ist. Und gar keine Enttäuschung von wegen des Buben. Daß Du Dir ja keine Sorgen machst, mein Liebes! Ich komme am Sonntag. Wegen des Namens überlasse ich Dir ganz die Entscheidung, wenn die Einschreibung früher als Sonntag erfolgen sollte. Was denkst Du zu Fritz?
Ich hoffe, daß es Dir den Umständen angemessen gut geht. Rudolf konnte ja gar nichts weiter erfahren, als daß alles gut vorübergegangen ist. Robert hat heute Nacht das erste Mal bei Rommels geschlafen, es geht ihm natürlich gut dort. Auch zu Hause klappt alles. Heute kommt Großmama heraus, da Hansi bis Samstag in Wien bleibt. Rudolf hat Mittwoch abends Dahlienstupfer gebracht, sie lassen zwar noch den Kopf hängen, aber sie werden schon werden. Die Kapuziner werden Dich grüßen, wenn Du kommst, sie sind schon schön aufgeblüht.
Fr. Rommel wollte Dich Sonntag besuchen, jedoch darf nur eine Person hinein.
Liebes Weib, sei schön brav drinnen, damit Du bald wieder ganz uns gehören kannst. Mit innigen Küssen
Dein Robert
Siemens, 17.6.30
Mein Liebes!
Um Dich über die äußeren Vorgänge am Laufenden zu halten und auch um mein Bedürfnis mit Dir ein wenig die Gedanken auszutauschen, ein paar Zeilen. Gestern haben Brodils geschrieben, also Hanka kommt nicht. Kann man nichts machen!
Als ich Sonntag in dieser Gluthitze nach Hause kam, war natürlich schon alles gespannt und dann erfreut, als ich ihnen erzählte, daß die Sache gut vorübergegangen. Mutter kommt Mittwoch.
Unser Butzerl ist wirklich herzig und ich möchte es schon zu Hause haben. Ich weiß nicht, ob mir die andern beiden auch so lieb vorgekommen sind. Oder hab ich das schon im Laufe der Jahre vergessen. Nachdem wir Sonntag keinen weiteren Besuch bekommen haben, war’s den Mädchen natürlich fad und sie wußten nicht, was sie anfangen sollten. Da machte ich mit Rudolf den Vorschlag, ein wenig spazieren zu gehen. Rudolf holte Willi, blieb aber dann selbst, wegen Mizzi natürlich, zu Hause. Na ja!
Anni, Trude, Willi und ich gingen dann durch Weidlingau, Mauerbachstraße gegen Hainbach, bis uns der Gedanke kam, auf die Mostalm, oben am Weg zur Franz-Karl-Aussicht zu schauen. Da oben ist’s recht nett und besonders beim Ribiselwein und durch die Einwirkung des gut Vergangenen, … und bei mir die Gewißheit, daß nun alles gut vorbei, kamen wir in gute Stimmung, so daß unsere Rückkunft wieder einmal über eine Stunde später war als angekündigt. Nun Du wärst das ja schon von mir gewöhnt!
Mutter ist dann mit Anni und Trude und den Mäusen, denn Trude hat von Anni zwei bekommen, sehr possierlich, jedoch auch stinkig, von mir aus dürfte sie die nicht in der Wohnung halten, mit dem ¼ 10 Uhr Pendler nach Hause gefahren. Trude geht heut in’s Kongreßbad und ich habe ihr Sonntag das Geld für den Badeanzug gegeben. Denn bis sie die Zähne fertig hat, wird’s wohl nicht mehr recht zu baden sein. Sie hat mir dafür versprochen, daß sie die Reparatur schleunigst erledigt. Bin neugierig, ob Trude das auch hält. Aber ich möchte nicht, daß wieder darüber viel Worte gemacht werden.
Gestern war ich mit Hr. Rommel und Robert an der Alten Donau, Kahn fahren und baden. War recht warm, doch ist das Wasser im Vergleich zum Amalienbad recht schmutzig. Robert geht es nach wie vor gut. Nur ist’s ihm fad.
Heute wäscht Hansi und ich treffe mich mit Rudolf beim Moterbauer. Bitte, wenn Mutter am Mittwoch kommt, frage, ab Donnerstag Besuch ist. Ich möchte gern kommen. Mittwoch abend besuche ich Mutter, damit ich eventuell Neues erfahre. Rudolf hat Dir gestern das Gewünschte gebracht.
Ich glaube, daß ich Dir nun alles mitgeteilt habe. Sei innigst geküßt, und auch das Butzerl, von Deinem
Robert
19.6.1930
Mein Lieb!
Nur ein paar Zeilen in Eile. Hoffentlich erreichen sie Dich. Eben hatten wir Nachmittagsvisite und der Herr Assistenzarzt sagte, daß die Nähte schlecht verheilt sind. Außerdem darf ich auch noch nicht aufstehen, weil ich zuviel blute. Es ist also noch nicht bestimmt, daß ich Samstag herauskomme. Mutter hat geweint, wär besser, Du kämst mit Hansi her. Nach der Sachlage aber wird es besser sein, Hansi kommt allein. Eventuell könntest Du ja bei Mutter warten, ob ich komme.
Schwer ist’s mir schon, wenn ich an Euch drei denke. Aber ich muß ja doch vernünftig sein. Lasse Robert vielleicht doch einen oder zwei Tage, um die es sich handeln kann, zu Hause, damit er sich nicht zuviel kränkt.
Einmal müssen die Blutungen doch aufhören. Heute habe ich wieder eine Injektion bekommen zur Blutstillung. Die 14 äußeren Nähte sind ausgezogen, die 11 inneren bleiben.
Deine beiden Briefe erhielt ich heute und bin froh, daß Du Dich so auf unser Butzerl freust.
Nun muß ich aber schließen, sonst geht Frau Kaspar fort und Du bekommst den Brief nicht mehr. Küsse mir meine beiden großen Buben recht innig. Ich habe große Sehnsucht nach ihnen und nach Dir, mein Lieb.
Deine Gretel
Weidlingau, 26.10.1930
Mein lieber Mann!
Nun will ich versuchen, ob ich in diesem Tohu-wa-bohu etwas schreiben kann. Die Kinder liegen beide im Bett. Robert klagte gestern noch immer über Halsschmerzen. Ich steckte ihn also ins Bett, anstatt ihn nach Wien fahren zu lassen. Heute früh hatten wir ein scheußliches Wetter, Schneeregen und ein Quatsch, nicht zum Sagen. Trotzdem schickte ich Robert zum Arzt. Er konstatierte eine schwere Halsentzündung und verordnete Bettruhe, Gurgelwasser und heiße Umschläge. Während Robert weg war, ging Fredy ein wenig in den Hof. Kannst Dir ja vorstellen, was der erste Schnee für eine Anziehungskraft hatte. Als ich vom Consum kam, saß er in der Küche und fror. Ich wickelte ihn ein und legte ihn auf den Diwan. Er schlief sofort ein; für mich schon ein Zeichen von Fieber. Nach 3 Stunden gab ich ihm das Thermometer (nach dem Aufwachen); es zeigte 38.9 Grad. Nun kochte ich für Emma, Robert und Fredy einen Abführtee. Bei den Buben ist die Wirkung eben eingetreten. Bei Fredy ist das Fieber schon auf 37.4 Grad gesunken.
Bisher hab ich das Schreiben 8 oder 9 mal unterbrochen. Werner schläft beinahe gar nicht mehr bei Tag. Das einzige Gute ist noch, daß er wenigstens nachts Ruh’ gibt.
Rudolf hatte gestern im Amt wieder einen seiner Anfälle. Er bekam gleich einen Aderlaß und da ihn der Arzt nicht allein heimlassen wollte, führten sie ihn mit der Rettung nach Hause. Natürlich große Sensation in Weidlingau. Trude ist heute da.27.10, 4 Uhr nachmittag.
Es regnet noch immer in Strömen. Das Traurigste daran ist, daß es auch in Zimmer und Küche regnet. Ich mußte schon Waschhäfen und Ausreibtücher unterstellen bzw.-legen. Frau Artmann tröstet mich damit, daß es beim Schieting auch hineinregnet.
Frau Kreutzer, die vorgestern wieder da war mit „Bölck“, fragte, ob wir uns nicht für eine Wohnung im neuen Gemeindebau angemeldet haben. Sie meint, es wäre Aussicht für uns, da die Wohnungen nur an „besser situierte Leute“ abgegeben werden. Zimmer, Küche, Kabinett kosten 40 S. Was meinst Du dazu? Mir wäre ja riesig leid um unseren schönen Garten, andererseits aber wäre ich aus der nassen Wohnung heute lieber als morgen draußen. Wenn’s so ist wie gestern und heute, dann bin ich ehrlich froh, daß Du nicht da bist, Liebling! Die Windeln, die Waschhäfen, der Trog, alles in der Küche - zum Verzweifeln ist das!Übrigens hab’ ich heute früh beim Bau zwei schöne Leisten gefunden, damit mach’ ich mir ein Fach in das Gaskastel, da bring’ ich wenigstens einen Häfen unter. Die Korbstange hab’ ich mir auch zur Not gerichtet. Emma wurde Samstag das Geschwür geöffnet und tamponiert. Heute mußte sie wieder ins Spital. So komme ich wenigstens geistig mehr zur Ruhe. Samstag kam sie wieder heim, als hätten ihr die Hühner das Brot weggefressen. Die Ursache war, daß ihre Mutter, um zu verhindern, daß Emma den Posten verliert, bei Frau Schusser arbeitet. Ob das ein Grund ist zum Gesichterschneiden, weiß ich nicht. Herr Schusser sagte allerdings, daß sich die Mutter für Emma opfert und ein gutes Wort über ihre Mutter kann Emma nicht vertragen. Ich hab’ ihr das auch gesagt. Hansi und Trude gingen Freitag abends zur Westbahn. Zeitlich, um Dich noch recht lange zu sehen. Als sie gegen Mitternacht heimkamen, fiel es Mutter erst ein, daß Du nach Graz fährst.
Fredy ist heute schon wieder gesund, aber Roberts Hals schaut schrecklich aus. Ich bin nur froh, daß sich kein Belag zeigt, so ist doch keine Diphtherie zu fürchten. Rudolf ist schon wieder im Amt.
Auf der Post sagte man mir, daß die Zettel unbedingt auf dem Kolli aufgepickt werden müssen.
Fredy sagt mir eben, ich soll Dir schreiben, er läßt Dich grüßen und sie hätten mich schon 3 Tage nicht geärgert (wenn’s so weitergeht, werde ich noch dick wie ein Faß).
Nun glaube ich, alle Tagesneuigkeiten erledigt zu haben. Darf ich nun auch ein bisserl von meiner Sehnsucht schreiben? Lieb, mein Lieb! Manchmal glaube ich, es zersprengt mir das Herz und doch kann ich diesmal nicht weinen. War es die Aufregung vor dem Weggehen oder was sonst, es ist mir, als wäre etwas in mir zerbrochen. Nun Liebling, wenn ich Dich wieder haben werde, wird ja alles wieder gut sein.
Nun warte ich Deine Adresse ab. Viele tausend Busserl von Deiner
Gretel
Gmunden, 27.10 30
Mein liebes Weib!
Damit Du nicht zu lange warten mußt, einstweilen ein paar Zeilen. Nach einer ziemlich verschlafenen Fahrt bei Regen in Graz angekommen, ging ich, zum Glück bei halbwegs mäßigem Tröpfeln um 6 Uhr früh auf den Schloßberg. Ich bin froh, denn später schüttete es in Strömen, und das ging so weiter bis heute. Auf der Fahrt nach hier her kamen wir in Regionen, bis 900 m, wo stellenweise 15 cm Schnee war. Man dachte, daß Dezember oder Jänner ist. In Goisern soll es, wie ich heute hörte, ½ m Schnee haben. In Hallstatt unterbrach ich die Fahrt und ging so ca. 2 Stunden bei starkem Schnee zum Dachstein zu. Es ist dort ein Gletschergarten, wo vorzeiten durch die Eismassen ganz sonderbare Formen aus dem Gestein herausgearbeitet wurden. Die Berge habe ich wieder bis dahin nicht gesehen, erst in Hallstatt lichtete sich so bis auf 1000 m der Nebel. Von dort in strömendem Regen in Gmunden angekommen, fand ich ein gutes Gasthaus, wo ich bis jetzt sehr zufrieden bin. Ich zahle S 1.50 pro Tag für das Zimmer. Das Essen ist gut und auch nicht zu teuer, so daß ich mit einer Ersparnis von ca. S 4 pro Tag rechne. Heute war trotz Sturm, oder aber deshalb ein herrlicher Tag. Der Nebel ging teilweise so hoch, daß bereits die Bergspitzen, welche natürlich bis etwa 500 m mit Schnee sind, sichtbar wurden. Und dazu der stürmische See. Die Brandung war teilweise 4-5 m, es ist sehr schön hier. Ich freue mich schon, wenn es einmal ganz rein wird. Nun, mein liebes Weib, wie geht’s heut allen zu Hause? Ich hab die ganze Zeit den letzten Abend nicht vergessen können, und es war nur gut, daß Du mich nicht begleitet hast, da hiedurch das Unschöne ein wenig besser gemacht wurde.
Ich möchte aber doch nicht das Unrecht auf sich beruhen lassen und zur Entschädigung Robert einmal über Samstag und Sonntag herkommen lassen. Was würdest Du hiezu sagen? Behalte es einstweilen bei Dir und schreib darüber. Ich habe die Zeit hier so eingeteilt, daß Samstag und Sonntag frei ist. Robert könnte eventuell Freitag wegfahren und ich würde ihn in Attnang-Puchheim abholen. Wegfahren könnte er Sonntag. Du mußt ihn halt einem Kondukteur übergeben. Nun, schreibe mir darüber.
Meine Adresse ist Gasthof „Stadt Linz“, Gmunden.
Was macht unser Kleines? Bin froh, wenigstens ein Bild zu haben.
Mit unzähligen Küssen
Robert.
Weidlingau, 29.10.1930
Mein Lieb!
Heute muß ich gleich mit einer Hiobsbotschaft beginnen. Mir wurde heute auf der Fürsorgestelle aus der Handtasche mein Portemonnaie mit 25 S gestohlen. Ich bin so weg, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Als ich es Rudolf erzählte, sagte er mir, daß erst vor kurzem der Tochter der Frau Pomberger, ebenfalls dort, der Verlobungsring aus dem Tascherl gestohlen wurde.
Deinen Brief zu beantworten, Liebster, bin ich jetzt gar nicht fähig.
Eben entdeckte ich noch auf dem Couvert Deine Nachschrift. Zu allem Unglück ist der Aufgabeschein des Koffers auch in meinem Geldtascherl. Es sind also ca. 36 S hin. Es ist um sich die Haare auszureißen.
Einheizen hab ich mich mittags noch nicht getraut, weil ich dachte, es geht zu viel auf. Mit dem Waschen ist’s auch so, daß ich hin und her studiere, ob ich mir jemanden bestellen soll. Und auf solche Weise geht das Geld flöten.
Für heute Schluß. Ich hoffe, Du wirst eine ruhigere Nacht haben als ich.
Viele viele Busserl von den Kindern und mir!
Gretel
Gmunden, am 30. Okt.1930
Mein Weib!
Nun, Liebes, erwarte ich schon einen Brief von Dir! Bitte, wenn Du den nächsten schreibst, denn einer ist ja schon bestimmt am Weg, dann schreib „R. S. Montageleiter der Siemens & Halske A. G Gmunden, Neues Postgebäude, 1. Stock“. Es geht da schneller.
Nun bin ich schon ein wenig eingewöhnt hier und heute erst sind die Gipfel der Berge eine Zeit zu sehen gewesen. Werde Samstag wahrscheinlich am Traunstein gehen, eine Tour von ca. 10 Stunden insgesamt. Wenn ich nicht mehr herunterkomme, so übernachte ich oben, da dort ein Schutzhaus ist. Heute ist Horky und ein Monteur aus Graz angekommen, es geht mit der Arbeit schon los.
Ich habe hier ein feines Büro, von welchem ich auch schreibe. Einen Schreibtisch wie Hr. Twrdozil mit neuer Tischlampe, Telefon, ich komm mir vor wie der Preyer. Bis morgen gelten noch die neuen Diäten, dann muß ich wieder ein bißchen auf’s Geld schauen. Aber denke nicht, mein Liebes, daß ich jetzt verschwendet habe. Durchschnittlich habe ich mir die letzten Tage S 8.- erspart. Und trotzdem sehr gut gelebt. Ich will ja dick nach Hause kommen. Damit Du weißt, wo ich hause, übersende ich Dir ein Bild von meinem Quartier. Wenn Du’s ans Licht hältst, siehst Du das Fenster bezeichnet. Von diesem sehe ich über den See direkt aufs Höllengebirge. Eine zweite Aufnahme lege ich auch bei. Sie ist mit einer Box Tengar gemacht. Und wie rein. Man muß nämlich, das habe ich hier erfahren, den Apparat unbedingt irgendwo aufstellen. Sage das Robert. Ich bin schon recht neugierig, wie alles geht bei Euch.
Ich gehe jetzt noch über die „Esplanade“ (wie nobel, was?) nach Hause. So wird hier der Kai genannt, wo eine Doppelreihe Kastanien stehen. Und bei dem Wind, der hier seit ich da bin geht, kommen die Wellen mit weißen Häubchen herangerollt und branden 4 - 5 m hoch. Man kann da, wenn man nicht aufschaut, glänzend getuscht werden. Landschaftlich ist es hier einzig schön. Nur schade, daß der Regen gar nicht aufhören will. Hier am See gibt’s wilde Schwäne, die sich sonst nirgends halten. Und dann ganz eigentümliche Tauben, Vögel wie Eulen und doch mit anderem Schnabel und Füßen.
Auch eine Elektrische haben wir hier. Mit sogar insgesamt 2 Wagen, einem grünen und einem roten.
Was macht denn Emma? Grüße sie und sage ihr, daß ich ganz regelmäßig die Rasierschale schön putze. Und Schuhe brauch ich mir auch hier nicht putzen, weil das das Stuben„mädchen“ macht. Das ist nämlich eine alte verhuzelte Frau, die schon 20 Jahre in dem Gasthof ist wo ich wohne.
Und was ich besonders begrüßt habe, ist eine Bibliothek. Kostet nur 2 S monatlich. Und alles, auch das Neueste, ist zu haben. Habe schon von Arnold Zweig was gelesen und jetzt von Werfel „Barbara oder die Frömmigkeit“. Im Bett, denn ich habe eine Nachttischlampe, so 1 - 2 Stunden.
Nun weißt Du einiges. Grüße mir alle, Fr. Artmann, Rudolf & Co u.s.w. Dich und Robert und Fredy und Werner küßt innigst
Euer Vater.
Weidlingau, 31.10.1930
Mein Liebstes!
Trotz später Stunde muß ich Dir nun doch schreiben. Es tut mir nur leid, daß ich Dir so gar nichts Erfreuliches mitteilen kann. Außer, daß ich Dein Gehalt schon heute abends bekam. Roberts Halsentzündung ist seit gestern gut, doch begann er schon vorgestern über Schmerzen in den Fußgelenken zu klagen. Heute wollt ich ihn zur Schule schicken, es war aber ganz unmöglich, ihm den Schuh anzuziehen. Nun ließ ich mir den Doktor holen. Gleichzeitig auch für Fredy. Ich hab Dir das ja noch nicht geschrieben. Vorigen Donnerstag fiel Fredy von der Bank über Emmas Koffer und schlug sich den Ellbogen auf. Es wurde ihm schwürig und ging Montag beim Waschen auf. Ich machte ihm immer einen Verband. Es muß das Sekret jedoch doch an andere Stellen gelangt sein, denn gestern früh bemerkte ich, daß sich über den ganzen Arm Geschwüre in Linsengröße ausbreiteten. Noch glaubte ich, es werde bis heute wieder vergehen. Indessen nahm es noch an Intensität zu. Nun hat mir Dr. Allmeder eine Flüssigkeit zu Umschlägen gegeben, eine Salbe zum Bestreichen (ich glaube, es ist Teer und Schwefel gemischt), Gaze, Watte und Calicobinde. Die Pusteln mußte ich mit einer vorher ausgeglühten Nadel aufstechen, dann mit Watte auswischen. Je vor- und nachmittag 2 Stunden Umschläge, in den Zwischenpausen die Salbe, die dann vor den Umschlägen mit Benzin abgewaschen werden muß.
Bei Robert konstatierte der Doktor eine „Gelenkssache“, die mit der Halsentzündung in Verbindung steht. Er braucht nur heiße Umschläge und kann bei Besserung ohne weiteres zur Schule gehen.
Nun zu Emma. Sie sollte Montag schon wieder im Spital bleiben. Sie braucht Heißluft und Beobachtung. Sie will aber unter keinen Umständen wieder ins Spital. Hat sich nun um Heißluft von der Krankenkasse beworben. Ich dachte, sie werde da irgendwohin zur Beobachtung müssen. Anstatt dessen bringt sie gestern einen Heißluftkasten vorsintflutlicher Art, mit Spiritus zu heizen. Traut sich ihn aber gar nicht zu verwenden, weil sie sich davor fürchtet. Nun will sie ihn wieder gegen einen elektrischen Kasten umtauschen. Der Doktor, der sie gestern in der Sache untersuchte, sagte wieder, sie sei arbeitsunfähig. Es ist ein rechtes Kreuz. Ich sehne mich so nach Ruhe, aber dann denke ich mir wieder, ich bin herzlos.
Robert würde sich sicher sehr freuen, wenn er zu Dir fahren dürfte, nur wäre es wieder für Fredy eine Kränkung. Na, vielleicht läßt sich da auch noch ein Ausweg finden. Gleich wird es ja noch nicht sein. Eben fällt mir aber ein, ob man Robert die Fahrt nicht sozusagen als Geburtstagsgeschenk erlauben könnte!?
Mittwoch war ich bei Matzingers. Ohne daß ich ihn fragte, sagte mir Hr. Matzinger, er sei sehr zufrieden. Robert hat ein sehr gutes Gehör und ist sehr eifrig.
Nun aber Schluß für heute. Einmal muß ich ja doch schlafen gehen, trotzdem ich jetzt beim Schreiben ganz wach geworden bin. Sei innig umarmt und geküßt von Deiner
Gretel
1.11.1930
Du lieber Mann!
Heute erhielt ich Deinen zweiten Brief. Ich freue mich mit Dir, daß es Dir so gut gefällt. Auch daß Du Dich dick füttern willst, ist schön von Dir. Bei uns wird’s scheinbar das Gegenteil. Ich esse nicht viel und die Buben fast nichts. Mag allerdings die Krankheit schuld sein.
Nur Werner schmeckt sein Flascherl sehr. Ich gebe ihm nun schon 3 mal täglich, da sich meine Milch beinahe vollständig verliert. Abends essen wir (Werner und ich) immer ein Butterbrot miteinander, das ihm besonders gut schmeckt. Und mittags gebe ich ihm vor dem Flascherl einen halben geschabten Apfel, da er die letzten Tage immer sehr harten Stuhl hatte.
Fredys Arm sieht schon bedeutend besser aus und Robert ist auch heute schon auf. So wird doch alles wieder ins Geleise kommen, bis auf das gestohlene Geld; da hab ich gar keine Hoffnung es wiederzubekommen. Wenn auch der Verdacht gegen eine Frau vorliegt, wer will’s beweisen.
Heute ist Mutter gekommen und wird bis morgen abends bleiben. Ich habe mich sehr darüber gefreut, denn wenn Du nicht da bist, bin ich trotz aller Umgebung und trotz der Kinder sehr einsam.
Rudolf kommt 2 mal täglich und auch Mitzi war schon 3 mal bei mir diese Woche; hat mir sogar gestern Fleisch aus der Halle mitgebracht. Auch Frau Artmann besucht mich oder vielmehr Werner täglich. Aber das alles kann mir doch Dich nicht ersetzen, Du liebster Mann. Kind, ich bin ja auch so froh, daß ich mit Dir zur Bahn ging, sonst wäre alles noch viel, viel schlechter. So fühlte ich doch, daß wir zueinander gehören, mag kommen was will. Du wirst jetzt wahrscheinlich schon in der Schutzhütte am Traunstein schlafen. Schade, daß ich nicht mit Dir gehen konnte. Ich möchte die Kinder aber doch nicht missen. Unser Kleines ist nun überhaupt so lieb, wenn er am Bett strampelt, jauchzt er schon ganz laut.
Also so ein feines Büro hast Du. Da wirst Du ja auch bald wieder zum Ingenieur avancieren, nicht wahr?
Rudolf sagte mir eben, daß Frau Fischer mich betreffs des Diebstahls zu sprechen wünscht. Werde halt morgen hingeh’n, wenn’s auch mir nichts nützt, vielleicht doch jemand anderem. Sag, wie hast Du denn das angefangen, Dir soviel zu ersparen? Gestern war jemand von den Gaswerken da, um alles nachzusehen. Er machte mich aufmerksam, daß das Waschhäfen zu viel Luft verbraucht oder besser absperrt. Ich muß mir einen 3-4 cm hohen Rost dazu machen lassen. Vielleicht verbrauchen wir deshalb so viel Gas. Dienstag war im Radio eine Übertragung aus dem Theater an der Wien, „Das Land des Lächelns“, Lehar als Dirigent, Tauber in der Hauptrolle. „Dein ist mein ganzes Herz“ mußte er sage und schreibe 10 mal wiederholen. Die Musik ist wunderschön. Da bin ich ganz meinem Prinzip untreu geworden um halb 10 im Bett zu liegen. Gestern und heute mit dem Schreiben allerdings auch.
Nun Liebling gehe ich aber doch schlafen, ich hab schon wieder Kopfweh.
Ja, eine Kalamität muß ich Dir noch berichten. Unser Brunnen gibt seit nachmittag kein Wasser mehr. Wie ich da am Dienstag waschen werde, weiß ich noch nicht. Na, aber wenn alle Stricke reißen, gebe ich die Wäsche zur „Habsburg“. Viel mehr als Wäscherin, Kost und Material kosten, kann auch dort nicht zu bezahlen sein. Auf 15 S kommt mich ein Waschtag bestimmt. Nur das Zerreißen fürchte ich.
Nun viele tausend Busserl von Deinem Weib und Kindern! Grüße an alle anderen. Gute Nacht!
[Fortsetzung, Anfang fehlt]
… mußte ich doch auch einmal bezahlen. Wieder 1 S 80 Gr. Die Flamme und die Krägen bin ich noch schuldig. Nun hoffe ich aber, am 15. wieder ins Reine zu kommen.
Was mir unangenehm ist, daß à conto meines Verlustes die 35 S Bankgeld beim Teufel sind.
Am 15. habe ich eine elektr. Rechnung von ca 14 S und außerdem brauche ich Koks. Wenn ich wieder nur 100 kg kaufe, sind das 26 S. Ungefähr 20 S werde ich mir jetzt ausborgen müssen, sind 46 S. Flamme und Krägen ca 50 S. So würden mir ca 75 S bleiben. Eine andere Sorge aber ist die, daß die Kinder Schuhe brauchen. Robert außerdem noch Schneeschuhe.
Ich habe Robert bisher nichts von der Fahrt gesagt. Will mir’s bis Mittwoch sparen. Bitte schreibe, was er anziehen soll. Lederhose und Janker oder das neue braune Gewand. Hoffentlich wirst Du nicht anstatt dick noch magerer, wenn Du so lange im Büro bleiben mußt.
Nun zum Kapitel Emma. Emma mußte gestern laut Vorladung zur Gruppenstelle und wurde von dort aus gestrichen.
[Schluß fehlt auch]
1.11.1930
Lieber Vater!
Heute bin ich schon ganz gesund. Ich freu mich schon, wenn ich am Dienstag wieder in die Schule gehen kann. Der Hansi und der Trude geht es sehr gut. Der Werner liegt jetzt gerade im Bett und unterhält sich sehr gut. Die Emma segiert immer die Mutter. In unserem Brunnen ist heute kein Wasser mehr. Die Emma wird schon wütend weil sie ihr Dekerl nicht ausnähen kann. Die Großmama ist heute gekommen und bleibt bis morgen da.
Viele Grüße von Deinem Sohn
Robert.
Gmunden, 5. November 30
Mein allerliebstes Weib!
Nun habe ich doch Deinen ersten Brief erhalten. Aber ich sehe, daß dieser in erregtem Zustand geschrieben wurde. Du hast nämlich statt Gmunden Gmünd geschrieben. Nun gibt es ein Gmünd in N.Österreich und in Kärnten. Nach dieser Wanderung ist der Brief nun doch ans Ziel gekommen. Aber ich bin froh, daß der zweite Brief hier der erste war. Ich sehe aus diesem doch, daß Deine Stimmung eine bessere ist, wie in den ersten Tagen. Nun mein liebes Weib, ich habe auch, trotz dieser Veränderung, die ja doch allerhand wirkt, solch ein Dilemma gehabt. Und ich möchte nur jetzt bei Dir sein und nicht schreiben müssen.Über Dein verlorenes Geld brauchst Du Dir wohl nicht Sorge zu machen, die Verhältnisse sind ja besser, so daß wir’s nicht spüren. So sehr selten spüren vielmehr. Wenn Du nicht auskommst, bitte schreibe mir, Du sollst nicht vielleicht an Dir sparen. Damit Du bezüglich meiner Ersparnisse nicht im Irrtum bist, über die Du Dich so sehr wunderst, habe ich natürlich gemeint, daß ich mir von den 18 S, welche ich die erste Zeit bekam, 8 S erspare. Nun habe ich aber schon in Wien von diesem Geld 50 S ausgegeben und außerdem die Miete für November bezahlt, so daß ich eigentlich derzeit gerade anfange, von den niedrigeren Diäten zu ersparen. Aber nachdem ich monatlich S 450 hier abheben kann, bin ich natürlich nicht so arm.
Bezüglich Robert bin ich mit Deinem Vorschlag über das Geburtstagsgeschenk einverstanden. Jedoch würde ich sein Kommen auf den 15./16. November verschieben, da Robert voraussichtlich dann schulfrei hat. Er könnte mit dem Schnellzug, der um halb eins vom Westbahnhof abgeht, am Freitag den 14. abfahren. Dieser Zug führt direkte Wagen bis Aussee, so daß er nicht umsteigen braucht. Wegen Fredy ist mir ja auch leid, doch kann man nichts machen. Ich komme Anfang Dezember heim und werde ihm einen schönen Drachen (Steiff) mitbringen. Wenn ich komme, nehme ich mir einen Tag dazu, damit wir uns länger haben. Gelt? Die näheren Daten wegen Robert schreibe ich ihm auch selbst.
Ich bin jetzt schon 2 Tage bis 8 Uhr in der Zentrale. Natürlich gratis und franco. Aber ich muß, da die Akkordarbeit eine ganz andere Vorarbeit, besonders in der ersten Zeit verlangt. Hier gibt’s 4 Monteure und Montag kommt eine Löterin. Darum sei nicht traurig, wenn nicht regelmäßig Post kommt. Das Schreiben an Brodil und Ehlers ist auch noch nicht erledigt.
Bezüglich Emmas, liebes Kind, werde ich ihr am besten selbst schreiben. Ich muß ihr doch eben den Standpunkt klar machen, daß das nicht so fort geht auf immer.
Nun, Liebes, für heute Schluß, sei brav und freue Dich auf Dezember. Küsse die Kinder!
Mit vielen, vielen Busserln
Dein Robert
Weidlingau, 7.11.1930
Mein lieber Mann!
Heute abends erhielt ich endlich Deinen lieben so sehr ersehnten Brief. Wieso ich Gmünd anstatt Gmunden schrieb, ist mir auch durch die Aufregung nicht erklärlich. Ich glaube eher, es ist mir im Halbschlaf passiert. Gestern schrieb ich Emmas wegen an Karl, da geschah etwas Ähnliches. Nur daß ich nochmals „erwachte“ und sah, daß ich anstatt Glashüttenstraße Glashütteng-gasse geschrieben hatte. Robert hatte in den letzten Tagen zweimal die Hausnummerntafel zu zeichnen, wo dieser Bindestrich zwischen den beiden g vorkommt. Das ist mir wahrscheinlich im Kopf gelegen. Daß Du lieber bei mir wärest anstatt schreiben zu müssen, wünsche ich mir wohl ebensosehr wie Du. Andererseits bin ich froh, daß Du nicht da bist, bei der Wirtschaft. Fredy ist noch immer krank. Von Sonntag bis Mittwoch stieg das Fieber höchstens auf 38 Grad und ich brachte diese Temperaturen mit dem kranken Arm in Verbindung. (Der Arm ist gut, seit heute.) Mittwoch nachmittag stieg die Temperatur jedoch auf 38.4 und Donnerstag früh auf 39.4. Da holte mir Willi den Doktor.
Fredy war hinter den Ohren geschwollen, außerdem stark verschnupft. (Ich weiß nicht, ob ich Dir schon schrieb, daß Emma sich einen riesigen Schnupfen holte und natürlich alles angesteckt hat. Unser Kleines kann auch gar nicht schlafen, so verstopft ist sein Naserl. Natürlich ist er auch grantig. Allerdings nicht immer.)
Ich fürchtete, daß bei Fredy schon wieder Mumps eingetreten sei. Dr. Allmeder konstatierte aber nur eine allgemeine Erkältung der oberen Luftwege. Die Geschwulst rührt von den großen Mandeln, die sich verhärteten. Sobald das Fieber gesunken ist, muß ich ihm die Mandeln nehmen lassen. Ein bisserl fürchtet er sich davor. Aber es wird schon alles geh’n. Ich wollte nur, es wäre schon vorbei. Der arme Kerl schaut so schlecht aus, besteht nur mehr aus Haut und Knochen. Der Arzt sagt, er wird sich erst nach der Operation erholen. Na, hoffen wir das Beste!
Mit meinem Geld komme ich, wenigstens vorläufig, wirklich nicht aus. Ich hatte
Schuhreparatur 2.-- S
Zins 22.90 „
Gas 23.69 „
Geige 10.-- „
waschen 8.50 „
Fahrt für Robert 4.90 „
Radio 2.--
“, also
Summe 73.99 S extra Auslagen.
Bleiben, das Porto abgerechnet, 50.71 S. Da allein Milch und Brot für die 14 Tage ungefähr 30 S, Seife 5 S u.s.w. ausmacht, kannst Du Dir denken, daß ich schon gestern das Kostgeld von Emma nehmen mußte; ja noch etwas „Elternhaus und Schule“.
Frau Schusser nimmt sie in dem jetzigen Zustand nicht zurück. Ist ja begreiflich. So kam sie natürlich ganz verzweifelt nach Hause. Sie bat mich, an Karl zu schreiben, ob er sie nimmt, was ich auch gestern gleich besorgte. Doch sagte ich ihr, daß sie auf jeden Fall trachten muß, daß sie nochmals im Spital bleiben kann und ganz auskuriert wird. Auch wenn sie während der Zeit kein Krankengeld beziehen kann. Dr. Roubicek sagte ihr heute, sie soll nochmals zur Gruppenstelle, um ihre Lage klarzumachen, und verspricht sich Erfolg davon. Nun, werden ja sehen. Richard hat schon eine Wohnung am Tivoli in einem Gemeindebau. Emma hat es zufällig von einer Frau aus St. Gotthard erfahren. Nun Schatzerl, mach ich Schluß, bin brav und freue mich auf Dezember. Weißt Du Liebling, daß ich kaum Zeit habe, mich um Dich zu kränken?! Ja, noch was. Emmy Dont war vorige Woche bei Mutter. Sie ist in Gloggnitz um Tante Berta zu pflegen. Letztere hat Mastdarmkrebs. Emmy soll sehr schlecht aussehen. Adresse: Wienerstraße 15. Nun wirklich Schluß. Es ist halb elf und die Nächte jetzt durch Fredy und Werner, durch letzteren allerdings weniger, sehr gestört. Fredy weint oft die halbe Nacht im Fieberdelirium. Grüße von allen. Viele tausend Busserln von den Kindern und mir.
Dein Weib
Großalm, am 8.11.30
My Darling!
Was denkst Du, ich sitze auf einer Alm im hintersten Winkel des Höllengebirges. Die Wirtin schabt eben in einer recht bäuerlichen Gaststube Kohlrabi. Eine zweite würdige Frau, das macht wahrscheinlich die in der Mitte gescheitelte Frisur, näht und spricht kein Wort. Und was glaubst Du, was ich tue? Ich sitze bei Speck und Most und höre eben die Fledermaus-Quadrille von Radio Wien. Die Wirtin sagt eben, daß die Fledermaus eine mittelmäßige Musik ist, weil die hiesigen Leute das nicht verstehen. Ich sagte, wenn sie den Apparat nicht abstellen, so geh’ ich überhaupt nicht fort. Und das ist den Leuten hier mir scheint recht. Wenn ich aus dem Fenster hinaussehe, so blickt mir der mit Schnee bedeckte Gipfel des Grünalmkogels entgegen. Heute bin ich schon 4 Stunden gegangen und nun, wenn ich fortgehe, wird’s schön. Ich habe bis jetzt wirklich Glück. Eine Aufnahme habe ich auch gemacht, wenn die gelingt, wird sie schön. Übrigens habe ich zu Hause schon einige Bilder, die bitte gut aufheben, weil ich keine anderen einstweilen mache. Wenn ich denke, daß Du eben auch die Musik hörst, wird mir ganz schwummerlich. Jetzt wird von Waldteufel was gespielt und der Herr Friedrich sagt an. „Träume des Schneeglöckchens“ wird jetzt gespielt. Die würdige Näherin wird schon gesprächig. Ein Schwiegersohn von ihr war in Sibirien.
Weißt Du, daß ich gestern bald zu Dir gekommen wäre? Nur der Umstand, daß das Wetter aussichtsreich war und daß Robert doch Freitag abends kommt, hielt mich davon ab. Nun, wir wollen ruhig warten bis Dezember.
Jetzt ist Wetterbericht von Linz. Nun will ich aber weitergehen, sonst versitze ich mich noch da.
Fortsetzung wahrscheinlich morgen. Gehe jetzt entweder zum Attersee oder über Langbathsee nach Ebensee und von dort nach Hause. Lebt einstweilen wohl, Ihr Lieben alle. Tausend Küsse5 dkg Butter mit 6 dkg Mehl gelbe Einbrenn machen. Zuerst 50 dkg Wasser mit 3.5 dkg Zucker spinnen. 60 dkg Milch kochen. Wenn Einbrenn goldgelb, so gießt mit gesponnenem Zucker auf, 5 Min. kochen. Dann gek. Milch darein und aufkochen lassen und passieren. Auf 7 Mahlzeiten einteilen. Für 1 Tag. Rezept für Werner, gegeben von der Wirtin in der Wiesenau. Dort bin ich nämlich einquartiert. Ich bin doch von der Großalm zum Attersee gegangen und von dort zum Mondsee. Ein ganz schöner Marsch. Von ½ 8 bis 18 Uhr, mit ca. 1 Stunde Rast. Hier ist ein kleines Mäderl von 8 Monaten und recht nette Leute.
„Denn wenn die Welt in Waffen tost,
Ist Hochgebirg der Weisen Trost.“
(Viktor Scheffel-Denkmal am Abersee)
Paßt just zum heutigen Waschtag.
Gmunden, am 10. November 1930
Mein lieber Bub!
Nachdem Du voraussichtlich diesen Brief gerade am 12. bekommen wirst, so gratuliere ich Dir herzlichst zu Deinem Geburtstag. Und da ich das persönlich nicht kann, so komme Du am Freitag zu mir, damit wir das nachholen. Ich werde Dir dann alles Schöne hier zeigen und wir werden 2 Tage beisammen sein können. Das Geld für die Herfahrt lege ich Dir bei.
Also wenn Du Freitag die Schule aus hast, bitte die Hansi, daß sie mit Dir zur Westbahn geht und Dir eine Schnellzugskarte bis Gmunden kauft. Diese kostet S 10.40. Nun paß gut auf: Der Zug hält nur in folgenden Stationen:
Wien-Westbahnhof 13 h 35
St. Pölten 14 h 41
Pöchlarn 15 h 13
Amstetten 15 h 47
Linz 16 h 44
Wels 17 h 18
Attnang-Puchheim 17 h 54
In Attnang-Puchheim steigst Du aus und gehst in den Wartesaal. Es ist möglich, daß ich schon warte, jedoch nicht sicher. Wenn ich nicht dort sein sollte, so komme ich um 19 h nach Attnang-Puchheim.
In der Bahn, wenn Du etwas wissen willst, so frage den Schaffner. Nimm Dir auch ein Buch mit, damit Dir’s nicht fad wird. Ersuche den Schaffner nach Linz, daß er Dir sagt, wann Attnang-Puchheim kommt. Gib acht beim Aussteigen. Die Schnellzugswaggone sind von außen verriegelt. Wenn niemand anderer aussteigen sollte, bitte jemand, daß er Dir aufmache. Die Hansi möchte sich eine Perronkarte lösen und Dich in einen direkten Wagen „Salzburg über Linz“ bringen. Im Zug gehe in ein Nichtraucher-Abteil, ziehe Dir den Hubertusmantel aus, nimm die Mütze ab und sei artig mit den Leuten, mit welchen Du fährst. Zum Essen nimm Dir eine Schinkensemmel oder so etwas ähnliches mit, damit Du nicht hungerst. Trinke noch bei Großmama, da Wasser nicht auf jeder Station zu haben ist.
So, das wäre das Wichtigste. Du bist ja vernünftig und so wird’s schon gut gehen. Tröste Fredy, den Armen, welcher solange krank ist. Sage Mutter, daß sie Dir den warmen Bauernjanker anzieht und die Hose. Eine warme Weste wäre gut, ich weiß nur nicht, ob Du etwas hast. Strümpfe nimm zwei Paar mit. Wenn Du willst, kannst Du auch den Rucksack mitnehmen, da kannst du wenigstens alles hineingeben. So, lieber Bub, hoffentlich geht alles gut. Wenn Du aus irgendeinem Grunde nicht kommen solltest, möchte mich die Mutter, wenn nötig telegrafisch, hievon verständigen.
Ich sende Fredy und Mutter und Werner viele Küsse und wir sehen uns Freitag in Attnang-Puchheim.
Auf Wiedersehen
Dein Vater
Besten Dank für Deinen Brief.
Liebe Mutter!
Ich lege Dir insgesamt 50 S bei. Kaufe eventuell Robert Schuhe, vielleicht eine Weste, wenn’s ausgeht. Aber bitte keinen Kram.
Deinen lb. Brief habe ich erhalten. Wenn Robert nicht hierher fahren sollte, ich möchte wirklich schon kommen, da ich durch Deine Briefe sehr beunruhigt bin. Wenn Euch das lieber ist, d.h.wenn Robert damit einverstanden ist, so schreibt mir und ich komme Samstag früh. Ich würde schon Emmas wegen gerne kommen, denn das Schreiben ist nicht das Richtige.
Ich werde Dir später noch schreiben, ich bin wirklich nicht in Stimmung.
Einstweilen küsse ich Dich innigst.
Dein Robert
Weidlingau, 11.11.1930
Mein Liebstes!
Vor zwei Stunden erhielten wir Deinen Express-Brief. Liebling, so gern ich Dich da hätte, ist’s mir doch lieber, es fährt Robert zu Dir. Erstens hatte er riesige Freude und zweitens ist Fredy, wenn Du anfangs Dezember kommst, vielleicht schon gesund. Ein besonderer Grund zur Beunruhigung liegt nicht mehr vor. Das Fieber ist seit gestern auf ca. 37.5 Grad gesunken. Die Geschwulst ist kleiner und weicher, ein Abszess also kaum mehr zu fürchten. Auch der Schnupfen ist bei Fredy und Werner besser. Wir hatten nun schon zwei ziemlich ruhige Nächte.
Emmas wegen brauchst Du auch nicht zu kommen, da sie nächsten Dienstag wieder ins Spital geht. Leider muß sie abermals operiert werden. Es ist doch noch ein Stumpf von der Gebärmutter drinnen, der nun ebenfalls entfernt werden muß. Außerdem hat sie eine Eierstockentzündung. Sie wird sich Montag von hier abmelden. Es ist halt ein Kreuz mit dem Mädel. Wenn’s nur wenigstens radikal gemacht würde, aber gestern sagte ihr der Arzt wieder, daß sie das nicht machen dürfen.
Also Schatzerl, ich werde Robert Schuhe kaufen in dem Geschäft, wo Du Dir Deine gekauft hast. Ich glaube schon, daß ich ihm auch noch eine ordentliche Weste kaufen kann.
Handschuhe hat ihm Emma zum Geburtstag gekauft. Ich habe mir heute den Schnitt abgenommen für den Mantel, werde denselben jedoch kaum fertig bringen.
Kann heute gar nicht schreiben, will Emma riesig gesprächig ist. Da’s nun bald zu Ende geht, will ich ihr’s auch nicht verwehren.
Lieb, ich bin beinahe vernünftig. Nur gestern, als ich Deine Hemden bügelte, hat’s mich wieder einmal gepackt. Nein, ich kann Dir’s eigentlich nicht schreiben, wie dumm ich da war.
Ich glaube, ich werde Robert selbst zur Bahn bringen; werden gleich die Weste und die Schuhe kaufen, da er Freitag ja schon um 11 Uhr frei hat.
Eben konstatiere ich, daß Fredys Atmen schon bedeutend leichter ist. Ich kann Dir nicht sagen, wie froh ich darüber bin. Wenn’s möglich ist, lasse ich ihm die Mandeln noch nehmen, bevor Du kommst. Daß Du dann doch nur gesunde Buben hast.
Heute hatte ich den Besuch eines Gendarmen in bewußter Sache. Sonst hat mich außer den Meinen noch niemand besucht. Sonntag war Trude da und morgen kommt Hansi.
Liebstes, könnt ich Dich in meinen Armen halten und küssen wie ich wollt’, mir wäre wohler. So muß ich mich eben mit papierernen Küssen bescheiden.
Schlaf wohl, mein Lieb!
Dein Weib
Gmunden, am 11. Nov.1930
Mein Liebes!
Heute geht’s schon besser mit dem Schreiben. Aber gestern wollt’s gar nicht. Ich glaube ich habe mich ein wenig überanstrengt Samstag und Sonntag. Ich war bei den Seen. Von hier über Großalm, Attersee, Burgau, dort übernachtet und Sonntag über Mondsee und Wolfgangsee nach Ischl. War insgesamt ca 80 km mit Steigung jedoch. Die Aufnahmen werde ich Dir nächstens senden, heute lege ich die vom vorigen Sonntag bei. Nun zu Euch, Ihr Armen. Fredy wird hoffentlich besser sein, ich sorge mich sehr um ihn. Wird Dr. Allmeder die Mandeln nehmen? Schreib mir bald, was los ist. Morgen ist Feiertag, noch dazu Regen, schrecklich hier. Ich hoffe, wenn Robert kommt, daß es wieder schön ist. Liebes Weib, mache Dir nur nicht zu den Sorgen noch welche wegen des Geldes. Schuhe u.dgl.. Ich kann Dir anfangs Dezember wieder S 50 schicken, oder wenn’s mehr sein muß auch mehr. Kaufe Fredy Schuhe. Die Schneeschuhe für Robert haben glaube ich noch Zeit. Braucht er denn welche, wenn er gute Schuhe hat, wo er warme Socken anziehen kann? Robert trägt sie ja doch nicht mehr gerne, das weiß ich vom vorigen Jahr. Kaufen wir ihm lieber einen warmen Schafwolljanker. Na, das werden wir wohl noch mündlich besprechen. Diesen Monat habe ich an der Ceka schon zu zahlen. Und da ich, wenn Robert kommt, sicher noch mehr brauche, so wird es mir gerade ausgehen. Bei der Firma müssen eigentlich auch noch einige Schillinge stehen.
Was denkst Du, wenn ich bis Dezember doch nicht komme, daß ich der Emma schreiben soll. Über Rudolf vielleicht. Was hast Du Karl geschrieben? Und wann glaubst Du wird er antworten?
Ich lege Dir einige Zeilen von meinem Sonntagsausflug bei. Sind zwar ein wenig wirr. Aber was soll ich denn machen, wenn ich Dir so viel zu sagen hätte und Du doch so weit bist. Aber vielleicht kommt die Zeit, wo wir wieder miteinander reden können, so ist’s mir ja zu traurig, wenn ich Dich daheim in Sorge weiß.
Lieb, schreib mir noch wegen Robert, daß ich nicht hier warte.
Mit innigen Küssen
Dein Mann
Weidlingau, 13. Nov.1930
Herzlieb!
Bin wirklich froh, daß ich heute noch Deine Briefe vom 8.-9.-11.d. M. erhalten habe. Die paar Zeilen vorgestern haben mir nur weh getan. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich Dich mit meinen Briefen beunruhigt habe. Heute ist Fredy das erste Mal aufgewesen. Montag werde ich mit ihm zum Arzt gehen, mich um die näheren Umstände der Operation zu erkundigen. Dr. Allmeder macht es nicht, aber ich glaube, er geht mit. Frau Fischer meint, wenn Mandeln und Wucherungen gleichzeitig genommen werden, wird der Bub ein paar Tage im Spital bleiben müssen. Ich glaub’s aber eigentlich nicht. Liebstes, ich bin so froh, daß Du so schöne Touren machen kannst. Schatzerl, kränk Dich nicht, daß Du alles allein sehen mußt. Ich freue mich auch so mit Dir und außerdem hab ich doch unser Kleinchen. Des Geldes wegen mach ich mir eigentlich wirklich nicht viel Sorgen. Es wird schon alles wieder ins Reine kommen.
Daß Du an Emma nicht schreiben brauchst, schrieb ich Dir schon. Sie geht Dienstag zur neuerlichen Operation ins Spital.
Du, ich glaube, Dein Rezept für Werner ist ein wenig umständlich. Denn bis 3.5 dkg Zucker in 50 dkg Wasser zu spinnen anfangen, vergehen mindestens 3 Stunden. Außerdem ist die Milchmenge nicht angegeben und bei der wahrscheinlichen Mischung von 1:2 mindestens um ½ l zu viel.
Ansonsten haben mich Deine Briefe vom 8. und 9. sehr erheitert. Sehe aber auch daraus, daß Du ebenso närrisch bist wie ich.
Na, Liebling, nun dauert’s ja nur ein kleines Weilchen und wir können uns herzen und küssen so viel wir wollen. Wie sehr ich mich darauf freue, Liebstes, das kann ich Dir nicht schreiben.
Deine Bilderl werde ich schon aufheben und war’s mir besonders lieb, daß Du auf dem einen Bilderl selbst darauf bist. Ja, was ich Karl geschrieben habe!? Wie mich Emma gebeten hatte, ob er sie zu sich nimmt. Allerdings schrieb ich ihm auch, daß ich darauf dringen werde, daß sie sich vorher im Spital ausheilen läßt. Aber wie soll ich wissen, wann die Antwort kommt? So, alles andere kann Dir ja Robert erzählen. Ich wollte, ich wäre an seiner statt.
Viel tausend Gutenachtbusserl,
von Deiner Gretel.
Weidlingau, 16. Nov.1930
Mein Liebes!
Robert ist gut angekommen. Natürlich war wieder, allerdings ohne irgend jemandes Schuld, einige Verwicklung.
Wie Du weißt, wollte Robert bei Mutter bleiben, und da ich dachte, daß der Schnellzug, so wie bei der Hinfahrt, auch bei der Rückfahrt in Hütteldorf nicht hält, habe ich es erlaubt und die Mädels gebeten, ihn Sonntag abends abzuholen.
Nun hab ich mir schon seit gestern den Kopf zerbrochen, wie ich es anstelle, die Mädels von der veränderten Sachlage in Kenntnis zu setzen. Nun war ich froh, daß er früher kam als um ¾ 10 h. So schickte ich Emma hinein und ließ mir gleichzeitig die Schultasche holen. Mutter ist heute hier. Bleibt wahrscheinlich 1 - 2 Tage hier. Ich bin froh, so kann ich gleich morgen zu Herrn Dr. Soherr gehen mit Fredy. Heute waren wir bei Dr. Allmeder. Mit Fredy muß ich doch allein gehen. Glaube aber, daß er morgen nicht gleich operiert wird, sondern wir nur für einen bestimmten Tag bestellt werden. Ansonsten gibt’s nicht viel Neues. Fredy freut sich riesig über die Drahtseilbahn. Und ich danke Dir herzlich, Schatz, für das Portemonnaie. Es ist noch viel schöner als das andere war. Wenn ich Dich da hätte, Lieb! Robert sagt mir, Du kommst in 14 Tagen. Ist das wahr? Ich dachte, Du kommst am 5.12., zum Krampus. Kommst Du aber früher, Liebling, ist’s ja umso besser. Mir ist so wie so alles zu eng, wenn ich an Dich denke. Werner ist sehr lieb. Er kräht jetzt immer vor Vergnügen. Mit dem Bären spielt er sehr gern und anstatt des einen Cernousku zaust er den andern. Hoffentlich bist Du nicht böse darüber. Wenn ich ihm sein Jackerl anziehe, bei den Bändern ziehe und hüo, hüo, sage, lacht er sehr herzlich. Schade, daß ich ihn Dir nicht manchmal ein bißerl schicken kann. Robert hat heute ein Lied gesungen, das er in Gmunden hörte. Und der See hat ihm sehr gut gefallen. Nun Liebstes, schlaf wohl! Träume süß, Du lieber Mann! Es umarmt Dich Deine
Gretel
Gmunden, am 20.11.30
Mein Liebes!
Gewiß wirst Du recht böse sein, daß ich so lange nicht schrieb, doch einesteils die viele Arbeit, anderenteils die Freude auf unser baldiges Wiedersehen macht das. Aber dafür kann ich Dir mitteilen, daß ich den 1. Dezember dazubekomme, dann haben wir uns 3 Tage. Das wird was sein, gelt?
Robert wird Dir gewiß alles erzählt haben, wie ich wohne u.s.w. Der 2te Tag war ja recht naß, so wie ja überhaupt das Wetter furchtbar ist. Selten sehen wir die Gipfel der Berge. Doch Samstag war’s herrlich und deß bin ich froh! Hoffentlich hat Robert unsere Tour nicht geschadet. Ich habe mich recht gefreut, daß er so mutig war und dadurch alles sehen konnte.
Deine letzten beiden Briefe erheiterten mich sehr, denn es sind diese nicht mit so viel Traurigkeit geschrieben. Ist’s halt schon wieder besser, gelt Schatzerl? Ja, ich komme am 30.d. früh, wahrscheinlich mit dem Zuge um 7h33 an Wurzbachtal. Fein, was?
Mit dem „zu enge sein“ ist’s bei mir auch so ähnlich. Nun Schatz, weit ist’s nicht mehr.
Grüße alle recht herzlich. Dich und die Kinder umarmt
Dein Mann
Weidlingau, 20.11.1930
Mein lieber Mann!
Fast möchte ich Dir lieber nicht schreiben, wenn ich mir nicht denken würde, Du hast dann Angst, daß etwas passiert ist.
Montag war ich mit Fredy beim Spezialarzt. Er sah Fredy in den Hals, spritzte ihm die Nase aus und gab mir eine Anweisung für den Chefarzt. Dafür mußte ich 6 S Aufzahlung leisten, da die Kasse nur 4 S bezahlt, der Arzt aber 10 S verlangt. Dienstag waren wir in der Krankenkasse. Wurde ohne Chefarzt bewilligt.
Heute waren wir wieder bei Dr. Soherr. Nun bitte erschrick aber nicht, Liebstes. Die Operation kostet 80 S Aufzahlung, 20 S bezahlt die Kasse. Eigentlich sollte ich 150 S bezahlen, doch er hat gleich 50 S weniger gerechnet, und als ich ihm unsere Lage klarlegte, weitere 20 S nachgelassen. Und auch diese 80 S brauche ich nur zur Hälfte gleich erlegen. Die andere Hälfte wird gestundet.
Immerhin bin ich ganz weg. Ich hab jetzt solche Kopfschmerzen, daß ich ganz dumm bin davon. Und trotzdem denk’ ich wieder muß man froh sein, daß es nichts Ärgeres ist. Bei Dr. Soherr war heute ein 6 Monate altes Butzerl mit Mittelohrentzündung. Wenn ich mir vorstelle, daß Werner so etwas haben würde - . Liebling, ich möchte einmal ausruhen von Kummer und Sorgen.
Emma ist seit gestern weg. Dienstag kam sie wieder heim, weil kein Platz war.
Am 17. erhielt ich 150 S. Wieso weiß ich nicht. Nun hatte ich aber bis dahin schon insgesamt 37 S Schulden. Und da ich dachte, es würde mir ausgehen, 10 S auf mein Geld zurückzunehmen, hatte ich durch oder über Mitzi etwas von Frau Axt gekauft. Für Flamme, Doktor und Fahrten 17 S, für Coks und Holz 16.40 S, bleiben mir also ungefähr 80 S, davon habe ich heute noch 40 S genau. Nun muß ich mir also von Mutter wieder etwas ausborgen, um den Arzt bezahlen zu können. Wieviel weiß ich noch nicht. Die Doktorrechnung ist noch ausständig. Werde sie wahrscheinlich nach dem 1. XII. begleichen. Gas haben wir bis heute erst 17 m3. Kann also höchstens auf 60 m3 steigen und nicht wie letztes Mal auf 92 m3. So nun hast Du wieder den ganzen häuslichen Kram von mir. Gute Nacht, mein Lieb! Es küßt Dich herzlichst
Gretel
Die Operation wird Samstag ausgeführt. Zum Vorhalten bei der Heimfahrt muß ich 4 Handtücher mitnehmen. Muß also doch mit ziemlichem Blutverlust verbunden sein.
Gmunden, 23.11.30
Mein Lieb!
Gestern erhielt ich Deinen Brief, wo Du wegen Fredys Operation schreibst. Kind, wenn ich das früher gewußt hätte, wäre ich nach Hause gekommen. Denn ich habe ja doch keine Ruhe hier. Wegen des Geldes, Kind, mach’ Dir ja keine Sorgen noch zu allem hiezu.
Mein Liebes, Samstag früh komme ich und dann kann man ja wieder sprechen und nicht alles schreiben. Und doch hoffe ich bestimmt, daß morgen ein Schreiben von Dir kommt und ich Näheres über Fredy erfahre.
Gestern war ich am Hongar, ein 970 m hoher Berg zwischen Traun- und Attersee, von dort habe ich Haag und Rottenbach gesehen. Das Wetter war, so lange ich fort war, schön. Kaum jedoch in Gmunden, fing’s zu regnen an. Da mir am Weg der Briefträger Deinen Brief meldete, ging ich gleich in mein Büro.
Heute ist ein wahres Aprilwetter. Um 3 h war herrlicher Sternenhimmel, um 5 ein Gewitter mit Blitz und Hagel, um ½ 8 herrlicher Morgen mit Sonnenschein auf den Alpengipfeln, um 8 Schnee und ein Sturm, daß etliche Bäume entwurzelt sind. Dann wieder Regen, Sonnenschein u.s.w. abwechselnd. Ich war schon touristisch angezogen und fort, kehrte aber rechtzeitig um. Aber was soll man denn machen den ganzen Tag. So ging ich vormittag ins Büro. Vom Fenster aus habe ich eine Goldene Hochzeit mit Waldhornmusik und in hiesiger Tracht gesehen. Die Frauen hier haben ein Goldhauberl auf und ein schwarzes Seidenkleid mit buntem Umhängetuch. Die Haube sieht beinahe aus wie ein Feuerwehrhelm aus vergoldeter Wolle gestrickt.
Ich habe heute H. Rommel geschrieben, vielleicht kommt er Samstag oder Sonntag. Rommel soll nach Villach fahren und die Zentrale montieren.
Wenn ich kann, so werde ich wahrscheinlich das Touristengewand mitbringen, denn ich will mit einer Touristenrückfahrkarte am Montag abends kommen und zu Weihnachten zurückfahren. Ich muß nur nachsehen, wie die Karten und die Gültigkeitsdauer ist. Schreibe nämlich von der Gaststube.
24.11.30. Nun habe ich Deinen Brief erhalten und danke Dir, daß Du mir gleich schreibst. Aber diese Woche ist mit mir, glaub ich, nichts anzufangen. Habe heute eben Reisefieber. Nun wird Fredy doch wieder hergestellt sein, so ziemlich wenigstens. Geld bring ich Dir mit, brauchst Dir keine Sorgen machen.
Nun Lieb, gute Nacht! Mit vielen Busserln
Robert.
Weidlingau, 5.12.30
Mein Liebstes!
Will Dir doch noch schnell ein paar Zeilen schreiben, aber wie ich sehe, geht’s mit dem roten Bleistift nicht.
Nun ist der Krampusabend auch vorbei. Die Kinder waren sehr zufrieden. Ich kaufte um ca. 5 S Kletzen, Feigen, Nüsse und Datteln und buk etwas Bäckerei.
Hansi ist auch gekommen und hat eine Kleinigkeit mitgebracht. Gerade vor einer Woche bist Du gekommen, Liebling! Nun ich will ja nicht jammern. Werner ist sehr erkältet (oder angesteckt). Hat mit Schnupfen angefangen, dann ist vorgestern auch Husten und Fieber dazugekommen. Heute morgens ließ ich Dr. Allmeder holen, natürlich kam er aber erst abends. Hat ihm Medizin verschrieben und abends zum Schlafengehen einen heißen Ölfleck auf Brust und Rücken. Morgen kommt er wieder, da die „G’schicht“ etwas „brenzlich“ ist. Na, ich hoffe, es geht alles wieder gut vorüber. Er war ja heute schon viel ruhiger als gestern. Hat auch schon ein bisserl getrunken, während er gestern den ganzen Tag vielleicht 100 g zu sich genommen hat. Denke Dir, vorgestern war Herr Fleischmann da, der Bank wegen. Nächste Woche, wenn bei Artmann der Fußboden gelegt wird, wird er auch die Lehne bringen. Also Du siehst, das Doktorgeld geht schon wieder flöten. 35 S die Bank, 5 S Krampus.
Außerdem hab ich 5 S für’s Betonieren gezahlt und um 5 S 10 g Flanell gekauft für Werner auf Hemden. Aber um das alles zerbrich ich mir justament nicht den Kopf, wenn nur unser Schatzerl wieder gesund wird.
Mit Hansi sprach ich heute über die Botschaft bezüglich der Gemeindewohnungen am Tivoli. Sie sagt, es werden im Februar neue Häuser in der Gartenstadt fertig. Größe: Zimmer, Kabinett und große Wohnküche, ein Rasenfleck. Zins 45 S. Das wäre ja anbetrachts dessen, daß man für Robert Fahrgeld und Schulgeld, für Dich das halbe Fahrgeld ersparen würde, außerdem am Tivoli keine allzuschlechte Luft sein kann, ja nicht gar so viel. Vielleicht wäre der Versuch doch eine 20 g-Marke wert. Was meinst Du? Vielleicht wären die Kinder doch wieder gesünder.
Anbei ein Brief von Brodils. Die Bilder behalt ich hier. Es sind dieselben wie letzthin.
Gute Nacht, Schatzerl! Hoffe, daß es bei uns auch ein bisserl Nachtruhe gibt.
Viele tausend Busserl
Gretel
Abtenau, am 6. Dez.1930
Mein Lieb!
Bin im Gasthaus „Zur Post“. Habe heute die „Bienen“ in Attnang getroffen und bin mit ihnen bis Salzburg gefahren. Es war mir dies eine schöne Abwechslung in meinem Hiersein. Wir sangen, Adele hat mir meinen Hut und Rock in Ordnung genäht, Trude habe ich 5 S für Salzburg gegeben. Aber in Salzburg wurden sie von wenigstens 20 Leuten abgeholt, da habe ich mich aus dem Staub gemacht. Hatte übrigens vor, mit der Touristen-Rückfahrkarte nach Golling zu fahren, damit ich doch auch den Touristen-Klub ausnütze. Außerdem kommt mir die Fahrt Attnang-Golling auf nur S 7.60. im Vergleich zur normalen Fahrt Attnang-Salzburg einfach S 5.60 recht billig. So werde ich heute bis Gosau gehen, und morgen das erste Mal einen richtigen Gletscher zu sehen bekommen. Das Wetter hat mich recht lieb. Wunderbar waren die Berge. Die Straße, welche wir miteinander fuhren, Salzburg - Hallein, sah heute wohl anders aus. Nur hier in den Bergen ist bis jetzt Nebel, jedoch guckt hier und da die Sonne heraus, so hoffe ich, daß ich noch recht schöne Aussicht habe.
Will nun versuchen, Dir meine Umgebung zu beschreiben. Das Gasthaus ist, das heißt die Gaststube ist 1 ½ mal so groß wie unser Zimmer. Zwei Tische sind mit Einheimischen besetzt, Männer, Frauen und ein Mädel. Die Männer haben alle die Hüte auf, beinahe auf jedem Hut sieht man Edelweiß oder einen Gamsbart. Frauen und Mädel, Bubiköpfe gibt es hier natürlich nicht mehr, haben Granatketten mit einer großen Brosche als Halsband. Vielleicht hat das den Zweck, den Kropf eventuell zu verdecken, obwohl hier gar niemand einen Kropf hat. Wenn ein neuer Gast kommt, so muß er mit den Bekannten trinken.
Suppe und Würstl werden in kleinen Schüsseln serviert, recht komisch. Ich natürlich bekomme als Out-sider alles normal. Den Wein sogar in einem Römer. Die Alten hier trinken nur Glüh-Rotwein. Vielleicht zur Belebung der Lebensgeister.
Die Stubenecke ist mit einem Kachelofen, die andere mit einem Christuskreuz von anderthalb Meter Länge ausgefüllt. Die Wände sind mit Hirschköpfen und Geweihen geschmückt, und auch mit großen Fotografien vom Familienangehörigen, auch Bilder von Militär und eine Menge Parten hängen hier. So, nun muß ich weiter, nach Gosau, dann Fortsetzung, wenn ich auch verschlafen bin, denn heute Nacht habe ich nur ca. 4 St. geschlafen und da auf hartem Lager.
Beim Kirchenwirt in Gosau.
Ich habe doch Glück mit dem Wetter. Kaum daß ich eine Viertelstunde gegangen war, hob sich der Nebel und im schönsten Sonnenschein lag das Tennengebirge da. Habe eine Aufnahme gemacht. Ob’s wird? Von Abtenau bis hierher ist’s ca. 17 km. Aber ich war trotz des herrlichen Weges wirklich froh, als ich in Gosau gelandet bin. Ein wunderschönes Tal, als Abschluß, wie in Prigglitz der Gans, hier der Dachstein. Aber ich sage Dir, mein Lieb, es kommt mir vor wie in der Tatra. Gerade so zerklüftet. Wenn Du nach Gmunden kommst, müssen wir hierher. Jetzt ist es fast 8 Uhr, habe schon 3 Stunden nachmittag geschlafen. Aber es ist doch nicht das Richtige und ich hab dazu recht Kopfweh bekommen. Und in Gmunden sind die Kopfwehpulver, hier ist nichts zu bekommen. 11 Einheimische sitzen um einen Tisch, jetzt grad löst sich der Haufen. 4 gehen tarockieren, ein Tisch wird in der Mitte gerichtet. Die anderen schießen. Ich glaube, es sind Kapselpatronen, da ein ganz sonderbares Gewehr da ist. Ja, es ist richtig. Jeder gibt 10 Schüsse ab, die werden je nach Güte summiert und notiert. Aber die Knallerei ist nicht besonders angenehm für mein Kopfweh. Darum gehe ich schlafen.
Gute Nacht! Zahlen!
Schon wieder beim Kirchenwirt, Sonntag d.8.d. Bin heute um 7 Uhr früh zum Gosausee. Ich sage Dir, einfach herrlich. Das Karls-Eisfeld, mit dem Binocle sieht man in den Spalten das Eisblaue. Und jedes Stückchen Weg eine Überraschung. Gmunden, den 9.12.30
Da sich Sonntag der Wirt zu mir setzte, konnte ich nicht weiterschreiben. Der Rückweg nach Salzburg war auch recht hübsch, auch dadurch, daß ich Gesellschaft hatte. Eine Gosauerin ging auch nach der Bahn. Sie fuhr zum Ischler Kirta.
Nun zu Deinem lieben Brief. Also ist Werner jetzt krank. Nun, das Denken hier hilft ja doch nichts. Hoffentlich kommt aber morgen wieder Nachricht, daß es doch nichts Arges ist.
Bezüglich Tivoli wäre es ja doch schön, wenn wir einmal eine Wohnung wie sich’s gehört bekommen würden. Das Plus an Zins würden wir ja gewiß hereinbringen. Nur glaube ich nicht recht daran. Aber jedenfalls schreibe, wenn Du’s nicht schon getan hast. Es wäre gewiß für uns alle gut, trotzdem Du ja weißt, daß ich gerne in Weidlingau bin. Die Luft ist gewiß am Tivoli nicht am schlechtesten, da ja im Westen Schönbrunn liegt.
Ich bin recht erkältet und verschnupft. Das war das Gosauer Bett. Da hatte es in der Nacht gewiß 10 - 15 Grad Kälte. Aber schön war’s doch. Ob wir wohl einmal zusammen alles sehen werden? Ich glaube, ich bin schon so geboren, immer allein zu sein.
Ob wohl die Aufnahmen gelungen sind? Werde diese erst zu Hause entwickeln.
Schreibt Robert immer seine Aufgabe? Und wie geht’s Fredy?
Ich bekam schon zwei Rollen Spagat, starken, für den Drachen, den bring ich mit.
Nun Schatz leb wohl und schreib recht bald wegen Werner etwas Gutes. Mit 1000 Küssen
Dein Robert
Weidlingau, 11.12.1930
Herzlieb!
Schnell ein paar Zeilen, solange Werner sein Spiel noch freut. Es geht ihm schon bedeutend besser. Der Arzt war gestern zum letzten Mal hier. Auch baden darf ich ihn schon. Trinken kann er allerdings noch immer nicht ordentlich, da der Schnupfen nicht weichen will.
Ich bin auch noch verschnupft und habe ständig Kopfschmerzen. Ansonsten alles in Ordnung. Fredy geht es gut. Nur von dem übergroßen Appetit, der sich einstellen sollte, habe ich bis jetzt nichts bemerken können.
Die Kinder sind heute beide mit Hansi auf dem Christkindlmarkt. Robert bleibt dann gleich drinnen, um morgen zur Schule zu gehen. Seine Aufgaben hat er immer gemacht. Sind, wenn auch nicht schön, so doch nett. Fredy kommt abends mit dem 5 Uhr-Pendler.
Ich muß immer mit Werner etwas plaudern, sonst will er nimmer sitzen. Es dauert halt auch schon zu lang. Ich mußte heute zu allererst schneeschaufeln, ca 10-12 cm, aber sehr naß. Er pickt auf dem Boden, daß man glaubt, man kriegt ihn gar nicht weg. Schatzerl, ich freue mich immer so, wenn ich wie gestern abends solch ausführliche Schilderungen von Dir erhalte. Doch solltest Du Dich lieber freuen, all das Schöne sehen zu können, als jammern. Schau, ich „bin dazu geboren“ zu Haus zu sitzen und jammere trotzdem nicht. Wenn ich Dir nur so ein bisserl drücken könnte! Werner fängt jetzt sehr lieb zu plaudern an. Wa - wa- wa - wa und ja - ja - ja, auch mama und dada hat er schon einige Male gesagt. Soll ich Dir über die neuen Auslagen auch berichten? Die Zimmerlampe ist ausgebrannt, 1.90 S.
Die Schuhe habe ich nageln lassen, weiß aber noch nicht, was sie kosten, da Robert nicht fragte.
Nun werde ich Werner einschläfern und in den Consum gehen. Wenn ich den Brief jetzt aufgebe, bekommst Du ihn doch vor Montag. Das Gesuch schrieb ich noch gestern abend. Glauben tu auch ich nicht daran.
Heute in 14 Tagen ist Christtag; hurra!!
Es umarmt und küßt Dich viele tausend Mal
Deine Gretel
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