Grete Schröfl - Robert Schröfl: Korrespondenz


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Dienstag, 9. XI.20

Liebste!

Mit Deiner lieben Karte vom 4. ging das erste Mal die Post an die richtige langweilige Adresse. Die Karte trägt den Wiener Poststempel vom 6., ’s scheint also auch die österreichische Post schlampert zu sein, oder ist’s Datum verschrieben? Nun, ein „glühendster“ Verehrer könnte Dir bei dieser Kälte ganz nützlich sein, möchtest vielleicht sogar Berta „Hausfreund“ missen können.

Kino mit Musik oder Gesang ist eigentlich nichts Neues mehr, erinnere mich, daß ich schon im 9er- oder 10erjahr einige kleinere STücke gesehen habe. Im Phönix-Kino sind sogar Opern aufgeführt worden, wie, weiß ich wohl nicht.

Wenn ich den „Friedensfürst“, wollt’ schreiben den „Stern“ erhalte, so wird’s mich recht freuen, aber auch, wenn Du so lieb bist und mir „Die Ehe“ sendest. Weißt, ich habe schon sehr das Verlangen nach einem Buch, aber leider ist hier gar nichts zu bekommen. Die einzige Bibliothek ist polnisch.

Wenn Du auch Operetten nicht besonders liebst, in dieser WEise stimmen wir ja überein, werden wir uns die „Fledermaus“ doch einmal bei Gelegenheit anschauen, gelt? In Oper und Volksoper wird dieselbe ja unter dem Titel „Komische Oper“ aufgeführt. Sie und „Zigeunerbaron“ waren auch die einzigen Operetten, welche in der Hof- pardon Staatsoper aufgeführt wurden und welche ich bis Iglau sah. Dort war ich oft im Stadttheater in lauter Operetten bis zum „Meineidbauer“.

Bei Thilde muß ich mich noch bedanken für ihre lieben Karten nach …, bitte mein lieber „…“ um die Adresse. Hier in Trzynietz kommt jetzt sehr viel Militär her, man fürchtet Konflikt mit Polen. Ist eigentlich sehr angenehm, so als ganz neutrales Menschlein hier zu sein.

Fortsetzung nach dem Nachtmahl.

„na, den Rat gib i Ihna, wann S’ amal verheirat’ san, da nehmen S’ imma, wann S’irgendwo auf Montasch san, Ihnere Frau mit. Dös war imma mei Prinzip, und wann i heit a um a paar hundert Kranln weniger hab’, reut’s mi net, wenigstens hat mei Frau a was g’sehn.“ So sagte grad vorher H. K.beim Müller zu mir. Hätte das zwar auch ohne seinen Rat getan, aber doch hat’s mich g’freut, von ihm etwas über seine Montageerlebnisse zu hören. Wäre nur so glücklich, wenn’s nur schon wäre, und ich abends zu meinem lieben Weiberl z’Haus kommen könnte. Werde dann sogar gern die Annehmlichkeiten des Alleinseins missen.

Aber weißt, das Alleinsein ist wirklich oft angenehm. Am meisten spürte ich’s in der Gefangenschaft, da gab es Monate, wo man nicht allein sein konnte. Nur einmal war ich froh, daß ich wieder zu den Andern kam; war nämlich eingesperrt und noch dazu in einem betonierten, höchst „kühlen“ Raum bei einer Kost, bestehend aus 40 dkg schwarzem Brot. Da war ich recht glücklich, als sich die Tore wieder öffneten und der Starschi mich auf die Gendarmerie führte, wo eine Schreibmaschine die Liebenswürdigkeit hatte, stecken zu bleiben. Die mußte ich reparieren, und später ein Auto, dann wurde ich Glaser und Anstreicher und nach zwei Wochen fuhren wir zurück ins Lager und da fand ich die erste Karte von Dir. Damals war ich so zufrieden und glücklich und heute - weißt Lieb, wenn so eine oder zwei Wochen die Post gesperrt werden würde, würde ich schon ein wenig kuriert werden. Aber lieber nicht!

Grüße Deine Lieben! Dich küßt in Sehnsucht

Dein Robert

Wien, 9. XI.1920

Herzlieb!

Wie ich vorausgesehen, ist heute mal wieder kein Brief gekommen. Ich habe also heute Zeit Dir zu erzählen, was ich schon gestern wollte. Vorerst aber zu Deiner Neuigkeit. Kann mir zwar so beiläufig denken, weshalb die Sache, wenn Herrn Kulhaneks Pläne sich verwirklichen würden, für uns von Nutzen sein wird, doch weiß ich nicht, ob meine Vermutung auch zutrifft, bitte also um nähere Erklärung. Nachteil hätte das auf jeden Fall für mich, nämlich den, daß ich Dich noch 6 - 8 Monate länger so ganz entbehren müßte. Das soll uns aber doch nicht hindern, zugunsten etwaiger überwiegender Vorteile den Nachteil zu übersehen. Einstweilen hoffe und wünsche ich nur, daß Dein Weihnachtsurlaub bewilligt wird.

Bei Frau Kulhanek war ich noch nicht. Vormittag war ich zu Hause! und jetzt bin ich allein im Geschäft, kann also nicht weg. Hoffentlich kommt Hansi bald. Ob aber dann der Brief fertig wird, ist eine andere Frage.

Herzlichen Dank für den Brief über Rußland. Nun kenn ich mich doch so halbwegs aus. Müssen aber schauderhafte Zustände gewesen sein, die Ihr mitzumachen hattet. Aber dafür geht’s Dir jetzt gut. Kriegst den Kaffee sogar ins Bett, wenn Du nicht aufstehst.

Hansi kommt und kommt nicht. Sie ist schrecklich. Sonntag war große Aufregung in der Gemeinde. In der Morgenversammlung. Erst sprach Fritz, dann Konrad vom Vergeben. Und beide sprachen so schön, daß man ganz gerührt wurde. Sogar Berta hatte sich vorgenommen, nach Schluß der Stunde Mathilde versöhnend die Hand zu reichen. Da fällt es Fritz ein, weil noch 5 Minuten Zeit waren, Thilde zum Sprechen aufzufordern. Sie beginnt: „Ja, meine lieben Geschwister, hätten Sie sich anders verhalten, diese Moralpredigt der Brüder hätten Sie sich ersparen können.“ In dem Ton ging es weiter. Auch Br. Ehlers selbst könnte sich bei der Nase nehmen. - Ferner ziemlich zum Schluß: „Von mir aus haben Sie Nachmittag in der Versammlung nichts zu befürchten!“ Bei dem Wort sagte Berta ganz laut: „Na, das is Gewalt!“ - Thilde: „Und wenn auch jetzt schon wieder diverse Bemerkungen fallen…“ u.s.w. Man schloß. Wir gingen. Frl. Schwarz mit mir voraus. Berta blieb mit Hansi und Frau Hrubesch, Hilde und Gretel beim Haustor stehen. Mir war’s zu kalt und wir (Frl. Mitzi und ich) gingen. Als ich nach Haus kam, ich hatte Mitzi begleitet, noch keine Menschenseele da. Ich ging Berta und Hansi entgegen, redete mit ersterer. Keine Antwort - Wir kamen herein; Berta wirft sich auf den Diwan. Sag ich: „Hast leicht wieder so viel Schmerzen?“ „Das kann Dich überhaupt gar nicht interessieren! Du bist grad so wie alle anderen sind!“ Ich: „Ja, sag mir nur, was hab ich Dir denn jetzt schon wieder getan?“ Na, jetzt kam’s herausgeplatzt. Die ganze Wut auf Thilde, und daß wir so dumm sind, uns das alles gefallen zu lassen. „Ich hab den Fritzl jetzt so z’samm’g’schimpft, so was hat er sein Leben noch net g’hört!“ - „Von so einer Person, die ihre eigenen Gemeinheiten unterschrieben hat, daß sie’s g’macht hat, laßt’s Ihr Euch so abkanzeln.“ - „Aber wann Ihr alle nix red’s, i wer reden. Heut nachmittag wer i ihr alle ihre Gemeinheiten vorhalten. Dann könnens’ mi vor mir aus ausschließen, aber a gut’s Werk hab i ’tan, wann i den Freunden die Augen öffn’!“ Als Berta fertig war, war sie gesund, ich aber hatte Kopfweh, daß ich kaum schauen konnte.

Als Mutter nach Hause kam, ging’s von vorne an. Mutter gab Berta nur den Rat, sie soll Fritz sagen, daß er Thilde zur Rede stellen muß, widrigenfalls sie (Berta) ihre Absicht zu reden ausführen wird. Zum Glück nahm sie den Rat auch an.

Als wir hinauskamen zu Hrubesch, sagte Schw. Hrubesch, sie sagt kein Zeugnis, es ist ihr ganz unmöglich auf die Vorfälle von vormittag. Meiner Mutter und Berta natürlich auch. Ich wußte selbst nicht, ob ich im Stande sein werde, auch nur ein Wort zu sagen, so erregt war ich. Nicht über Thilde, denn ob sie uns Moralpredigten hält oder nicht, ist mir ziemlich gleich. Ein ziemlich empfindliches Gewissen habe ich und so genügt mir vollkommen, wenn ich weiß, daß das, was ich tat, das Richtige war. Ob andere Leute anders urteilen darüber, ist mir ganz egal.

Vor der Stunde noch sprach Berta mit der Priesterschaft, verlangte aber, daß Thilde ihre Worte von vormittag zurücknehme. Thilde kam und die zweite Konferenz im Kabinett begann. Nach derselben machte sich, zwar nicht Thilde, wohl aber Karl Hirschmann samt Frau auf uns zu verlassen. Dir Stunde begann; mit Angst und Sorge harrte fast jeder der Eingeweihten der Dinge, die da kommen sollten. Dir Brüder, und jetzt besonders Br. Hrubesch, sprachen so herzbewegend von Liebe und von Vergebung.

Einer nach dem andern stand auf und gab sein Zeugnis. Von denen die nicht wollten, zuerst meine Mutter. Und dann auch Berta. Und sie bat sogar, man solle ihr vergeben, was sie Unrecht tat. Gezittert hat sie dabei, die Stimme klang ganz gebrochen, aber sie tat’s. Wie sie uns dann abends erzählte, ganz gegen ihren Willen. Es hat aber doch der bessere Geist den Sieg davongetragen. Und alle waren wir viel glücklicher. Berta am meisten. So, jetzt ist zwar nicht Hansi, wohl aber Mutter gekommen. Ich werde also schnell zu Frau Kulhanek gehen, dann ist’s schon Zeit zur Bibelstunde.

Herzinnig küßt Dich Deine

Gretel.

Mittwoch, 10. XI.20

Liebste Gretel!

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich gar keine Post bekomme.

Donnerstag, 11. XI.20

Will nun meinen gestrigen langen Brief fortsetzen. Bin nämlich unterbrochen worden. Heute endlich Deinen lieben Brief vom 9. erhalten und danke Dir herzlichst dafür, sowie ich auch vom Herrn Kulhanek den besten Dank auszurichten habe für Deine Bemühung. Auch er bekam heute den Brief. Aber etwas muß in unserer Post nicht klappen. Bekam doch nur die Karte vom 4. und die beiden Briefe vom 6. und 9. Auch Du schreibst, daß schon wieder kein Brief gekommen und ich schrieb doch, bis auf 2 oder 3 Mal, alle Tage. Dr Nutzen meines eventuellen Hierbleibens wäre dieser, daß wir durch dasselbe nicht nur unserem Ziele bedeutend näher gebracht werden würden, wir könnten dasselbe, wenn alles klappt, auch erreichen, mit Mutters Einwilligung und Deinem Einverständnis. Wollen aber zu Weihnachten, denn ich hoffe ja bestimmt, wenn auch nicht auf lange, zu kommen, darüber sprechen. Für mich hätte das auch das Gute, daß es die erste leitende, wenn auch leidende, Stelle wäre und wenn einmal der Anfang gemacht ist, kann man auch in Zukunft damit rechnen. Und dann ist der Verdienst hier bereits doppelt so hoch als in Österreich. Was Deine Erzählung über Sonntag betrifft, weiß ich ja nicht den richtigen Sachverhalt der Dinge, doch freue ich mich, daß auf Eurer Seite der versöhnende Geist war. Aber auch Berta muß ich rechtgeben mit ihrem „Wanns Ihr alle nix red’ts!“ Wäre gesprochen worden, schon früher, gleich am Anfang, so wäre vielleicht diese Uneinigkeit nicht gekommen. Mir ist sehr leid, daß ich bei diesen Versammlungen nicht anwesend sein konnte. Ist der neue Bruder nicht mit Thilde gekommen? Fritzl und Konrad bedaure ich auch, so zwischen zwei Feuern stehen zu müssen. Aber vielleicht irre ich.

Komme eben vom Nachtmahl und habe Deinen lieben Brief vom 8. vorgefunden. „Na, da schmunzelt wieder amal aner.“ hab’ ich g’hört, als ich ihn bei Tisch las. Habe aber doch Grund dazu, denn ich freue mich ja so, daß Ihr Euch nun, ohne viele Komplimente, kennengelernt, Du und Olga. Möchte aber dadurch nur noch lieber z’haus sein. Nun bin ich aber nur neugierig, wann Olgas Brief kommt, wo sie schreiben wird, daß Du ihr gar nicht g’fallst. Statt Deinem Rat mit den Ziegelsteinen wäre es wohl besser, mir einen zu geben, daß ich größer werde. Aber Olga selbst ist mir ja mit gutem Beispiel vorausgegangen. Mir bin ich groß genug und Dir auch, gelt?

Was Olgas Glauben anbelangt, habe ich die Versuche, sie zur Überzeugung zu bringen, aufgegeben. Schau, Liebste, ist’s denn nicht besser, wenn ein Mensch ohne Zwang, nur aus sich selbst heraus die Gebote hält, als, wie meistens der Fall, nur äußerlich dieselben hält, innerlich doch ein anderer ist, weil ja doch der Mensch der Freiheit bedarf. Ich sagte Dir einmal, daß ich mich stark veränderte, ja, es kann vielleicht sein, daß sogar jetzt unsere Ansichten in dieser oder jener, unsere Kirche betreffenden Sache, auseinandergehen. Das soll aber kein Grund sein, darüber zu schweigen, im Gegenteil sollten wir uns, wenn etwas zur Sprache kommt, gründlich aussprechen. Ich möchte dem obigen „unserer Kirche“ noch hinzufügen: „soweit wir sie kennen“. Nein, mein Schatz, komponieren will ich nicht. Aber ich muß doch wissen, wenn ich die Lieder aus dem Gedächtnis schreibe, wie hoch der Sopran kommt, sonst braucht er zum Schlusse eine Leiter. Sehe, daß ich alle Lieder zu hoch geschrieben. Dachte, wenigstens bis a kann Sopran singen. Also, einen Genius brauchen wir zwei nicht, wir küssen lieber einander und ersparen uns das Ambulatorium. Aber sag, warum muß man beim Komponieren Kontrabaß studiert haben? Also mit dem Schlafengehen soll ich mich selbst an der Nase nehmen. Ich tu’s aber doch nicht! Weil es bei mir höchst selten vorkommt, daß ich so spät schlafen gehe, bei Dir aber sehr oft. Nun freue ich mich eben, daß Du mir recht gibst.

Ich glaube nicht, daß aus dem Grunde, weil ich beim Müller sitzen bleibe, viele Briefe ausfallen. Das war das erste Mal, daß es so spät geworden ist, denn sonst, wenn keine Musik ist, habe ich gar nicht das Verlangen dorten zu bleiben, vielmehr das, mit Dir, mein Liebchen, zu plaudern. Und nachdem dieses Verlangen mit Deinem „Egoismus“ übereinstimmt, brauchst Du Dir mit diesem nicht viel zu schaffen machen, Du Arme hast ja so „genug mit Deinen Fehlern zu tun.“

Nun aber muß ich aufhören, sonst wirst Du vielleicht noch bös und dann ist’s schon ½ 11 Uhr. Also noch immerhin 7 ½ Stunden. Jetzt fällt mir eben ein, daß ich heut Nacht wieder von Dir träumte. Wir waren in der Versammlung.

Grüß Mutter, Berta, Hansi, Fredi und Trude.

Viele Busserln von Deinem

Robert

Wien, 10. XI.1920

Mein lieber Robert!

Erhielt heute Deinen lieben Brief mit der Beilage an Olga. Abgeliefert habe’ ich sie aber noch nicht, so dringend wird’s hoffentlich nicht sein. Und morgen werde ich’s besorgen. Übrigens verstehst Du vortrefflich, mich zu kurieren von meiner Scheu vor Fremden. Schickst mich zu Kulhaneks und zu den Deinen und wer weiß, was demnächst wieder für ein „Auftrag“ kommt ?!

Nun aber, Dein Wunsch wird herzlich gerne erfüllt, trotzdem es nicht in meiner Absicht lag, noch diese Woche zu Olga zu gehen.

Freue mich mit Dir, daß Deine Toilette nun vollständig ist. Ob’s in Wien billiger ist, weiß ich zwar nicht, doch auf jeden Fall würdest Du zu viel nicht über die Grenze bringen. Frau Kulhanek fragte mich auch,ob man nicht die Lebensmittel über die Grenze bringen oder schicken kann, da Ihr verschiedenes bekommt, was Ihr nicht braucht. Ich verneinte das natürlich, meinte auch, daß vielleicht ein geringeres Quantum durchgehen wird. I think so!

Wenn Du aber vor Freude Kopfweh kriegst, dann ist’s wohl besser, man macht Dir keine!? Werde mich daher von nun an redlich bemühen, Dich immer zu ärgern. Würde mir wahrscheinlich ohne besondere Mühe gelingen! ’s braucht nur der Vorsatz dazusein.

Die folgenden Sätze nach dem Kopfwehbericht sind übrigens so ganz Robert. Z. Bsp. „Ich war mir doch immer sicher, daß ICH recht habe.“ u.s.w. Übrigens hat Dein Glaube auch zwei gute Seiten. Erstens besteht er wohl, kaum so ganz zu Unrecht, wie Olga denkt, und zweitens macht’s Dich doch entschieden glücklicher, wenn Du wähnen kannst, Du seiest im Recht gewesen, als wenn Du annehmen müßtest, daß all Dein Vertrauen unnütz verschwendet war. Und in dem Fall bleibt’s sich gleich, ob Olga oder Du im Recht war. Ich für meinen Teil möchte immerhin mehr Dir beipflichten. Willst Du aber das Urteil der Welt im allgemeinen hören, muß ich Dir sagen, daß man sich voll und ganz der Ansicht Olgas anschließt und anschloß. Daß Du Deinen Paß bekamst, ist recht gut. Aber sag’ einmal, ist das Visum nun nur für einmal oder darfst Du damit öfter fahren. Wahrscheinlich ersteres, und da wird der Spaß das nächste Mal wohl für Dich teuer werden und Dein Weihnachtsurlaub, wenn Du ihn bekommst, Dich ein kleines Vermögen kosten.

Das Lied „Die Träne“ war dasselbe, das Du meinst, nur in einer anderen Melodie, als ich es sonst gehört.

Das Geld ist bereits eingetauscht. Ich erhielt dafür 139 K und werde diese am Sonntag abliefern. Die „gestrenge Chorleiterin“ existiert nicht einmal für andere, am allerwenigsten aber für Dich, Liebster! Über die Frage aber habe ich schon nachgedacht, noch ehe sie gestellt wurde. Werde Dir nächstens die Stimmen herausschreiben. Nur ist’s mir in einer Weise unangenehm, wenn Du dann nicht kommen könntest. Überhaupt, wenn ich Karl als Tenor nehmen müßte. Er ist doch ohnehin so furchtbar angerührt.

Nun aber, da es nicht möglich sein wird, Karl zu dem Quartett zuzuziehen, werde ich Konrad oder Franz dazu auffordern. Kommst Du dann nicht, wird keiner der beiden viel daran finden, wenn wir das Lied bloß als Duett singen. Für den Sopran möchte ich Frau Hon anwerben.

Nun aber gleich die Neuigkeit, die Karl ein Singen unmöglich macht. Konrad machte uns gestern nach Schluß der Stunde die, ihn sehr betrübende, Mitteilung, daß Karl ihm den Auftrag gab, uns zu verständigen, daß er Sonntag beleidigt wurde und beantrage, daß man ihn und seine Frau von der Kirche ausschließt, obwohl er sein Zeugnis nicht leugnet. Alles andere überläßt er Präs. Cannon.

Am besten gefiel mir bei der Verkündigung Thilde. Sie schüttelte ihr weißes Haupt als wär’s ihr ganz unverständlich. Hab’ mich gestern überhaupt sehr belustigt, wenn ich sie anschaute. Sie saß die ganze Stunde mit solch überlegener Miene da, als wenn’s ihr gar nicht der Mühe wert wäre, mit uns überhaupt zu sprechen. Und als es Konrad zu dumm wurde und er sie fragte, ob sie das Vorhergegangene verstanden habe, sagt sie: „Momentan nicht.“ Den Ton kann ich Dir leider nicht beschreiben.

Deine Bemerkungen über das Kränzchen will ich lieber mit Stillschweigen übergehen. Es hat doch keinen Zweck, mich mit Dir über meinen Wert oder Unwert zu unterhalten. Du glaubst mir doch nicht! Ob’s besser wäre, wenn Fritz von uns wüßte? Wahrscheinlich nicht! Übrigens, wenn man’s auch nicht weiß, so ahnt man doch bei Ehlers, wie wir zueinander stehen! Also könnte es doch schon genützt haben. Ist eben so eine traurige Tatsache, daß die meisten Ehen nicht so sind, wie’s sein sollte.

Nur Franz erzählt mir immer wieder, wie glücklich er ist mit seiner Familie, wie er neulich sagte „trotzdem ich schon 5 Jahre verheiratet bin“. Allerdings schrecklich lange! Gelt, Schatz? Ich hab damals herzlich gelacht. Wir gehen ja gewöhnlich miteinander von Ehlers bis zum Gürtel. Gestern gingen wir aber in einer ganzen Kolonne. Hansi Tomasi, unser Hansl, Loiserl, Konrad, Frau Swoboda, Franz und ich. Von Ehlers bis zum Gürtel, dann verloren wir Franz und gingen nur sechs in einer Reihe weiter.

Gestern war eine große Explosion im Nebenhaus, wo Konrad in Arbeit steht. Er war noch ganz weiß im Gesicht vor Schrecken. Die ganzen Fensterscheiben von 6 Häusern im Umkreis

Schluß fehlt

Wien, 12. XI.1920

Mein Liebling!

’s ist heute Nationalfeiertag, nicht wie ich wähnte, schon vor 8 Tagen. Bin aber nicht ein bißchen froh über den Tag der „Ruhe“. Erstens kommt man an solchen Tagen erst recht nicht zur Ruh’ und leider feiern auch die Postbediensteten. Ich konnte also auch heute keinen Brief von Dir bekommen. Fast wäre ich heute zu Fredy gefahren; bin aber ziemlich verkühlt. Habe schon seit einigen Tagen Schnupfen, Fieber u.s.w., nur husten tu ich nicht. Das kann ich nämlich gar nicht leiden. Mutter hat mich nun zu Stubenarrest verurteilt und gemeint, ich soll heut’ liegenbleiben. Tu’ ich aber nicht! War bis Mittag im Geschäft, jetzt schreib’ ich Dir und dann werd’ ich ein bisserl spielen oder auch lesen. Würde gerne die Noten schreiben für unser Weihnachtsquartett, doch liegen meine Quartetts bei Hrubesch. Sonntag werde ich sie auch nicht bekommen, weil ich dann ganz bestimmt zu Fredy fahre. Freue mich schon recht auf meinen Buben. Deine Grüße werd’ ich auch überbringen. Er sagt, er kann sich ganz gut an Dich erinnern.

Meine Nichten sind eine rechte Bande! Eben haben sie mich überfallen und abgeküßt, daß mir Hören und Sehen verging. Übrigens darf ich Dir mit gnädiger Erlaubnis etwas davon abgeben. Wenigstens von Trudel.

Mein Cousinchen liegt mit wütendster Miene am Diwan und liest. Weiß nicht, was ihr wieder über die Leber gelaufen ist. Bin eigentlich recht schläfrig. Hatte gestern mal wieder die Lesewut und habe bis 12 Uhr gelesen. Dabei ärgere ich mich über mich selbst, wenn ich’s tu. Überhaupt, wenn’s so sentimentales Zeug ist, wie der mir von Berta so heiß empfohlene Roman, den ich gestern las. Dabei kann ich beim Lesen so sehr weinen, wie nie über wirkliche Ereignisse. Das ärgert mich dann doch, denn wozu denkt man sich in solch unwahres Zeug so hinein, als ob man’s miterleben würde.

Mitzi schreibt gar nichts. Ich bin sehr in Sorge über das Mädel. Sie ist ja auch immer kränklich, außerdem zehrt das Heimweh immer an ihr, was sie noch mehr krank macht. Und ’s ist trotz allem unmöglich, sie von dort wegzubringen. Einmal schrieb sie mir, sie glaubt manchmal direkt, es sei Satansmacht, die sie dort festhält. Sieh, Kind, zwischen mir uns Mitzi ist auch ein Etwas getreten, das unser früher so schönes und herzliches Freundschaftsverhältnis zu Grunde gerichtet hat. Und wenn wir auch manchmal den alten Ton miteinander anschlagen wollen, es gelingt nicht ganz. Daran ist wahrscheinlich diese „Macht“ schuld. Schau, als Mitzi erst 14 Tage auf ihrem jetzigen Posten war (es wird im Jänner 3 Jahre), schrieb sie mir, daß Dr. B., ihr Herr, sie überfallen habe, sie jedoch die Oberhand behielt. Nun frage ich, warum ist sie damals nicht weggegangen?! Weil er sie nicht läßt! Ist doch Unsinn, so etwas zu schreiben. Wenn ich wirklich gehen will, so kann mich doch niemand halten. Trotzdem glaub’ ich auch heute noch nicht, daß das Mädel schlecht ist. Und immer wieder quält mich die Frage: „Warum?“ Ich hab mir doch Mitzi zum Teil erzogen, wenn sie auch um ein halbes Jahr älter ist als ich. Sollte alles umsonst gewesen sein? Und darum hat mir das Kind schon so viel Sorgen gemacht während der drei Jahre. Brieflich läßt sich das nicht erledigen und mündlich hatten wir während der drei Jahre keine Gelegenheit es zu tun.

Einmal schrieb sie mir auch: „Glaube mir, Gretel, ich bin nicht schlecht geworden; bei dem einzigen Menschen, der mich dazu hätte bringen können, hast es ja Du zu verhindern gewußt.“ Damit hat sie nun allerdings recht, aber auch ich hatte recht, so zu handeln. Wir waren damals 17 Jahre alt. Mitzis Vater lebte noch, und wenn sie in meiner Gesellschaft fortging, so war ich auch dafür verantwortlich, daß sie das Heim ihres Vaters ebenso wieder betritt, wie sie es verließ.

Nun ist’s auch mehr als eine Seite über Mitzi, aber ich denke, kein Grund zur Eifersucht!

Liebling, Du weiß gar nicht, wie es mich glücklich macht, daß mich mein „Schwiegermütterchen“ ein wenig lieb hat! Denk Dir nur, wir haben uns noch nicht einmal gestritten (um mit Franz zu reden), trotzdem wir uns schon zwei mal gesehen haben. Übrigens war mein Besuch für eine Antrittsvisite viel zu lang. Aber Olga sagte immer, sie geht auch gleich und aus dem gleich wurden anderthalb Stunden. Dann bin ich noch mit bis zur Bahn gegangen, wobei wir uns versicherten, daß wir uns nächstens raufen werden, weil sie „sehr bös“ ist, na, ich doch auch.

Na, mit scheint, ich habe doch wieder vergessen, daß ich Dich eigentlich nur mehr ärgern wollte, und ich hatte doch den besten Vorsatz dazu! Berta aber hab’ ich g’rad’ wirklich geärgert. Die Christnachtsglocken erhielt ich nämlich nicht und so kaufte ich als ziemlich minderwertigen Ersatz „Das Glöcklein von Inisfaro“ in melodramatischer Behandlung. Nun sind bei dem Stück zwei Chorlieder, entweder für Sopran, Alt, Tenor, Baß oder für I. Sopran, II. Sopran und Alt. Ich ziehe letzteres vor, weil wir, wenn Du nicht kommst, keinen Baß haben. Da dachte ich denn, ich werde mir je drei Personen für jede der drei Stimmen heraussuchen. Berta aber will Solostimmen. Aber wenn ich mir auch sonst ziemlich viel gefallen lasse, in mein spezielles Fach hat mir kein Mensch dreinzureden. Da sagte ich ihr: „Sei ruhig und red’ nicht über was, was Du nicht verstehst.“ War zwar gar nicht höflich, aber ich werd’ mich doch nicht während des Schreibens um Dinge zanken, die ich doch auf jeden Fall mache wie ich will. Olga ist schon in Sorge, daß wir das Fest vielleicht am Heiligen Abend haben. Hab’ sie aber darüber beruhigt. Mein beleidigtes Cousinchen schläft jetzt. Vielleicht verschläft’s ihren Z’wider!

Wie ich bemerke, geht das Schreiben zu Haus doch schneller als im Geschäft. Trotz der Streiterei während desselben.

Heut’ hab’ ich einmal keine Marke. Man bekommt nämlich keine, weil sie noch nicht ausgegeben sind. Muß nun alles zusammensuchen. Aufgegeben wird er doch!

Herzinnige Küsse! In Sehnsucht

Deine Gretel

Samstag, 13. XI.20

Mein innigstgeliebter Schatz!

So, jetzt zu Dir! Heut geht’s mir mit dem Briefschreiben so als wie mit dem Suppenessen. Da laß’ ich mir auch immer das Beste zuletzt. Es ist dies schon der vierte Brief heute, also, wenn nichts Gescheites herauskommt, ist das die Entschuldigung. Heut’ ist schon wieder ein Nachzügler gekommen, mit einem Brief vom 10., der vom 5. Derselbe dürfte sich nach Polen verirrt haben, denn er trug den dortigen Zensurstempel. Abends erhielt ich Deine liebe Karte vom 11., die mich sehr ärgerte. Eigentlich nicht die Karte, die ja so schön ist, auch nicht der Inhalt, denn es freut mich, daß Olga und Bernhard wieder einmal eine Partie machen, sondern die dumme Spielerei eines Wiener Postangestellten, der grad auf den Kopf des Weibes einen Poststempel drückte. Wollte anfangs die Karte nebst einer Bemerkung an das Amt No.76 senden, aber es ist schad um das Porto, bei den heutigen Zeiten hat’s doch keinen Wert. Weil ich grad beim Ärgern bin, noch eine Neuigkeit, die zwar nur unangenehm für mich ist. Wir bekommen ab.31. X. unser Gehalt nicht mehr in dem Kurse von 30:100 sondern nur 22:100 hier ausbezahlt. Während ich früher cka. 580 Kc bekam, werden’s jetzt nur 420 Kc., was wiederum umgerechnet in österreichische Valuta cka.760 K wöchentlich weniger ausmacht. Und doch ist’s noch immer besser als der bestehende Tageskurs. Das österr. Geld ist aber auch in letzter Zeit ganz schrecklich gefallen. Doch jetzt zu den Briefen Also Mutter und Berta halten Dich immer für total verrückt. Nun weiß ich aber eine Stunde, wo beide gerade das Gegenteil sagten und zwar ganz aufrichtig. Du siehst, daß das wohl nur äußerlich ist, innerlich Dich aber doch für vernünftiger halten. Also ob Ihr immer noch drei seid, ist fraglich!

Für die Mitteilung betreffs des Einbruches danke ich und bin zufrieden, auch daß es ohne Hinauswurf abgegangen ist.

Ich erinnere mich nicht ganz genau, wie ich über Fuhriman geschrieben habe. Auf keinen Fall behaupte ich ihn zu kennen oder gar ein Urteil über ihn zu haben, es waren ja wirklich nur wenige Wort, die Du mir erzähltest und die mich ahnen ließen, daß er Dir näher stand. Daß Du verlobt warst, wußte ich erst in der Gefangenschaft. Sollte ich ungeschickt geschrieben haben, dann bitte es mir zu verzeihen. Das Lied: „Ja, um an Buam…“ führte ich nur an, weil Du mir’s nach Sibirien schriebst, ich glaube, als sich das Verhältnis zwischen Dir und Fuhriman löste. Warum wir gar nicht glücklich werden können durch das viele Schreiben, weiß ich nicht und trotz des Entsetzens Bertas bleibt’s doch dabei. Gelt, wir machen es doch zu unserer Freude? Daß Du wirklich so viele Post von mir hast aus Rußland freut mich, dachte nur 4-5 Karten und den Brief. Die Antwort auf diesen habe ich auch bekommen. Selbstverständlich war ich allein, als ich Deine lieben Briefe las, denn wenn ich auch nicht auf Dich eifersüchtig bin, aber auf Deine Post schon. Weißt, da braucht niemand zuzusehen oder gar hineingucken. Nur die Karte, wo Du von Fr. K. berichtest, hat Hr. K. gelesen. Danke Dir für die Übermittlung des Briefes an Olga. Den nächsten Auftrag wird vielleicht Wenty ausführen, denn ich schreibe ihm heute, daß er Dich besuchen soll. Eigentlich glaube ich aber eher nicht, daß er kommen wird.

Betreffs Lebensmittel über die Grenze bringen ist leider gar nichts zu machen. In Lundenburg, die Hölle der Zollrevision, wie sie hier in den Zeitungen genannt wird, ist die Kontrolle so streng, daß man, wie Leute von hier gesehen haben, behaupten, den durchfahrenden Passagieren ganz nichtige Quantums Butter, Wurst oder Honig und Zucker wegnimmt, und von Brot nur soviel läßt, als bis Wien notwendig ist. Natürlich ist viel übertrieben aber auch manches wahr. Daß wir hier verschiedenes bekommen, ist richtig. Z. Bsp. hab ich Zucker und Mehl und weiß wirklich nicht, was ich anfangen soll damit. Habe mir sogar schon Zuckernaschen angewöhnt, denn verkaufen will ich ihn ja doch nicht. Ebenso mit Fleisch.

Nun, wenn Du mich vorsätzlich ärgern willst, dann ärgere ich mich aber doch nicht.

Das Visum des Passes gilt bis 31. Jänner 1921 und man kann fahren so oft man will. Habe gestern an einen Vertrauensmann von Schuckert geschrieben betreffs Urlaub. Nach den neuen Gesetzen gebührt nämlich jedem Arbeiter, welcher zwei Jahre bei der Firma ist, ein bezahlter Urlaub von 8 Tagen. Die Kriegszeit wird nicht als Unterbrechung gerechnet, ergo hätte auch ich den Anspruch. Habe mich aber zur Vorsicht noch erkundigt. Dann würde mir nämlich der Urlaub gar nichts kosten, denn die Fahrt müßte die Firma bezahlen. Ebenso würde die Fahrzeit nicht in diese 8 Tage eingerechnet werden. Will mich zwar immer nicht freuen, doch muß ich’s tun.

Werde mich recht freuen, die Stimmen zu empfangen. Wer natürlich Tenor singt, ist ja ganz gleich. Sehr leid tut mir um Karl H. Es ist schade, daß wir nicht mehr die Alten zueinander sind, weiß ’s selbst nicht warum. Glaubst Du nicht, daß ihn seine Frau viel beeinflußt? Mathildes Verhalten ist mir unbegreiflich, nachdem ich sie eben von dieser Seite noch nicht kenne. Sag, mein Lieb, haben denn die Brüder nicht die Macht, ihr, wenn sie wirklich im Unrecht ist, die Meinung zu sagen? Ich denke doch, daß diese Offenheit besser ist, als solche Folgen, wie bei Karl. Zu Gunsten Olgas verschmerze ich gern einmal einen Brief. Nun werden sie ja schon vielleicht im Schutzhaus sein. Am Ötscher möchte ich sehr gern einmal. ’s war schon lange mein Wunsch, aber so oft ich hinfuhr, es war 3 mal, verregnete es mir ihn.

Nun aber, mein Lieb, ist Zeit zum Schlafengehen. Wenn Du wüßtest, wie spät es ist, würdest Du brummen, darum besser, ich sag’ Dir’s nicht. Aber morgen wird vor 9 Uhr nicht aufgestanden, da gleicht es sich wieder aus.

Besten Dank für die Besorgung des Geldes.

Schlafe süß, mein Herz. Weißt Du, daß ich schon 3 mal von Dir oder Deinen Lieben träumte? Wünsche mir einen solchen auch heute und Dir auch einen schönen.

In Sehnsucht küßt Dich

Dein Robert

Wien, 13. XI.1920

Liebster!

Vor allem muß ich die österreichische Post gegen Deinen Vorwurf in Schutz nehmen. Die Schuld an der Schlamperei trage ich selbst. Ich habe die Karte vom 4. nämlich zwei Tage in der Tasche behalten, ehe ich sie in den Postkasten warf. Sogar der Brief vom 5. wurde früher aufgegeben. Also bitte, schimpfe über mich und nicht über die Post. Deine Ansicht, daß mir ein „glühender“ Verehrer den Hausfreund ersetzen könnte, teile ich nicht (Hausfreund = Ofen für kleine Spandeln in der Größe einer größeren Konservendose, der auf einen Kohlenherd aufgesetzt wurde).

Gerade heute ist mir die Sache überhaupt zu ernst, um darüber scherzen zu können. Herr Kunschener hat mir nämlich gestern seinen Antrag persönlich wiederholt. Und was er mit dabei erzählte, hat mich recht traurig gestimmt. Aber helfen kann ich ihm doch nicht. Als Kunde ist er uns jetzt natürlich verloren, denn wenn ich seinen Wunsch nicht erfüllen kann, ist’s besser, er kommt nicht mehr und sieht mich nicht mehr. Das ist seine und auch meine Ansicht. Solch unerwiderte Liebe ist für den Teil, der nicht liebt, wohl noch peinlicher als für den Liebenden. Es tut doch weh, wenn man dem andern weh tun muß.

Werde Dir das Buch über die Ehe und vielleicht auch einiges andere schicken. Hoffentlich kriegst Du aber dann nicht vielleicht auch so eine Lesewut wie ich, wenn ich grad mal den Büchern verfalle. Das liegt übrigens bei uns in der Familie, Mutter selbst hat trotz Vaters Protest ganze Nächte hindurch gelesen, wenn sie auch jetzt brummt, wenn wir lesen. Ich hab’s eine Zeit auch nicht besser gemacht. Wir hatten nämlich von Hansis Geburt bis zu Fredls drittem Jahr immer auch nachts die Lampe brennen. Da war’s für mich recht leicht, weil ich gleich neben dem Licht lag. Da las ich denn hauptsächlich Shakespeare. Heut’ hab’ ich aber gar nichts davon, weil ich alles wieder vergaß. Würde mir übrigens jetzt doch nicht mehr einfallen, so einen Unsinn zu machen. Allerdings gar nicht zu lesen, wie ich’s ein Jahr lang tat, auch nicht. Weißt, Br. Olsen sagte einmal, man soll keine Romane lesen. Da hab’ ich gehorsam alle Lecture vermieden. Aber länger als ein Jahr hielt ich’s nicht aus. Selbstverständlich, Liebling, wenn es Dir Freude macht, sehen wir uns „Die Fledermaus“ an, obzwar ich vermute, daß Du sie bereits gesehen hast, sonst könntest Du nicht so gut unterrichtet sein. Ich bin im allgemeinen nicht für wiederholte „Anschauungen“. Das einzige Stück, das ich zweimal sah, war Sudermanns „Johannesfeuer“. Das Stück hat mich so seltsam berührt. Als ich’s das erste Mal sah, konnte ich die halbe Nacht nicht einschlafen. Vielleicht hat mir manch’ anderes Stück besser gefallen, keiner aber hat mich so angegriffen.

Thildes Adresse, IV., Mühlgasse 19/30.

Na weißt, Schatz, ob’s wirklich auch noch angenehm wäre für Dich, wenn Du während eines Konfliktes mit Polen im „Kriegsgebiet“ sein müßtest, bezweifle ich sehr. Ich finde friedlichere Gegenden entschieden angenehmer.

Nun war Herr Kunschener doch wieder hier. Welche Qual das für mich ist. Wenn er mich so traurig ansieht, ist mir grad so zumute, wie wenn ich unsere Mäuse ertränken soll. Vielleicht auch ein etwas sonderbarer Vergleich, aber doch ist’s so.

An Herrn Kulhanek herzlichen Dank für seinen guten Rat. Aber wer von uns beiden sich mehr auf unser Heim und unser Beisammensein freut, weiß ich nicht! Auf jeden Fall werde auch ich die Annehmlichkeiten des Alleinseins gerne missen, wenn meine Einsamkeit bloß durch Dich und nicht durch mir fernstehende Personen gestört wird. Wenn Du wüßtest, wie ich mich nach Dir sehen, Liebster! Über alle Maaßen!

Sag mal, warum warst Du eigentlich eingesperrt bei Wasser und Brot? Übrigens warst Du nun doch nicht umsonst „Anstreicherlehrling“, wenn Du das Geschäft in Rußland betreiben mußtest.

Aber „damals war ich so zufrieden und glücklich und heute - . Soll dieser Gedankenstrich bedeuten, daß Du jetzt unzufrieden und unglücklich bist? - Schau, Kind, ein bissel Geduld müssen wir doch haben! Einmal wir ja auch die Zeit der Trennung vorübergehen und umso glücklicher werden wir dann sein. Ob ich selbst nicht halb närrisch würde, wenn die Post eingestellt wäre, weiß ich freilich nicht, aber wenn Du meinst, Du würdest dadurch kuriert, werde ich einmal 14 Tage nicht schreiben!! Ob ich dann in den Augen gewisser Leute wieder für vernünftig angesehen würde? Olga sagte übrigens auch, als ich dort war: „So verrückt wär i ja net, daß i ihm alle Tag g’schrieben hätt.“ So verrückt war, bin und werde also immer nur ich sein. Ist mir auch recht. Die Hauptsache ist doch, daß es uns beiden Freude macht, gelt, Schatz? Werde morgen erst nach der Versammlung zu Fredl fahren und abends wieder zurück. Schade, daß mich mein Lieb nicht wieder abholen wird. Du, damals war ich mir scheint wirklich verrückt vor Freude. Hab’ aber doch den ganzen Tag schon gefühlt, daß Du da sein wirst! Trotzdem Du sagtest, Du kommst erst Dienstag! Von Mitzi erhielt ich heute eine Karte. Sie freut sich recht über uns.

Nun aber genug der Plauderei. Leb wohl, mein einzig Lieb! Kannst mich morgen auf meiner Wanderung begleiten, leider nur in Gedanken!

In inniger Liebe küßt Dich Deine

Gretel

Montag, 15. XI.20

Liebste Gretel!

Gestern schrieb ich Dir einmal nicht. Eigentlich ein wenig Faulheit war auch dabei, trotzdem ich abends riesig beschäftigt war mit Flickerei. Mit dem Aufstehen ist’s richtig 9 Uhr geworden, dann schrieb ich ein wenig Noten und ging um 11 Uhr mit einem Spazierumweg essen. Am Nachmittag war ich bei meinen Arbeitskollegen und legte mich dort „nur so ein bißchen“ auf’s Bett und schlief bis 5 Uhr. Ein schöner Besuch, gelt? Dann gingen wir spazieren in einen Vorort, von wo wir erst um 7, grad richtig zum Abendessen, zurückkamen. So ist wieder ein Sonntag vergangen, hoffentlich der 5tletzte hier. Der 6te ist nämlich schon der zweite Weihnachtsfeiertag, und da will ich ja gar nicht hiersein. Heute sprach ich übrigens mit dem Meister von der hiesigen Elektro-Werkstätte, betreffs unserer und der zukünftigen Arbeit. Material für letztere ist noch gar keines da und wird auch vielleicht nicht in absehbarer Zeit kommen, denn der Transport dauert jetzt schrecklich lange. Also wird’s mit dieser einstweilen wahrscheinlich nichts. Mit unserer Arbeit geht’s ganz schön vorwärts und wir hoffen bis 15. oder 10. Dezember fertig zu sein. Wenn nichts dazwischen kommt, so könnten wir beide, Herr Kulhanek und ich, zusammen kommen. Wenn ich nicht um H. K. wegen hier bleibe, so komme ich auf jeden Fall. Allein um der Arbeit willen bleib’ ich nicht da. Weißt, alle Tage, wenn ich zum Essen geh’ und der Zug nach Ad… fährt, denk’ ich mir, wenn nur ich schon da drinnen sitzen könnte. ’s zieht mich aber auch so z’Haus! Du schreibst mir, es ist nicht schön von mir, daß ich Dich aus Deiner Gleichgültigkeit weckte. Und tust doch auch dasselbe. Das ist auch gar nicht schön! Und doch ist die Sehnsucht schön und die Freude auf eine Zeit, wo wir einige Tage ganz glücklich sein können. Heute bin ich’s weniger, denn es ist wieder nichts gekommen. Muß doch schimpfen über die Post, vielleicht geht’s dann besser.

Obwohl mir’s ja ganz recht ist, wenn manchmal 2 oder gar 3 Briefe kommen, so ist’s mir doch lieber, wenn ich alle Tage meinen Teil kriege, nicht alles auf einmal.

Eben schlägt und pfeift es 10 Uhr. Ich will’s aber doch nicht hören, will doch noch mit Dir ein wenig plaudern. So, hab’ eben hineingepulvert in meinen Ofen. Es ist heute gar nicht zu erheizen, da es draußen sehr windig ist und meine Fenster recht undicht. Meine Zimmerleute sind doch komisch. Werd’ wahrscheinlich vor meiner Abfahrt noch Gewaltmaßregeln ergreifen müssen, damit ich weiß, was ich eigentlich zu zahlen hab’. Seit ich Dir vor 5 oder 6 Wochen geschrieben, daß ich den Kaffee zahlte, sag’ ich bereits jede Woche 2 Mal, daß sie mir doch sagen sollen, was ich schuldig bin, glaubst Du, ich könnte es herauskriegen? Und mir ist doch lieber, ich zahl’ alle Wochen, weil sonst so viel zusammenkommt. Freue mich schon auf eine Antwort Olgas. Na, wenn nicht wieder der Wille für’s Werk gilt, dann könnte dieselbe schon bald kommen. Erwarte eigentlich eine Karte von der Partie.

Auf die gestrige Sonntagversammlung bin ich neugierig. Wünschte nur, daß wieder Friede einkehren möge in die Gemeinde, wenigstens soll’s so werden, wie’s vor dem Krieg war.

Überlegte, ob ich nicht an Karl schreiben sollte, doch ließ ich’s lieber bleiben, denn erstens weiß ich nicht, ob dasselbe nicht vielleicht eine gerade gegenteilige Wirkung hat und zweitens ist’s ja möglich, daß er im Recht ist.

Also Hansi ist nur doch Lehrmädchen. Das freut mich sehr! Umsomehr als es ihr ja bei Euch leichter ist als in einem ganz fremden Geschäft. Nun ist es Deine und Bertas Aufgabe, sie öfters bei den Ohren zu nehmen, wenn sie net mag. Berta kann ich mir als Lehrmeisterin recht gut vorstellen.

Es ist sonderbar aber recht schön, daß ich jetzt so oft von Dir träume. Hatte in Sibirien aber auch eine solche Zeit. Im Oktober 15, also bevor ich noch Deine Post bekam, träumte ich fast alle Tage von Dir, einmal sogar so lebhaft von Dir und Hansi, daß ich mein Erwachen für einen Traum hielt. Leider war’s nicht so.

Nun ist’s aber Zeit zum Aufhören. Grüße an die Deinen und Meinen. Mit tausend innigen Küssen umarmt Dich Dein

Robert

Wien, 15. XI.1920

Liebster Robert!

Erhielt heute Deinen lieben Brief vom 10. und 11.d. M. Es scheint auch mir, daß irgendetwas mit uns’rer Post nicht klappt. Z. Bsp., daß Du den Brief vom 5. wieder mal nicht bekamst, ist solch ein „Klappenfehler“. Da liegt aber die Schuld einmal nicht an mir, das war bloß das eine Mal bei der Karte. Übrigens geht’s uns in puncto Post viel besser als Hr. u. Fr. Kulhanek. Also müssen wir uns auch zufrieden geben. Nun, Liebster, wie ich aus dem heutigen Brief ersehe, war meine Vermutung betreffs des Vorteils Deines eventuellen Dortbleibens nicht unrichtig. Allerdings führst Du meine Idee erst in zweiter Linie an. In erster Linie aber die Erreichung unseres Zieles! Kind, meines Einverständnisses, wie auch Mutters Einwilligung bist Du doch sicher! Daß es aber diesbezüglich einer Aussprache bedarf, ist ebenso selbstverständlich. Auch damit hast Du recht, daß mit Thilde eine Aussprache besser gewesen wäre. Aber man hat es einmal versucht während Fuhriman hier war und es hat nur noch mehr Verwirrung und Haß angerichtet. Der neue Bruder kommt erst angeblich in 14 Tagen. Fritz erwartet übrigens sehr, daß Präs. Cannon selbst kommt und wünscht nichts sehnlicher, als daß Du dann hier wärst. Er fragte mich gestern, wie lange Du noch fortbleibst und war sehr enttäuscht, als ich sagte, 6 bis 8 Monate wahrscheinlich. „Wenn er wenigstens da wär’, wenn der Präsident kommt.“ Das war seine Antwort. Habe Dir auch den Dank für das Nickelgeld zu übermitteln. Gestern dauerte die Versammlung so lange, daß ich vor Schluß weggehen mußte. Mein Zug zu Fredl wollte gar nicht warten, bis Konrad seine Predigt beendet hatte. Frau Dont war auch in der Versammlung. Konnte jedoch gar nicht mit ihr sprechen. Sie kam zu spät und ich mußte früher weg. Mit Thilde sprach ich gestern in alter Weise. Nun, Schatz, ’s hilft nichts, ich muß schlafen gehen. Bin schläfrig zum umfallen. Ist übrigens kein Wunder, da ich Freitag um 1 Uhr, Samstag um 12 und gestern um halb 1 Uhr schlafen ging. Aber bitte nicht schimpfen, ich kann nix dafür. Nun muß ich aber noch, ehe ich der Ruhe pflegen kann, an Hansis Vater schreiben.

Gute Nacht, Du mein Liebstes! Träume süß! In innigster Liebe küßt Dich Deine

Gretel

16. XI.1920

Mein lieber Schatz!

Also freut’s Dich, daß wir uns vertragen Olga und ich?! Ich wäre heute herzlich gern gegangen mich zu erkundigen, wie ihr die Partie auf den Ötscher bekam, hab’ es aber doch gelassen.

Bezüglich des Wachstums ist Dir Dein Schwesterchen wirklich mit guten oder vielmehr schlechtem Beispiel vorangegangen. Aber mir bist Du wirklich groß genug! ’s geht mir so ähnlich wie meinem Bruder, der, selbst 1.78 m groß, ein Bräutchen in Olgas Größe hatte. Und da sie sich ob der Leute Spott über ihre Kleinheit kränkte, dichtete er (ob mit oder ohne Genius weiß ich nicht) einige Verse, die ich Dir hier wiedergeben will.

Was frag ich lang nach Eurem Spott, ihr Toren,
Die ihr da lachet, daß mein Lieb so klein ist.
Es konnte Gott, von dem all unser Sein ist,
Nicht alles schaffen lang wie eure Ohren.

Und wenn ihr wollt, so spottet unverfroren.
Ihr trübt doch nicht mein Glück, so lang sie mein ist,
Sie, deren Liebe wahr und nicht nur Schein ist,
Da sie an mich ihr kleines Herz verloren.

Wie sind die Sternlein klein und ihr Gefunkel,
Und ihre Liebe gleicht dem Licht der Sonne.
Denn so wie dieses uns das nächt’ge Dunkel
Erhellt das Herz sie mir mit sanftem Schimmer
Und hält ihm so der Schwermut Schatten ferne.

Weißt, Schatz, ich war zu jener Zeit erst 7 Jahre alt und in meine kleine Schwägerin selbst bis über die Ohren verliebt. Sie war ja so herzig! Lieb hab’ ich sie auch jetzt noch, aber ich bewund’re sie nicht mehr.

Kind, betreffs der religiösen Überzeugung bist Du wohl im Recht. Es fiel mir auch gar nicht ein, Olgas angeblichen Atheismus zu verurteilen. Es fiel mir nur auf, daß sie vielleicht unbewußt nicht so glaubenslos ist als sie vorgibt.

Mir ist’s übrigens gleich und eigentlich kann ich nicht begreifen, daß es Leute gibt, z. Bsp. Br. Huber, die zu jeder Zeit, an jedem Ort und zu jedermann, ob passend oder nicht, über das Evangelium sprechen können. Das ist eben leider der Grund, warum ich nicht zu seinen besonderen Lieblingen gehöre. Schw. Huber schrieb mir übrigens, daß sie bald nach Wien kommen. Nun, Liebling, meinst Du, Du allein hast Dich verändert und ich bin die Alte geblieben? Da täuscht Du Dich sehr. Übrigens aber glaub ich nicht, daß Du selbst, Dein Charakter und Dein Gemüt, sich geändert, sondern höchstens Deine Ansichten, und das ist doch bei mir auch der Fall. Wird wohl auch in Zukunft so bleiben. Sieh, ich bin manchmal so froh über etwas, das mir früher wertlos schien und aber auch wieder froh, daß sich mir Wünsche nicht erfüllten, von deren Erfüllung, wie ich dachte, all mein Glück abhing. Man war eben jung; nun, da wir gereifter sind, muß doch wenigstens so manche Torheit abgefallen sein. Bezüglich unserer Kirche werden wir uns wohl auch einigen können, wenn auch unsere Ansichten teilweise wirklich auseinandergehen sollten. Warum man Kontra-Baß studieren muß um komponieren zu können? Nun eben um zu wissen, wie die verschiedenen Stimmen in ihrer Lage zueinander passen und wie überhaupt die ganz logische Zusammenstellung der Töne ist.

[Schluß fehlt]

Wien, 17. XI.1920

Herzlieb!

Fand gestern abends, oder war’s nachts, halb 11 Uhr, als ich von der Bibelstunde heimkam, Deinen lieben Brief vom 13. vor. Hat mich natürlich sehr gefreut, zumal der Brief vom 5. nun doch noch den Weg zu Dir gefunden. Daß Dich meine Karte vom 11. „sehr ärgerte“, tut mir leid. Denkst Du denn, daß der Stempel absichtlich auf den Kopf gedrückt wurde? Dann bräuchtest Du Dich auch nicht darüber ärgern, denn mit der Tatsache, daß die Dummen nie aussterben, muß man sich abfinden, sonst nähme der Ärger kein Ende. Daß unser Geld in letzter Zeit „ganz schrecklich“ gefallen ist, ist wohl wahr; doch denke ich, haben wir Österreicher uns schon daran gewöhnt; das geht doch schon lange so. Die Krone steigt von 1.70 bis zu 2.50 und während der Zeit rührt sich bei den bestehenden Preisen nichts, sinkt sie dann wieder von 2.50 auf 1.70, was zirka alle 2 bis 3 Monate der Fall ist, steigen uns’re Preise schwindelnd in die Höhe. Von einem Preisabbau bei höherem Kurswert der Krone ist aber nie eine Idee. Daß Du weniger verdienst, ist noch lange nicht das größte Unglück, wärst Du in Wien, hättest Du doch noch weniger! Nicht? Schau, ich ärgere mich manchmal im umgekehrten Fall, wenn die Leute zu viel verdienen. Der eine meiner Cousins z. Bsp. verdient jetzt wöchentlich bei 48stündiger Arbeitszeit 4.000 bis 5.000 K. Davon bezahlt er 400 K Kostgeld an Tante und das andere vertrinkt er. Wär’s da nicht besser, er hätte weniger Lohn? Wenn ich ihm dann so ein wenig ins Gewissen rede, gibt er mir zwar recht, tut’s aber doch immer wieder. ’s ist verlor’ne Müh’! Nun, Kind, daß Du meine Briefe nicht jedermann lesen läßt, ist wohl selbstverständlich, doch warum Du „eifersüchtig“ darüber wachst, begreife ich nicht. Es kann sie doch niemand sonst auf sich beziehen, auch wenn er durch irgendwelchen Zufall dazu käme, sie zu lesen. Daß Herr Kulhanek die Karte lesen wird, dachte ich auch und habe das Kapitel eben deshalb sondiert.

Aber weißt, Schatz, das Zuckernaschen solltest Du Dir eigentlich nicht angewöhnen, denn derartige Gewohnheiten legt man dann sehr schwer ab; bist Du aber nicht mehr in Tschechien, hast Du auch keinen Zucker mehr zum Naschen.

Die Sache bezüglich der Urlaubsansprüche wußte ich, doch daß Du hin und her fahren darfst, wie Du willst, ist mir ganz neu. Aber mir ist’s recht, wenn Du nur lieber schon da wärest!

Habe Franz für morgen schon bestellt, das Lied einzustudieren. Aber gelt, Liebster, Du hast noch ein wenig Geduld. Das Weihnachtsprogramm macht mir natürlich jetzt schon eine Menge Arbeit und ich werde so schnell nicht dazukommen, die Noten zu schreiben! Wenn ich Dir mal einen Tag nicht schreibe, so fehlt mir etwas und wenn man 100 Mal sagt, ich sei verrückt. Ich habe das Bedürfnis mit Dir zu plaudern und muß es eben tun. (’s ist das wie mit dem Naschen! Siehe oben! Fängt man erst einmal an, kann man nimmer aufhören.)

Daß Karl sehr unter dem Einfluß Maries steht, ist ganz gewiß. Und nicht nur er allein. Zu einem großen Teil auch Konrad und Loisel.

Unbegreiflich ist mir Mathildes Verhalten nicht, nur wär’s mir lieber, es wäre alles wie früher. Ich hatte Thilde von Herzen lieb und im Grunde genommen auch heute noch. WENN sie im Unrecht ist - eine seltsame Idee. Kind, denkst Du wirklich, daß mir der Sinn dafür fehlt, zu beurteilen, was recht und was unrecht ist?

Daß Thilde nicht die Allein-Schuldige ist, ist natürlich. Wenn irgendwo Streitigkeiten sind, sind doch immer beide Teile schuldig. Und von allen Mitgliedern, die gekommen sind, ist kaum eines, das sagen kann: „Ich bin schuldlos daran.“ Und nicht die geringste, sondern eher die größte Schuld trage ich. Obzwar mich nur meine Dummheit schuldig werden ließ. Gerade weil ich den Streit vermeiden wollte, hab’ ich ihn heraufbeschworen. „’s is’ a Dummheit!“ sagt der Alte in Anzengrubers „Doppelselbstmord“. Nun, Liebling, wenn Du auf den Ötscher geh’n willst, mußt Du mich aber mitnehmen. Dann regnet es nämlich sicher nicht. Wann und wohin immer ich fahre, ist eitel Sonnenschein! Ist auch Größenwahn, gelt? Aber weißt, ’s ist wahr. Ebenso wahr, wie es immer geregnet hat, wenn Karl nach Rottenbach kam. Br. Huber hat sich zwar geärgert, wenn wir eine derartige Bemerkung machten, aber es hat sich immer wieder bestätigt.

Is’ a a Dummheit, gelt?

Fortsetzung zu Hause.’s kommt immer anders als man denkt! Kaum waren wir zu Haus, kamen Br. u. Schw. Ehlers und blieben bis jetzt (11 Uhr). ’s hat mich zwar recht gefreut, aber „meine Ruh’ ist hin“. Das Herz ist aber nicht schwer. Kennst Du übrigens das Lied? Es ist das Spinnlied aus Faust.

Heute nachmittag war ich bei Wallischhauser. Das „Glöcklein von Inisfare“ genügt mir nämlich nicht, da hab ich ein Weihnachtsfestspiel gekauft. Hoffe, daß es recht hübsch wird, unser Fest. Für mich freilich am schönsten, wenn Du da bist.

Berta sagte heute, sie wird Dich recht sekkieren, wenn Du kommst, aber nur aus Liebe!

Heute wollte ich Dir Bücher schicken. Es ist aber leider unmöglich, es sei denn, Du schickst mir eine Einfuhrbewilligung. Aber ich glaube beinah’, es ist besser, wir lassen das. Schade, daß man nicht auch noch eine Ausfuhrbewilligung und eventuell ein tschechisches und österreichisches Visum braucht. Das würde die Sache sicher sehr vereinfachen. Manchmal könnte man wirklich glauben, daß die ganze Welt ein Narrenhaus ist.

Sonntag war’s aber so schön da beim Fredel, daß einem derartige Gedanken gar nicht kommen konnten, und das söhnt mich dann immer mit allem andern aus. Überhaupt, als ich herunterging, da war’s schon finster und das Bewußtsein, so ganz allein zu sein mit denen, die mir lieb, in Gedanken vereint, beruhigt mich immer ungemein. ’s ist etwas Köstliches, dieser Waldfriede! Aber wie’s scheint, beginne ich zu schwärmen, das aber schickt sich gar nicht für so prosaische Menschenkinder, wie ich eines bin.

’s wird besser sein, ich geh’ ins Bett!

Gute Nacht, mein Liebstes! Schlaf wohl und träume süß, ich möchte auch mal von Dir träumen, es gelingt mir aber nicht. Mein Schlaf ist gänzlich traumlos. In Sehnsucht küßt Dich

Deine Gretel

Donnerstag, 18. XI.20

Mein Lieb!

Du siehst, daß wir doch nicht so unrecht hatten, betreffs Donts. Und das freut mich; nicht nur, weil WIR recht haben, sondern besonders, weil es doch schöner ist, mit Liebe an Menschen zu denken, als immer das Gefühl zu haben, daß alles nur Komödie war. Nur wundert’s mich, daß niemand schreibt. Bei Emmy ist’s wohl ein wenig Trotz, vielleicht auch bei mir, trotzdem ich eigentlich eine Antwort von Emmy zu bekommen hätte,auf den letzten Brief. Meiner Ansicht nach ist ein Bruch mit Lina doch nicht der Grund eines solchen gegenüber Mama Donts und Emmys. Nun, wollen’s abwarten. Aber mir scheint, ich bin heute verdreht, weil ich von hinten mit der Beantwortung anfange. Na, jetzt bleib’ ich schon dabei. Freue mich natürlich unbändig,daß Ihr Fortschritte macht und Du Dich mit Olga duzt. Eigentlich vergrößert das alles meine Sehnsucht. Ich will ja gar nicht raunzen. Müßtest sonst wieder anfangen zu reden von Geduld und Zufriedenheit. Na, recht hast’ ja, aber -

In Deinen lieben Worten über die religiösen Ansichten Olgas habe ich nur das gesehen, was Du wirklich meintest und nicht im geringsten an eine „Verurteilung“ Deinerseits gedacht. Kannst aber ruhig eine solche fällen und zwar dazu, daß sie mir endlich schreibt. Der 14tägige Termin ist grad heute aus. Ihr letzter Brief ist vom 4.d. M. und wenn ich schon alle 14 Tage schreiben muß, so muß ich doch auf Gegenseitigkeit rechnen können.

Dr Inhalt des Gedichtes Deines Bruders gefällt mir sehr gut. Weißt, Lieb, ich schreibe nicht gerne über Deine verstorbenen Lieben, weil ich glaube, daß Dich die Erinnerung aufregt, aber, wenn wir einmal beisammen sind, erzählst Du mir von Vater und Bruder?!

Sehe, daß mein Brummen über Dein spätes Schlafengehen nichts fruchtet, laß’ es daher bleiben. „Is eh besser“, wirst Du Dir denken. Möchte aber trotzdem zu dem Rufzeichen nach Deinem „i kann nix dafür“ zwei Fragezeichen setzen.

Ob ich etwas nützen könnte, wenn Br. Cannon kommt? Ich wüßte nicht auf welche Weise. Würde aber selbst sehr gerne dort sein. Grüße mir auch Ehlers!

Während der Hin- und Herschreiberei ist es mit der Sache betreffs meines eventuellen Weiterarbeitens hier so gegangen, wie mit dem heutigen Schnee. Aber „das macht der Katze keinen Buckel“ und mir kein Kopfzerbrechen. Heute früh ist in einer halben Stunde zka. 5 cm Schnee gefallen. Das war wunderschön. Leider aber nicht lang, desto schlimmer war der darauffolgende Quatsch. In einem Monat hoffe ich schon auf der Bahn zu sitzen. Leb wohl einstweilen, bis nach dem Nachtmahl!

Gestern bekam ich vom Teschener Kreisgericht eine Vorladung betreffs Zeugenaussage. Nachdem aber weiter nichts draufsteht, glaube ich, und ’s kann ja auch nichts anderes sein, daß es wegen der Paßgeschichte ist. Sie ist für den 14. Dezember. Vielleicht bekomme ich gar noch das Geld?! Und meinen Paß, da hätt ich jetzt zwei. Herzlichen Dank für die schöne Karte von Koppay. Doch verstehe ich nicht, warum Kraft und List miteinander verkittet sind. Um beide zu versinnbildlichen, genügt wohl schon allein der Löwe. Will man aber die Kraft allein darstellen, so doch am schönsten, unabhängig von allem. Will aber Koppay gar nicht verurteilen. Unwillkürlich mußte ich an die Eröffnung des Panamakanals denken, welche Wilson von, ich weiß nicht mehr genau, Chicago oder Washington vollzog, indem er dort auf einen Druckknopf drückte, und dadurch die letzte Sprengung vollzog. Auch List und Kraft.

Nun, Lieb, trotzdem ’s erst halb 9 ist, geh’ ich doch schon schlafen. Nimm Dir ein Beispiel!!! Mit sehnsüchtigen Küssen,

Robert

18. XI.1920

Lieber Robert!

Heute hab ich mir endlich die Noten vorgeholt und begonnen, sie abzuschreiben. Fertig bin ich zwar noch nicht, doch mußt Du trotzdem um des Liedes willen auf Deinen heutigen Brief verzichten. Abends werd’ ich Franz mal ein bisserl quälen, hoffentlich wird seine Frau nicht am Ende auch eifersüchtig. Olga war vormittag im Geschäft, doch war ich nicht da; wenn’s mir ausgeht, werd’ ich morgen einmal wieder hinübergehen. Bei uns ist heute fast Frühlingswetter. Es berührt das ganz eigentümlich. Beinahe fühlte ich dieses unbestimmte Sehnen, das mich an schönen Frühlngstagen immer ergreift.

Dich innig küssend,

Deine Gretel

Wien, 19. XI.1920

Mein Lieb!

Erhielt endlich jetzt abends Deinen lieben Brief vom 15. War eigentlich schon recht besorgt um Dich, denn wenn es auch schon vorkam, daß die Post ein oder zwei Tage ausblieb, drei Tage hat’s noch nie gedauert. Ausgenommen bei dem ersten Schreiben, aber da war ich noch nicht gar so verwöhnt! Sag einmal, Schatz, an was für Noten schreibst Du denn schon wieder? ’s muß Dich doch recht freuen. Mich gar nicht!

Dein Besuch bei Deinem Arbeitskollegen hat mich sehr an Mitzis frühere Besuche bei mir erinnert. Da war ich auch so liebenswürdig, mich mit einem Buch irgendwohin zu setzen und Mitzi nicht weiter zu beachten. Wenn Mutter mir dann Vorwürfe machte über meine Unhöflichkeit, meinte ich immer, wenn’s ihr nicht recht ist, würde sie nicht immer wieder kommen. Recht lieb, gelt? Später hab’ ich mir das freilich abgewöhnt. Wie ist Dein Kollege überhaupt mit so einer Schlafhaub’n zufrieden?

Wenn Ihr kein Material bekommt, fallen also Hrn. Kulhaneks Pläne ins Wasser?! Auf jeden Fall aber wäre es sicherer, daß Du zu Weihnachten kommst. 15.-20. Dezember wäre ja just der richtige Zeitpunkt. Hast recht, Liebstes - und doch ist die Sehnsucht schön! Nur muß das Sehnen wenigstens manchmal gestillt werden. Deine Zimmerleute sind wirklich komisch. Sie wollen wahrscheinlich auch nicht hören, so wie Du, wenn’s 10 Uhr schlägt. Oder vielleicht schenken sie Dir alles, dann brauchst Du keine Rechnung. Du wartest auf Olgas Antwort? Nun, sie wartet auf den versprochenen Brief von Dir. Heute war sie wieder bei mir und als ich ihr sagte, daß ich seit Dienstag keine Post von Dir habe, meinte sie, da muß man Dir sofort telegraphieren. Übrigens hab’ ich mir durch Olgas Kommen meinen Besuch bei ihr erspart. Sie hat auch gesagt: „Na ja, wann du net zu mir kummst, muaß i zu dir kumma.“ Weißt, aber was für närrisches Zeug die Leute jetzt machen, ist doch nimmer schön. Erzählte mir nämlich Olga heute, daß Dir Richard geschrieben, der Brief aber nicht direkt von Ungarn nach Tschechien geht. Ist doch Unsinn! Daß Du nicht an Karl geschrieben hast, ist viel vernünftiger. Bei Karls Charakter kann man nie wissen, wie das ausgefallen wäre. Weißt, ich verstehe Fuhriman recht gut, wenn er sagt, er konnte die Hirschmanns nicht kennenlernen. Es sind unberechenbare und wankelmütige Leute. Als ich gestern bei Schw. Cerny war, sprachen wir auch über Karl. „Aber gengan S’, dös war do allawei a Spleenritter!“ So war ihre Meinung, trotzdem sie, wie ich aus Erfahrung weiß, Karl fast lieber hat als ihren Franz. Und das will viel heißen!

Gute Nacht, Liebling! Ich muß schlafen geh’n, sonst erfriere ich. Viel tausend Küsse!

Deine Gretel

20. XI.1920

Herzlieb!

Zwar hatte ich gestern nicht die Absicht, den Brief in der Weise zu kürzen, wie’s geschah, aber ’s kam mal wieder anders als ich dachte. Ich war abends bei Frl. Schwarz, ihr das Melodrama zu bringen. Bin aber früher als sonst nach Haus gegangen, damit ich Dir noch schreiben kann. Kaum aber hatte ich begonnen, kam Berta ganz außertourlich heim. Es war erst halb neun und nun hat sie mich so lange gequält, bis ich zu schreiben aufhörte und zu spielen anfing. Wir werden nämlich zu Weihnachten das Ohr der Zuhörer durch ein Duett ergötzen (oder auch nicht). Nun spielte ich bis nach 10 Uhr. Natürlich wurde dann mein Brief nicht fertig. Überhaupt, weil’s so kalt war. Bin das noch immer nicht gewöhnt, daß man bei uns zu Haus auch frieren muß. Olga hat mir gestern den guten Rat gegeben, ich soll zu ihr kommen schreiben. Ob das auch ordentlich würde?

Daß Hansi nun doch Lehrmädchen ist, freut auch mich. Montag wird sie die Schule zum erstenmal besuchen und zwar gleich die zweite Klasse, nachdem man sie um ihres Austrittszeugnisses willen dazu für fähig erklärte. Ich hielt das Zeugnis bis jetzt nicht für so glänzend, muß mich aber doch wohl der Anschauung der „höheren Autorität“ beugen.

Fiel mir eben ein, weil Br. Huber als Fuhriman das erste Mal von ihm Abschied nahm, seiner Freude Ausdruck gab, daß er wieder einmal mit einer höheren Autorität sprechen könne. Daß mir das wieder recht gut gefiel, kannst Du Dir denken.

Aber was mir nicht ganz recht ist, ist, daß Hilde und Hansi nun in einer Klasse sein werden. Na, hoffentlich sitzen sie wenigstens nicht nebeneinander. Sonst wär’ die Aufmerksamkeit jedenfalls sehr geteilt und ich könnte mich zuletzt wirklich versucht fühlen, das Mädel ein bißchen bei den Ohren zu nehmen. Das sollte mir aber leid tun,denn dann würde sie bald ausseh’n wie ein Esel! Möcht’ gerne wissen, wie Du Dir Berta als Lehrmeisterin vorstellst. Ich denke, sie taugt zu allem anderen eher.

Daß Du oft von mir träumst, finde ich nicht so sonderbar. Wenn man immerfort an etwas oder jemand denkt, muß das doch auch in die Träume übergehen! Wäre mein Schlaf nicht so gänzlich traumlos, würdest Du wohl auch in meinen Träumen die Hauptrolle spielen. Weil wir aber just bei der Hauptrolle sind. Ich habe die Hauptrolle des Theaterstückes dem Frl. Helene übertragen. Wenn Du vielleicht wieder vergessen hast, Helene ist die Schwester Mitzis. Von Mitzi erhielt auch ich vor einigen Tagen einen Brummer betreffs des Briefes. ’s tut mir aber doch nicht leid, meine Indiskretion!

Deine Karte vom 17. erhielt ich heute. Vom 16. hab’ ich keine Nachricht. Hast Du nicht geschrieben oder ist es nicht angekommen?

Nun, Schluß für heute! Morgen schreib ich Dir die Noten fertig, ob ich auch sonst noch etwas schreibe, weiß ich nicht.

Herzliche Grüße „von den Deinen und Meinen“! Aber ’s ist vielleicht besser, ich schreibe gleich von den Unseren.

In inniger Liebe,

Deine Gretel

Samstag, 20. XI.20

Mein lieber Schatz!

Also, der Klappenfehler besteht darin, daß ich wieder auf einige Tage Gesellschaft bekommen habe. Auch bei mir „meine Ruh’ ist hin“! Aber auch damals war sie hin als ich „Margarethe“ sah, wenngleich nur meine Nachtruhe. Wir wohnten in Weidlingau und ich versäumte beim Nachhausefahren schon den Anschluß in Hütteldorf, so daß ich anderthalb Stunden warten mußte. Da es aber Winter war und im Wartesaal recht warm, schlief ich ein und als mich der Bahnbedienstete weckte, sah ich grad noch die roten Laternen des abfahrenden letzten Zuges. Da hieß es eben zu Fuß gehen. Nicht sehr angenehm bei ¼ m hohem Schnee und dazu noch Gestöber. Kam aber doch glücklich um halb 4 Uhr z’haus. Daß ich weniger verdiene, mach’ ich mir auch keine Gedanken, umsomehr das ja nur in tschechischer Währung der Fall ist, in österreichischer ist’s durch die Umrechnung der Montagezulage noch um 3 - 400 K mehr.

Sehe, daß Du mich betreffs der Eifersucht auf Deine Briefe nicht verstanden hast, macht aber nichts, komm’ ja bald selber. Denn mein Kommen ist 1 : 100 sicher. Wie ich mich freue! Habe mir schon Gedanken gemacht, wie es sein wird, wenn ich so ganz allein zu den Feiertagen hier sitze, nun aber denke ich lieber, wie schön’s sein wird zu Haus - und bei Dir. Aber ohne Seufzer geht’s doch nicht ab, denn wie wünschte ich, daß diese 4 Wochen schon ’rum wären. Herr Kulhanek kommt wahrscheinlich mit. Wir glauben, daß wir am 20. abfahren, also grad heut’ in einem Monat.

Heute habe ich wieder 5/4 kg Zucker bekommen, damit ich mir’s Naschen abgewöhne! Fürchte mich aber gar nicht vor dem Abgewöhnen. Du weißt, „ich hab ja viel Geduld“, also auch mit dem Lied. Weißt, wenn Du mal beschäftigt bist, dann verwende auch Du nicht die Nacht- und Schlafenszeit zum Briefschreiben. Werde, wenn auch nicht gerne, so doch warten.

Nun aber grad der Punkt, bei welchem Dein Rechtsgefühl ein wenig gekränkt worden ist. Schau Lieb, das wollte ich wirklich nicht, doch meine ich, daß auch diese Streiterei, wie ja alle, oder doch die meisten, aus kleinen nichtigen Ursachen entsprang, und oft ist in diesen Nichtigkeiten auf beiden Seiten das Recht. Und aber auf das bißchen Recht bauen nun beide Seiten ihre Anschauungen, jede natürlich nach ihrer Fasson so, um als Waffe gegenüber anderen verwendet werden zu können.

Ich glaube nicht nur, sondern ich weiß bestimmt, daß Dir am wenigsten von allen Mitgliedern der Rechtssinn fehlt, doch soll ich Thilde als schuldig anerkennen, ohne sie wirklich schuldig zu wissen? Ich glaube doch, daß da die eigene Überzeugung nötig ist. Na, lassen wir’s. Auf den Ötscher muß ich Dich dann natürlich mitnehmen. Aber nur, damit’s nicht regnet! Wenn Deine Briefe aber auch das schöne Wetter bringen,so haben wir ja des Rätsels Ursache, daß wir bei unserer Arbeit so ein Glück haben.

Mit den Büchern ist’s freilich besser, wir lassen’s auch. Erstens zahlt es sich wirklich nicht aus, zweitens würde der Zoll trotz Einfuhrbewilligung den 2-3fachen Wert übersteigen (für das Aluminiumblech, 7 kg schwer, zahlte ich 230 öst. K Zoll), und drittens hab ich so schon Sorge, daß ich alles bei der Heimfahrt unterbringe, denn trotzdem man nicht viel hat, ist der Reisekorb bald voll.

Darf mich ja nun auf das Programm freuen, wann wird’s eigentlich sein? Du, wenn es Dir viel Arbeit macht, sende mir nur meine Stimme, es ist ja gar nicht nötig, alle zu haben.

Bertas Sekkiererei fürchte ich nicht, besonders wenn sie nur aus Liebe ist, ’s ist ja übrigens nur Revanche, denn ich hab ja ihr zu liebe auch etwas getan.

Daß die Welt jetzt einem Narrenhaus gleicht, dem pflichte nicht nur ich bei, sondern auch mein Schlafgenosse, der hier 4 Waggons Traversen zu übernehmen hat, nach Lemberg. Die Polen schicken ihre Waggons nicht ’rüber, die Tschechen die ihren nicht ’nüber, so muß der Arme hier warten, bis 4 neutrale Waggons zufällig hierher kommen, die wieder zufällig nach Polen gehen, während drüben 60 Arbeiter warten. Warum sich die Staaten selbst untergraben, weiß ich nicht.

Mir scheint, mein Pole übernachtet heut’ beim Müller. Haben dort eben eine Debatte über Vergnügungen gehabt, konnten uns aber gar nicht einigen. Sonst ist er aber ein ganz lieber Mensch, nur übertrieben höflich. Von Olga erwarte ich schon so sehr eine Nachricht, mir scheint, weil sie weiß, daß Du schreibst, glaubt sie selbst nicht schreiben zu brauchen. Na, das gibt’s aber net!

Für heute will ich schließen. Gute Nacht, mein einzig Lieb, schlaf gut.

Sonntag, 21. XI.20

Will jetzt die Zeit des Alleinseins benützen, um mit Dir, Liebste, zu plaudern. Denn wenn der Pole da ist, ist’s ja doch nicht möglich. Wie man nur so viel reden kann, verstehe ich nicht und noch dazu Zeug, was mich ja im Grunde genommen gar nicht interessiert. Bin aber auch ekelhaft. ’s ist mir kein Mensch recht. Vormittag war ich wieder einmal spazieren im Wald. Durch den Schnee hat die Gegend ein ganz anderes Bild. Herunten ist er zwar schon wieder weg, oben jedoch liegt er 10 cm hoch. Nach dem Essen plauderten wir, Herr Kulhanek und ich bis um 2 Uhr von unserem Z’hausfahren. Er freut sich grad so sehr wie ich darauf. Unser Verhältnis ist beinahe schon so wie

[Schluß fehlt]

Wien, 22. XI.1920

Mein Robert!

War heute vormittag bei Olga, Deine Botschaft zu überbringen. Dein letzter Brief ließ sie erwarten, daß noch einer und zwar ein längerer nachfolgt. Deshalb ihr Schweigen. Nun aber wird sie Dir schreiben.

Papa aber, welcher heute auch hier war, ist sehr gekränkt, weil Du ihm gar nicht mehr schreibst. Ich hörte auch so leise die Eifersucht heraus. Übrigens aber hat mir Papa versprochen, mich nächstens einmal abends im Geschäft zu besuchen. Da werden wir dann bald die Eifersucht verjagt haben!

Betreffs Donts freut’s mich wohl nicht weniger als Dich, daß die Dinge eben sind wie sie sind. Bei Emmy und Dir aber steht die Sache ziemlich gleich. Sie schuldet Dir Antwort und Du ihr! Der Trotz ist also tatsächlich und nicht nur vielleicht auf beiden Seiten vorhanden. Meinst Du nicht? Ich aber erinnere mich recht gut, als bei mir einmal ein ähnlicher Fall eingetreten war (im Okt.1914), und ich sagte: „Nein, ich schreib nicht.“ Da gab mir mein Robert zur Antwort: „Wie kann man nur so trotzig sein, Gretel?“ Hast Du seit damals Deine Ansicht so sehr geändert?

So, hatte nun eine cka. zweistündige Unterbrechung. Erst war Br. Hrubesch da. Und weil er mich eben beim Schreiben antraf, läßt er Dich auch herzlich grüßen. Dann war ein Seifenagent da und der schwatzt und schwatzt in einem fort. Er bildet sich nämlich immer ein, ich bestelle mehr, wenn er mir schmeichelnde Worte sagt. Wenn er wüßte, daß er dadurch gerade das Gegenteil bewirkt!

Zu guter Letzt entdeckte ich, daß mein Holzvorrat zu Ende geht, also mußte ich hacken gehen.

Hansi ist seit 2 Uhr in der Schule. Bin infolgedessen wieder einmal ganz allein. ’s ist mir lieb - und doch, wie glücklich wär’ ich, wärst Du hier! Könnt’ ich lieber mündlich mit Dir plaudern! Aber wenn ich so fortfahre, wirst dann bald Du anfangen von Geduld und Zufriedenheit, gelt, Schatz? Aber ich denk mir dann auch: „Na, recht hast ja, aber - „Von Vater und Franz will ich Dir gern erzählen, Liebster, doch hab’ ich nur sehr wenige persönliche Erinnerungen an beide. Als Vater von zu Haus wegkam, war ich 2 ½ Jahre alt, als er starb 4 ½. Franz aber war fast nie zu Haus. Vormittag auf der Technik, später auf der Universität, da er krankheitshalber umsatteln mußte. Nachmittag bei seinem Freund, bei dem und mit dem er auch studierte, abends bei seiner Braut und in Zeiten, da sich sein Leiden verschlimmerte auf dem Lande oder im Spital. Die einzige Zeit, die ich tatsächlich mit ihm verbrachte, war einige Monate in Marktl bei Lilienfeld. Damals aber war ich so klein wie Trudel. Und von dem Beisammensein ist mir nichts im Gedächtnis geblieben, als daß wir auf der Wiese lagen und Spitzwegerich und Haselnüsse aßen. Fredel ist anscheinend besser! Obzwar er sehr mager ist. Nun muß er Tag und Nacht im Gipsbett liegen. Auch ein Zeichen, daß es ihm wieder besser geht als während der letzten Monate. Und daß diese Besserung gerade im November stattfindet, in dem Monat, wo er sonst immer schlechter wurde, ist das günstigste Zeichen. Also hoffen wir das Beste!

Inwiefern Du nützen könntest, wenn Br. Cannon kommt, wüßte auch ich nicht. Doch denke ich, daß Fritzens Wünsche dahin geh’n, Dich zum Priester weihen zu lassen.

Wär’ eigentlich ganz „lustig“, wenn Du jetzt zwei Pässe hättest, nachdem Du erst so lange ohne einen bleiben mußtest.

Du, weißt, Schatz, die Karte von Koppay muß ich mir auf Deine Meinung hinauf noch einmal genauer betrachten. Da Frl. Schwarz sie auf dem Klavier stehen hat, ist das übrigens ganz leicht. Ich glaube nämlich nicht, daß die beiden miteinander verkettet sind, sondern, daß das Weib als List den Löwen, als Darsteller der Kraft, in Fesseln hält. Daß das Ganze also darstellen soll, daß List noch immer mächtiger ist als Kraft. Ob ich im Recht bin, weiß ich nicht, werde mir das Bild Freitag genau betrachten.

Unsere Versammlung verlief gestern ruhig und ungestört. Auch war Schw. Gusterschitz wieder einmal da. Und da mußte Dein „Lehmann“ wieder aushelfen mit der Adresse von Br. Diseon und Br. Jorgensen. Letzterer war ja ein besonderer Liebling von Schw. Gusterschitz (übrigens auch Valeries) und wenn Schw. G. nun von ihm spricht, fällt mir immer etwas ein, das zwischen ihr und mir sich abspielte. Sie erzählte mir nämlich, daß Jorgensen sich verheiratete. Meine Antwort: „Das weiß ich.“ - „Na, und das sagst Du so ruhig? Jetzt hab’ ich immer ’glaubt, er wird dich heiraten!“ Weiter kam sie nicht, denn ich lachte hellauf. „Ja, glauben Sie denn, Schwester, daß ich ihn genommen hätt’?“ Damals war sie fast bös auf mich und zu jener Zeit zählte ich doch zu ihren Lieblingen.

Nun, Liebling, mein Tenor für unser Quartett bewährt sich recht gut. Übrigens machte ich Franz viel mehr Freude als ich dachte. Er singt sooo gern, wie er mir versicherte.

Weißt Du übrigens, wozu ich Dich zu dem Fest brauche? Ich benötige dringend eine bengalische Beleuchtung für meine Engel. Du siehst schon wieder ein Egoismus-Grund mehr, um Dein Hiersein zu wünschen. Nun, heute will ich Deinem guten Beispiel folgen und um 9 Uhr schlafen geh’n. Wollte zwar die Noten fertigschreiben, aber da Du mir’s so dringend anempfiehlst mit 3 Rufzeichen, muß ich doch folgen.

Good night, my boy! Sleep well and dream of many sweet kisses of me!

Dich in Gedanken innig küssend,

Deine Gretel

Fuhriman bewertet meine Gedanken zwar sehr niedrig. Als ich ihm mal sagte, ich will Ruh’, ich muß denken, hieß es: „One penny for your thoughts!“ Wundert mich nur, daß ihn der vernichtende Blick von mir nicht zu Boden streckte.

Montag, 22. XI.20

Liebste!

Weißt Du wie’s ist, wenn man Heimweh hat? Früher wußte ich’s auch nicht, lernte es aber gestern abends kennen. ’s ist eigentlich a a Dummheit, in die alten Tage Heimweh zu bekommen, als wenn ich das erste Mal von z’haus weg wäre, aber eine verzeihliche Dummheit, gelt? Fällt mir eben ein, daß ich’s eigentlich doch schon mal hatte, es war, wie ich das erste Mal meines Wissens nicht zu Hause schlief, weil damals alle die Meinen bei einer Unterhaltung waren. Aber zwischen damals und gestern ist doch wohl ein Unterschied, schon darum,, weil Du dabei eine Hauptrolle spielst, diesmal aber eine unübertragbare. Dein liebe Karte vom 18. und Brief vom 19./20. heute erhalten. Also werden die Noten bald kommen. Das freut mich. Aber sag, Lieb, mir scheint, Du hast doch Angst, daß ich komponiere. Wenn, so aber ganz unberechtigte. Wenn ich Noten schreibe, so sind’s nur lauter alte Lieder, die mir jetzt nach und nach einfallen. Diese versuche ich nun zu Papier zu bringen, doch möchte ich Dich manchmal dabei notwendig brauchen. Wirst noch ein Kreuz mit mir haben und einen Nürnberger Trichter brauchen. Wird Dich manchmal vielleicht auch gar nicht freuen.

Wie mein Kollege mit mir zufrieden ist? Das weiß ich nicht. Wir vertragen uns aber, wenn wir uns auch hie und da miteinander unsere harten Köpfe abstoßen, gut. Ich selbst bin mit ihm aber gar nicht zufrieden, aber alles Reden ist auch hier verlor’ne Müh’! Vor zwei Wochen z. Bsp. fährt er nach Ostrau um Vorschuß zu einem Winterrock, bekommt 600 Kc und kommt erst in zwei Tagen, mordsmäßig besoffen und ohne Winterrock und Geld nach Haus. Und so ähnliche Stückeln kommen alle Wochen vor und daß natürlich dadurch die Arbeit vernachlässigt wird, was auch der hiesigen Firma nicht verborgen bleibt, ist selbstverständlich. Mir ist sehr leid um ihn, denn er ist innerlich ein wirklich guter Mensch. In meinem Schlafkollegen hat er ein würdiges Gegenstück gefunden. Wenn die Waggone nicht bald kommen, so kann er noch zu Fuß nach Lemberg gehen, von Samstag bis heute hat er 4500 Mark angebracht. Die eine gute Seite hat das wenigstens für mich, daß ich hier ungestört bin.

Olga wartet auf den Brief. Hm, bin eigentlich der Schuldige. Aber wenn Ihr zusammenkommt, brauch’ ich dann eh an Olga nicht so oft schreiben, sie erfährt ja doch alles von Dir.

Hat Richard wenigstens den Brief zu Olga geschickt? Sag, Lieb, bekommt man denn so wenig Kohlen? Weißt, ich ärgere mich, daß ich wiedereinmal recht dumm war. Alle Angestellten Schuckerts haben Anspruch, gegen Bezahlung 150 kg Kohle und 150 kg Holz vom Werk zu beziehen. Wir bekamen auch hierher die Mitteilung, doch erst am 20. Okt. und darauf stand, da0 die Listen am 18. Okt. geschlossen werden. So dachte ich natürlich, daß es so schon zu spät ist, erfuhr aber nachträglich durch Herrn Kulhanek, daß seine Bestellung doch angenommen wurde. ’s war eben a a Dummheit. Glaubst Du denn, Gretel, daß alle Menschen, um etwas vorzustellen in einem Amt oder Beruf, wirklich tauglich sind dazu? Ich kann mir eben Berta doch, schon wegen ihres äußeren Wesens als, oder besser in der Rolle der Lehrmeisterin vorstellen, ob sie tauglich ist dazu, darüber kannst Du wohl besser urteilen.

No.2, wenn Du nun nach wochenlangem traumlosem Schlaf auf einmal 3 oder 4 mal von Etwas träumst, wirst Du Dir dann nicht sagen, „eigentlich sonderbar, jetzt hab’ ich so lange eher nichts geträumt und jetzt auf einmal träumt mir ein paar Mal nacheinander von demselben Etwas.“ Und so ähnlich und sonderbar war’s auch mir.

Ob ich am 16. geschrieben habe, Schatz, das kann ich Dir gar nicht bestimmt sagen. Einmal hab’ ich vorige Woche nicht geschrieben, ob’s am 16. war? Hoffe, daß so lange Unterbrechungen nicht oft vorkommen, fühl’s ja selbst, wie’s ist. Weißt, ich habe mir meine Arbeit so eingeteilt, daß ich diese Woche in der Nähe von Müller arbeite, da bekomme ich die Post gleich frisch vom Briefträger. Sollte aber doch eine Unterbrechung vorkommen, dann mache Dir keine Sorgen um mich. Nun, mein Liebchen, heißt’s schlafen. Mein Pole kommt anscheinend auch heute nicht. Wenn Du zu Olga kommst, bitte frage, ob Schuckert meinen Lohn gesendet hat,hoffe aber von Olga bis dahin schon einen Brief bekommen zu haben.

Herzliche Grüße an die Unseren und Dir, Liebstes, innige Küsse von

Robert


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